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Peter Niemeyer im Derby gegen den 1. FC Union.

© dpa

125 Jahre Hertha BSC: Peter Niemeyer: "Ich fand das mit Otto Rehhagel ganz cool"

Abstieg, Aufstieg, Relegation: Im Interview spricht der Peter Niemeyer, der frühere Kapitän von Hertha BSC, über die turbulenten Jahre seit 2010.

Herr Niemeyer, als Sie im Sommer 2010 von Werder Bremen nach Berlin gekommen sind, war Hertha BSC gerade abgestiegen. Welche Erinnerung haben Sie an die Stimmung im und um den Verein?

Generell war das natürlich eine komplizierte Situation. Ein Jahr zuvor hatte der Verein noch um die Meisterschaft mitgespielt – und plötzlich findet er sich in der Zweiten Liga wieder. Ich nehme an, dass das nicht einfach war.

Sie nehmen an?

Ich bin erst am Ende der Vorbereitung nach Berlin gekommen, wenige Tage vor der ersten Runde im DFB-Pokal. Da waren die Wunden schon geleckt. Es gab sogar wieder eine Aufbruchsstimmung, von wegen: Wir packen’s an. Wir machen diesen Ausrutscher wieder wett. Ich kann mich noch erinnern, dass bei unserem ersten Spiel ein Transparent im Stadion hing, auf dem sinngemäß stand: Jetzt marschieren wir durch die Zweite Liga. Das war auch die Stimmung in der Mannschaft. Erst recht nach dem ersten Spiel gegen Oberhausen. Wir haben 0:1 zurückgelegen und noch 3:2 gewonnen. Da war der Bann gebrochen, und danach hatten wir echt ein geiles Zweitligajahr.

Beim Auftakt gegen Oberhausen waren 50.000 Zuschauer im Olympiastadion. Das spricht nicht gerade für eine tiefe Depression in der Stadt.

Das war echt krass. Ich kam aus Bremen, wo die Fans einerseits sehr verwöhnt waren, weil sie immer Hurrafußball geboten bekommen haben. Andererseits konnten die auch sehr, sehr kritisch sein, wenn es mal nicht lief. Und dann wechselst du zu einem Absteiger, denkst, dass du dir erst einmal wieder Kredit erarbeiten musst – und dann kommen 50.000 zum ersten Heimspiel gegen Oberhausen. Das war natürlich ein Mega-Startschuss für uns.

Was hat sie damals bewogen, von einer Top-Mannschaft der Bundesliga in die Zweite Liga zu wechseln?

Hertha war ja immer noch ein Riesenverein. Ich hatte einfach das Gefühl, dass der Abstieg nur ein Ausrutscher war und dass ich bei Hertha mithelfen kann, etwas aufzubauen. Und zwar in einer ganz anderen Position als in Bremen. Wenn man mal ehrlich ist, war ich bei Werder unter den ganzen Stars doch nur ein Mitläufer. Einer, der zwar immer zu seinen Einsätzen gekommen ist, wenn jemand verletzt war. Aber ein Hauptdarsteller war ich bei Werder nie.

Und für Sie hat Hertha damals nur für eine Saison Zwangsurlaub in der Zweiten Liga gemacht.

So ungefähr. Für mich war das ein halber Schritt zurück, um im Jahr darauf zwei Schritte nach vorne zu machen.

Wie lange haben Sie gebraucht, um sich bei Hertha und in Berlin heimisch zu fühlen?

Bei Hertha ging das sehr schnell. Das war einfach eine geile Zeit mit den Typen, die wir in der Mannschaft hatten, mit Maikel Aerts, André Mijatovic und besonders dem Trainerteam Markus Babbel und Rainer Widmayer. Das passte im ersten Jahr super. Dadurch habe ich mich in diesem Verein sofort sehr wohl und auch heimisch gefühlt. Was ich von der Stadt nicht unbedingt sagen kann. Da habe ich echt ein bisschen gebraucht.

Warum?

Das war für mich ein Kulturschock. Ich kam vom platten Land.

Immerhin aus Bremen.

Ja, aber Bremen wird auch das Dorf mit der Straßenbahn genannt. In Berlin hast du U-Bahn, S-Bahn und Tram zugleich. Da musste ich mich erst einmal klar kommen. Aber auch das hat sich längst geändert.

