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Die Publizistin Lea Rosh im Februar 2018 in Berlin.

© Ériver Hijano

Sicherheit/Freiheit: Lea Rosh: "Auf dem Glastisch standen Salzstangen. Salzstangen!"

Die Publizistin Lea Rosh erzählt, wann sie sich einmal zwischen Sicherheit und Freiheit entscheiden musste.

In den 50er Jahren studierte ich an der Freien Universität. Dort gab es einen Soziologie-Dozenten, in den ich verknallt war. Mir gefiel seine Art zu argumentieren so außerordentlich gut. Man verstand, was er sagte. Nein, ich verstand, was er sagte. Er war natürlich älter als ich, Anfang 30. Ich flirtete mit ihm in den Diskussionen nach der Vorlesung: Blicke hin, Blicke her. Irgendwann lud er mich ein: Wir könnten doch mal einen Schluck Wein zusammen trinken, am Dienstag am besten, da war Fastnacht.

Ich stellte mir vor, dass er in einer Art Bibliothek wohnte, viele Bücher, Stuck an der Decke. Ich war aufgeregt und zog mich sorgfältig an: ein schönes dunkles Kleid. Das Taxi setzte mich an der Adresse in Schmargendorf ab - und was war das für eine Enttäuschung! Ein gelber Neubau, und er wohnte auch noch parterre. Er trug grauen Anzug, wie immer, na, machte ja nichts. Er führte mich in ein winziges Zimmer. Überall hingen Papiergirlanden, rot, gelb, grün, blau. Auf dem niedrigen Glastisch drei Gläser mit Salzstangen. Salzstangen! Und dann sagte er zu mir: "Du bist meine Königin." Was sollte denn das heißen? Wenn das so weitergeht, kommt er noch mit einem Heiratsantrag ... Das hatte mir gerade noch gefehlt. Er hatte mir noch nichts zu trinken angeboten, da sagte ich: "Warte, Dietrich, ich muss noch mal schnell nach Hause, ich hab was vergessen." Dann bin ich abgehauen.

Und bin zu einem anderen Mann gefahren, mit dem ich eigentlich auch verabredet gewesen war. Der wohnte in Charlottenburg, in einem herrlichen Altbau. Er nahm mich in den Arm, redete nicht lange, sondern küsste mich. Heftig, zärtlich. Er wurde dann meine erste wirklich große Liebe: jahrelang, schwierig, aber es war das Gegenteil von Salzstangen auf dem Tisch. Jahre später habe ich meinen Dozenten wiedergesehen, mit seiner Frau, untergehakt. Ich dachte nur: Glück gehabt, dass ich nicht an dem hängen geblieben bin.

Lea Rosh, geboren 1936 in Berlin als Edith Renate Ursula Rosh, ist Publizistin und Fernsehjournalistin. Für ihr Engagement gegen Antisemitismus und für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde sie vielfach ausgezeichnet.

Protokoll: Jan Oberländer

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