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Wieder einer drin. Die deutsche Mannschaft kassierte in den beiden vergangenen Heimspiele sechs Gegentore.

© Herbert Bucco/Imago

Abwehrschwäche der Fußball-Nationalmannnschaft: Warum die aktuelle Verteidiger-Generation nicht konkurrenzfähig ist

Zumindest unterhaltsam war das Spiel gegen der deutschen Nationalelf gegen die Schweiz. Aber es offenbarte auch eine gravierende Schwäche. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Michael Rosentritt

Man spricht zu Recht von einer guten Moral, wenn eine Mannschaft in einem Spiel nach Rückständen immer wieder zurückkommt. Wie beim wilden 3:3 gegen die Schweiz zum Beispiel.

Die deutschen Spieler und der deutsche Trainer bemühten hinterher wahlweise die gute Moral und den guten Geist, der in der Mannschaft stecke. Aber wie soll man es nennen, wenn dieselbe Mannschaft in einem einzigen Fußballspiel – noch dazu als Favorit – so oft in Rückstand gerät,  dass sie das Spiel maximal unentschieden gestalten  kann?

Dafür gibt es einige Bezeichnungen, die wir uns an dieser Stelle aber verkneifen wollen. Nein, in der deutschen Abwehr herrschten erneut grandiose Chaosmomente. Wie schon vor einer Woche beim 3:3 gegen die Türken. Das Team von Joachim Löw hat in einer Woche in drei Spielen zweimal drei Gegentore kassiert gegen Mannschaften, die nun wirklich nicht aus dem obersten Regal kommen. Vorschub bot Löw selbst, der in allen drei Spielen in der Abwehr eine andere Besatzung aufbot.

Bei allem Verständnis für eine ausgewogene Belastungssteuerung in Zeiten wie diesen – die deutsche Mannschaft hat ein gewaltiges Abwehrproblem.

Das Aufbauspiel aus der Abwehr heraus ist schwerfällig und daher mangelhaft

Und das im Land der Eckels, Schwarzenbecks, Augenthalers und Kohlers. Die großen Turniermannschaften der Deutschen hatten stets starke Abwehrreihen. Beim bislang letzten WM-Titel hatte Löw in Ermangelung geeigneter Außenverteidiger mit Erfolg das Kunststück fertig gebracht, seine Viererkette aus vier reinen Innenverteidigern (Boateng, Mertesacker, Hummels und Höwedes) zu formen.

Heute, so scheint es, hat Löw schon Probleme ein ideales Innenverteidiger-Paar zu finden. Ist die aktuelle Verteidiger-Generation nicht so gut? Boateng und Hummels hatte der Bundestrainer im Frühjahr 2019 ja ohne Not rasiert.

Unter ihren Nachfolgern Ginter, Rüdiger, Süle, Stark und Tah hat sich noch keiner herauskristallisiert, der die Reihe organisieren und führen kann. Das Aufbauspiel aus der Abwehr heraus ist schwerfällig und daher mangelhaft, die Abwehrorganisation bei Tempogegenstößen des Gegners nach Ballverlust ist abenteuerlich und schwer verbesserungswürdig. Das Gleiche trifft auf die Kommunikation in der letzten Reihe zu. Es findet kein Coachen untereinander sowie der Vorderleute statt.

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Im Herbst 2020 ist die deutsche Nationalmannschaft in ihrer letzten Reihe noch ein höchst fragiles Gebilde. Und vermutlich wird sich das Bild in den drei Länderspielen im November nicht sonderlich ändern. Der Bundestrainer muss aber an der Stabilität seiner Mannschaft arbeiten und sollte nicht so viel experimentieren, will man im kommenden Sommer tatsächlich um den Titel bei der EM mitspielen.

„Wir müssen erwachsener verteidigen“, sagte der junge Offensivspieler Kai Havertz nach dem Spiel. Er selbst hatte nach vorn einiges ausgelöst und ein Tor erzielt. Doch so sehr die Offensive sich mühte und streckenweise gefiel mit ihrem Tempo und ihrer Variabilität, sie konnte am Ende nicht so viele Tore erzielen, wie sie hinten schluckte.

Das alles hatte zwar einen gewissen Unterhaltungswert, aber einen, der einem fast die Sprache verschlug. Die deutsche Abwehr spielte wie von allen guten Geistern verlassen.

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