Hertha ist 2011 souverän aufgestiegen, anschließend gut in die Bundesligasaison gestartet. Die Mannschaft hat unter anderem beim Meister Dortmund gewonnen und stand im Winter auf Platz elf. Was ist danach schief gelaufen?

Die Rückrunde war für mich ein sehr schwieriges, aber auch ein sehr lehrreiches halbes Jahr – weil man einfach gemerkt hat, wie fragil so ein Gebilde ist. Wie schnell es den Bach runtergehen kann, wenn Puzzleteilchen nicht mehr zueinander passen. Die Wunden haben richtig schön geeitert. Das war krass.

Sie hatten in fünf Jahren bei Hertha fünf Cheftrainer, plus zwei Interimstrainer.

Deswegen freue ich mich, dass der Klub jetzt wieder eine ruhigere Phase erlebt, dass Hertha endlich ein stabiler Erstligist ist, der wieder nach oben schauen kann. In den fünf Jahren, in denen ich da war, war das leider nicht immer der Fall. Wir waren immer irgendwie Suchende, hatten viel mit uns selbst zu tun. Es gab zwar auch stabilere Phasen, aber dann haben wir diese Stabilität auch wieder verloren. Nach überragenden Hinrunden war die Rückrunde dann nicht mehr so gut. Auch nach unserem ersten Aufstieg, als nach der Winterpause auch nicht mehr viel zusammenpasste.

Erst kam Michael Skibbe für Markus Babbel, dann Otto Rehhagel für Skibbe. Wissen Sie noch, wie Sie erfahren haben, dass Rehhagel Ihr Trainer wird?

Ja. Und wissen Sie was: Ich fand das eigentlich ganz cool. Die Vereinsführung hat sich ja auch was dabei gedacht, und das hat anfangs sogar funktioniert. Otto Rehhagel war eine Trainerlegende, die wahnsinnig viel erreicht hatte. Natürlich war er schon ein älteres Semester, aber es war Wahnsinn, wie er belagert wurde, wenn wir irgendwo am Flughafen angekommen sind. Egal wo, Rehhagel wurde von jedem nach einem Autogramm oder einem Foto gefragt. Dabei war ihm das gar nicht so recht, weil er eigentlich ein sehr zurückhaltender Mensch ist.

Das war auch die Idee hinter der Verpflichtung: Rehhagel gibt die Galionsfigur für die Öffentlichkeit, damit die Mannschaft in Ruhe arbeiten kann. Warum hat das nicht funktioniert?

Wenn du einmal in einen Strudel gerätst, ist es schwer, da wieder rauszukommen. Und ich glaube, dass wir längst in diesem Strudel drin waren, als Otto Rehhagel kam. Du konntest eigentlich machen, was du wolltest: Wir haben das Schiff nicht mehr über Wasser halten können. Das hatte einfach schon zu viele Löcher. Auch Ante Covic und René Tretschok

… Rehhagels Assistenten …

… haben ihr Bestes gegeben. Wir hätten es beinahe noch geschafft. Aber am Ende war der Abstieg die Summe aus ganz vielen Dingen, die schiefgelaufen sind.

Hatte die Mannschaft nach dieser Vorgeschichte schon vor der Relegation gegen Fortuna Düsseldorf latente Zweifel?

Überhaupt nicht. Am letzten Spieltag hatten wir Hoffenheim geschlagen und es dadurch erst in die Relegation geschafft. Da habe ich wirklich gedacht: Wir packen das. Aber dann sind die beiden Relegationsspiele so verlaufen, wie sie eben verlaufen sind. Und das, was danach kam, war wirklich das Schlimmste, was ich in meinem Leben mitgemacht habe.

Meinen Sie den Platzsturm in Düsseldorf oder das Nachspiel vor dem DFB-Sportgericht?

Vor allem die juristische Auseinandersetzung. Das hat mich ein Stück weit geprägt. Das werde ich nie vergessen. Mental war das extrem belastend.

Sie waren einer der Spieler, die in Frankfurt am Main vor dem Sportgericht aussagen mussten.

