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Serie Bundestagswahlen: 1965: Wahl im Übergang

1965 wurde der CDU-Politiker Ludwig Erhard als Kanzler bestätigt. Ein Jahr später war er gestürzt. Die Große Koalition begann – ohne Neuwahlen.

Die Wahl am 19. September 1965 war eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Erstmals trat Konrad Adenauer nicht mehr an, er hatte 1963 zugunsten von Ludwig Erhard „abgedankt“, dessen Name mit dem „Wirtschaftswunder“ der 50er Jahre verbunden war – einer vergangene Zeit zwar, denn Mitte der 60er Jahre waren die hohen Wachstumsraten der Aufbaujahre nicht mehr zu schaffen. Doch trug die Popularität des jovialen Erhard, der sich gern als Zigarre schmauchender Gemütsmensch darstellte, noch weit genug, um der Union einen ordentlichen Wahlsieg zu bescheren.

Erhard schnitt besser ab als Adenauer vier Jahre zuvor, die Union kam auf 47,6 Prozent. Was auch daran lag, dass die FDP ihr außerordentlich gutes Ergebnis von 1961 nicht halten konnte und jetzt nur noch 9,5 Prozent holte. Erhards Wirtschaftskompetenz hatte sie wenig entgegenzusetzen, die Partei war auch schon im Umbruch – weg vom Satellitenstatus als Dauerpartnerin der Union, hin zu einer neuen Offenheit für Koalitionen mit der SPD. Darauf arbeitete die Partei nicht zuletzt in Nordrhein-Westfalen schon längere Zeit hin, angeführt vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden Willi Weyer.

 Brandt legt zu - es reicht nicht

Enttäuscht war die SPD, obwohl sie ihr Ergebnis nochmals deutlich verbessern konnte und auf einen historischen Bestwert kam: 39,3 Prozent. Willy Brandt trat wieder als Kanzlerkandidat an, er hatte die Partei nun endgültig an die Regierungsfähigkeit im Bund herangeführt (seit 1964 war der Regierende Bürgermeister von Berlin auch Parteichef). Wie schon 1961 wäre rechnerisch ein sozialliberales Bündnis möglich gewesen, und politisch war diese Option angesichts der neuen Beweglichkeit der FDP sogar chancenreicher als vier Jahre zuvor. Allerdings hätte eine SPD/FDP-Koalition nur sechs Sitze mehr gehabt als die Union – das erschien den sozialdemokratischen Strategen, voran Herbert Wehner, als zu knapp.

 Schwarz-Gelb mit Hängen und Würgen

So regierte in Bonn Schwarz-Gelb erst einmal weiter, mit Hängen und Würgen und einem Kanzler Erhard, der seinen eigenen Laden nicht geschlossen hinter sich hatte. Adenauer spottete über ihn, ein Teil der Partei tendierte hin zur großen Koalition, die Erhard nicht wollte. Und in der CSU hatte der ruhelose Geist des Franz Josef Strauß die Fäden wieder in die Hand genommen, nachdem er…. Die CDU stand auch programmatisch an einer Wegscheide: sie musst sich entscheiden zwischen stolzer Beharrung auf das konservative Profil (hatte man nicht seit 1949 nur Erfolge gehabt?) und der Notwendigkeit, neue Herausforderungen anzunehmen, sich für die gesellschaftlichen Aufbrüche der 60er Jahre zu öffnen, was Erhard anpeilte.

Aber ein Großteil der Partei machte nicht mit. Dagegen stand nun eine SPD, die Neues bot – in der Innenpolitik mehr Freiheit, Demokratie, Jugendlichkeit, in der Wirtschaftspolitik die planerisch-lenkende „Globalsteuerung“ nach keynesianischem Muster, und auch eine neue Außenpolitik mit mehr Öffnung nach Osten. Brandt hatte die einstige Arbeiterpartei nochmals  weiter geöffnet, indem er sich im Wahlkampf mit prominenten Schriftstellern und Künstlern umgab. So konnte der den Aufbruch glaubwürdig repräsentieren. Und er war Emigrant, an ihm klebte keine braune Vergangenheit wie an vielen anderen in der politischen Klasse jener Zeit.

 Erhard wird weggeputscht

Seine Stunde kam schneller, als viele am Wahlabend gedacht hatten. Ein gutes Jahr später hatte die Union ihren Kanzler Erhard demontiert und zermürbt, die Koalition mit der FDP zerbrach an einem Streit um die richtige Reaktion auf die Wachstumsdelle von 1966: Die Freidemokraten wollten keine Steuererhöhungen (und Schwarz-Gelb hatte mit Blick auf die Wahl 1965 ja auch erst die Steuern gesenkt), im Oktober 1966 zogen sich die vier FDP-Minister aus dem Kabinett zurück, in der Union wurde Erhard regelrecht weggeputscht und Kurt-Georg Kiesinger, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, als Kanzlerkandidat für eventuelle Neuwahlen bestimmt. Die kamen dann gar nicht, weil sich am 1. Dezember 1966 im Bundestag die Große Koalition bildete – mit Kiesinger als Kanzler und Brandt als Außenminister. Den Wähler fragte man lieber nicht.

 Strategisches Bündnis

Die führenden Sozialdemokraten, Brandt, Wehner und Helmut Schmidt (der 1967 Fraktionschef wurde), waren der Meinung, dass sich die Sozialdemokratie in einer Koalition mit der Union gegen diese profilieren sollte – als der bessere Teil der Regierung. CDU und CSU sahen die Sache genau andersherum: Eine Große Koalition sollte die SPD einbinden und dabei klein halten. Das gelang jedoch nicht. Kiesinger wurde zum Kabinettsmoderator degradiert, denn mit einem Koalitionspartner auf Augenhöhe verlor das Kanzleramt die nötige Führungsfähigkeit.

Schmidt konstatierte trocken: „Es gibt keine Richtlinienkompetenz gegen Brandt und Wehner.“ In der Tat war es in den drei Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl vor allem die SPD, die sich in dieser Koalition der Großparteien weiter profilieren konnte. Schwarz-Rot brachte übrigens einige Großprojekte auf den Weg – die im Kern bis heute geltende neue Finanzverfassung etwa und die damals heftig umstrittene Notstandsgesetzgebung.

Die weiteren Teile der Serie zu den Bundestagswahlen lesen sie hier.

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