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Plötzlich ein Phänomen. Erik ten Hag hatte einen schwierigen Start bei Ajax Amsterdam. Jetzt steht er im Halbfinale der Champions League gegen Tottenham.

© Antonio Calanni/dpa

Ajax Amsterdam in der Champions League: Trainer Erik ten Hag ist ein Mann der Mitte

Erik ten Hag hat durch die Erfolge mit Ajax Amsterdam seine Kritiker verstummen lassen. Jetzt ist sogar das Finale in der Champions League möglich.

Nichts ist älter als die Zeitung von gestern, aber manchmal ist es ganz spannend, eine alte Zeitung noch einmal zur Hand zu nehmen. Bei Twitter hat jemand dieser Tage den Sportteil der holländischen Tageszeitung „Algemeen Dagblad“ vom 17. April 2018 abgebildet. „Was nun?“ ist da in fetten Buchstaben zu lesen. Die Frage bezieht sich auf den Fußballklub Ajax Amsterdam, der an jenem Wochenende nach einem 0:3 gegen PSV Eindhoven den Meistertitel endgültig abschreiben musste. Unter anderem wurde auch Trainer Erik ten Hag als einer der vermeintlich Verantwortlichen für die Misere abgebildet: „Ten Hags obsessive Arbeitsweise bringt keine Fortschritte“, stellte das „Algemeen Dagblad“ fest.

Damals war das noch eines der harmlosen Urteile über ten Hag. Jack van Gelder, der vermutlich bekannteste Sportkommentator der Niederlande, schrieb bei Twitter: „Dieser Mann ist vollkommen ungeeignet für Ajax.“ Und vertrat ganz sicher keine Minderheitenmeinung.

Inzwischen fällt das Urteil geringfügig anders aus. Auf den Tag ein Jahr nach dem Verdikt des „Algemeen Dagblad“ bezeichnete die „Gazetta dello Sport“ Erik ten Hag als „Il Fenomeno“, nachdem er mit seinem Team Juventus Turin aus der Champions League geworfen und mit Ajax das Halbfinale des Wettbewerbs erreicht hatte – zum ersten mal seit 22 Jahren. Und wer nacheinander den Titelverteidiger Real Madrid und Juventus Turin ausschaltet, der ist vielleicht auch im Halbfinale gegen Tottenham Hotspur (21 Uhr, Sky und Dazn) nicht völlig chancenlos.

Ajax’ Trainer bekommt jetzt auch in seiner Heimat die Anerkennung, die ihm lange verwehrt geblieben ist. Ten Hag, vor 49 Jahren in Haaksbergen nahe der deutschen Grenze geboren, gilt als wenig charismatisch. Dazu stören sich die Amsterdamer an seinem schnarrenden Akzent. Die Abneigung gegen den Trainer aus der Provinz sagt einiges über die Arroganz der Hauptstadt im Allgemeinen und bei Ajax im Besonderen. Ten Hag hat als Mittelfeldspieler mehr als 300 Ligaspiele bestritten – allerdings nur für Vereine aus der zweiten Reihe. Er war Trainer in Almelo, Enschede und Utrecht. Auch das gilt bei Ajax nicht unbedingt als Qualitätsmerkmal. Seit knapp zwei Wochen aber ist Erik ten Hag einer von nur fünf holländischen Trainern, die es mit einem holländischen Klub unter die besten vier Mannschaften Europas geschafft haben.

Ajax hat in dieser Saison so viele Tore geschossen wie keine holländische Mannschaft zuvor

Dass viele Urteile über ihn unfair waren, zeigt sich spätestens jetzt. 160 Tore hat Ajax in dieser Saison bereits geschossen – so viele wie keine holländische Mannschaft je zuvor. In 69 Pflichtspielen seit ten Hags Amtsantritt im Dezember 2017 holte das Team 166 Punkte. Sein Schnitt (2,4 Punkte pro Spiel) ist besser als der des gefeierten Peter Bosz (2,13) und auch der von Frank de Boer (2,02), der 2014 den bisher letzten Titel mit dem Klub gewann.

Ein Titel – das ist es, was ten Hag noch fehlt, vor allem für sein Standing in der Öffentlichkeit. Aber in dieser Saison hat er immerhin noch drei Möglichkeiten: in der Champions League, im Pokal, in dem Ajax am Sonntag das Finale gegen Willem II bestreitet, und in der Meisterschaft, in der die Amsterdamer dank der besseren Tordifferenz knapp vor Titelverteidiger Eindhoven liegen.

Die Mannschaft, die gerade Europa begeistert, ist in vielerlei Hinsicht ten Hags Werk. Er hat wichtige strategische Entscheidungen getroffen: hat Frenkie de Jong aus der Abwehr ins Mittelfeld vorgeschoben und den damals erst 19 Jahre alten Matthijs de Ligt zum Kapitän gemacht, um dem Team mehr Ausstrahlung zu verschaffen. Dass Ajax gerade für die Renaissance des holländischen Offensivfußballs gefeiert wird, liegt auch daran, dass ten Hag sich von einer holländischen Eigenart verabschiedet hat. Im heiligen 4-3-3 war es ein unantastbares Gesetz, dass die Schuhe der Außenstürmer weiß sein müssen von den Kreidemarkierungen am Spielfeldrand. Bei ten Hag hingegen sollen sich die Außenstürmer in die Mitte orientieren. Denn wer die Mitte kontrolliert, kontrolliert auch das Spiel.

Mag sein, dass seine Zeit in Deutschland dabei eine Rolle gespielt hat. Zwei Jahre trainierte ten Hag die U 23 des FC Bayern München. In dieser Zeit hat er oft beim Training der Profis zugeschaut. Deren Trainer hieß: Pep Guardiola.

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