Wir sind morgens von Christoph Schickhardt …

… Herthas Anwalt …

… am Flughafen abgeholt worden, wurden kurz vom Richter belehrt und mussten dann stundenlang in einem Raum in der DFB-Zentrale warten. Da haben wir am BZ-Ticker die Verhandlung verfolgt. Als wir am späten Nachmittag endlich dran kamen, wussten wir gar nicht, was wir sagen sollen, weil es auch viel um Emotionen ging. Wir wollten dem Verein natürlich helfen. Das waren schon harte Tage.

"Das war das Schlimmste, was ich mitgemacht habe"

Inwiefern hat Sie das geprägt?

Das ganze Halbjahr hat mich geprägt, weil ich gemerkt habe, wie so eine Mannschaft ineinander steckt und Kleinigkeiten alles kaputt machen können. Es gab Zeiten, in denen ich es mir auch in meiner eigenen Komfortzone bequem gemacht habe. Aber in diesem halben Jahr habe ich versucht, meinen Mann zu stehen. So bitter das Ganze war: Als Mensch war diese Erfahrung für mich auch eine Bereicherung.

Die Mannschaft hat nach der Relegation sogar noch weiter trainiert.

Das passte irgendwie. Die ganzen zwei Wochen mit der Relegation und dem Nachspiel waren sehr skurril. Als wir einmal im Olympiastadion trainiert haben, hat, glaube ich, die Bild-Zeitung eigens einen Hubschrauber aufsteigen lassen, um uns zu filmen. Alles in allem war das eine extreme Situation, auch als wir weiter trainiert haben, in der vagen Hoffnung auf ein Wiederholungsspiel. Richtig geglaubt haben wir daran nicht.

Wenn Sie sich anschauen, wie sich Hertha seitdem entwickelt hat …

… ist das der Wahnsinn. Ich muss auch sagen: Die Zweitligasaison nach dem Relegationschaos war das geilste Jahr in meiner Karriere. Wir sind da durch die Liga gerauscht, hatten die höchste Punktzahl, die eine Mannschaft jemals in der Zweiten Liga erreicht hat, waren zwischenzeitlich 21 Spiele ungeschlagen. Und wir hatten eine geile Truppe.

War der Aufstieg 2013 nach dieser Vorgeschichte das Highlight Ihrer Karriere?

Dass ich 2009 mit Werder den DFB-Pokal gewonnen habe und im Uefa-Cup-Finale von Anfang an gespielt habe, das waren auch Highlights. Aber dieses Zweitligajahr mit Hertha war sicher ein besonderes Jahr, auch durch die Position, die ich als Kapitän hatte. Wir sind mit so viel Altlasten in die Saison gestartet, hatten zu Beginn große Probleme: Wir sind im Pokal bei Wormatia Worms ausgeschieden, haben beim FSV Frankfurt verloren, Thomas Kraft und Lewan Kobiaschwili waren gesperrt, Kobi sogar ein halbes Jahr. Und dann haben wir da so eine Saison hingezaubert. Das war schon geil und hat echt Spaß gemacht.

Würden Sie sagen, dass Sie nach all dem, was Sie erlebt haben, sogar zum Hertha-Fan geworden sind?

Wenn man so viel Dreck gefressen, aber auch so viel miteinander gefeiert hat – das lag bei Hertha ja immer eng beieinander –, entwickelt man schon wahnsinnige Sympathien für diesen Verein. Ja, ich glaube, das kann man schon sagen, dass ich Hertha-Fan geworden bin.

Dann dürfte es Ihnen sehr wichtig gewesen sein, dass Sie bei Ihrem Weggang vor zwei Jahren die Zusage bekommen haben, nach ihrer aktiven Karriere zu Hertha zurückkehren zu können.

Total. Ich bin ja auch nicht im Bösen gegangen. Natürlich gab es zwei, drei Wochen, die scheiße gelaufen sind. Aber Pal Dardai hatte andere Vorstellungen – das war dann auch okay.

Wie sieht Ihr Plan aus: noch einmal aufsteigen mit Darmstadt 98 – und dann zurück zu Hertha?

(Lacht.) Ich habe das noch gar nicht entschieden. Auf der einen Seite habe ich noch richtig Bock, Fußball zu spielen. Auf der anderen freue ich mich auch auf Hertha.

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