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Dürfen die das? Millionen Raubtiere leben in deutschen Wohnungen.

© i-stock, Fotolia. Montage: D. Streuber

Serie - Auf der Fährte (3): Mein Haus, mein Auto, mein Python

Sie lassen sich nicht streicheln, liegen reglos herum, sind giftig oder gefährlich. Und doch werden in ganz Deutschland exotische Tiere gehalten – auch in Berlin. Spinnen, Schlangen Krokodile. Warum nur?

Die tut nichts. „Da können Se janz beruhigt sein“, sagt der Verkäufer. Vogelspinnen sind doch ganz harmlose Tiere, ein bisschen gruselig vielleicht, weil sie so groß sind. Aber gefährlich? Höchstens wie ein Wespenstich, wenn sie mal zubeißen sollten. „Schwarze Witwe, das ist ein anderes Kaliber, da sind Se schnell in die Ewige Jagdgründe, junger Mann.“ Aber doch nicht die Vogelspinne, „können Se ruhig kaufen“. Preiswert obendrein. „25 Euro die große, 19 die kleine, aber die wächst ja auch noch.“

Angelika Hollerbaum würde sich keine kaufen. Sie hat ein großes Herz für Krabbeltiere, deshalb ist sie auch Vorsitzende des Berliner Vereins „IG Terraristik“. Aber Spinnen, nein, die sind nun wirklich nicht ihr Ding. „Viel zu viele Beine“, sagt sie. Dann also Schlangen? Auch nicht. „Viel zu wenig Beine.“ Stattdessen Echsen und Insekten. 36 von den einen hat sie zu Hause, 120 von den anderen. Prachtstück: ein Leguan, stattliches Exemplar, 1,50 Meter lang.

Es begann damit, dass ihr Mann eines Tages eine Tierfellallergie bekam. Familiäres Drama. Ohne Tiere leben – undenkbar. Also mussten felllose Tiere her, und Angelika Hollerbaum, 54 Jahre und von Beruf Betreuerin in einer Behinderteneinrichtung, war zuerst nicht sonderlich erfreut über die neuen Hausgenossen. Aber das ist lange her, 15 Jahre, und seitdem krabbelt es in ihrer Wohnung, was das Zeug hält. Drei Terrarien im Wohnzimmer, weitere im Flur, eine ganze Terrarienwand in der Küche. „Nichts Ekliges“, sagt sie, weil sie weiß, dass sich manche vor so viel Krabbelei erschrecken, „nichts Ekliges, alles trocken.“ Und auch nichts Giftiges, Gott bewahre. „Giftige Tiere in Wohnungen lehne ich ab.“

Damit auch andere von der Harmlosigkeit ihres Hobbys überzeugt werden, hat sie eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Im „Jugendclub Treibhaus“ in Marzahn hat sie ein paar Terrarien aufgestellt, Agamen, australische Gespensterschrecken, Pferdekopfschrecken. Den Kindern und Jugendlichen will sie damit das Fürchten nehmen und ihnen von ihrer Faszination Kunde bringen: Wie die sich bewegen! Die Ruhe, die sie ausstrahlen!

Wer nun denkt, Angelika Hollerbaum habe sich ein etwas seltenes Hobby ausgesucht, der irrt. Bis zu 800 000 Reptilien werden jedes Jahr nach Deutschland importiert, berichtet das Statistische Bundesamt. Die Faszination, die von all diesen kriechenden und schlängelnden Exemplaren ausgeht, scheint ein Massenphänomen zu sein. Was aber ist der Grund dafür? Schließlich sind die Tiere weder streichel- noch spielgeeignet, liegen oft lange bewegungslos in den Vitrinen oder huschen vorüber, schneller, als das Auge folgen kann.

„Sie sind auf jeden Fall nichts für Leute, die einen besten Freund suchen“, sagt Heiko Werning. Ein Kenner der Szene, nicht nur weil er Chefredakteur der Zeitschrift „Reptilia“ ist. Er hat für seine Tiere überdies eine eigene kleine Wohnung gemietet, ein eigenes Reich für seine Lieblinge, in dem sie ganz ungestört sind. 30 südamerikanische Leguane hält er da zum Beispiel. „Die Faszination ist schwer zu vermitteln“, sagt er. Schon als Kind hätten ihm Eidechsen und Frösche besser gefallen als andere Tiere. Mittlerweile aber überwiege das biologische, wissenschaftliche Interesse.

Ist das wirklich alles? Könnte da nicht auch eine Lust am Schaurig-Schönen sein, die Attraktivität des Gruseligen? „Das kommt ganz darauf an, was Sie gruselig finden“, sagt Heiko Werning. Es gebe ja auch Leute, die gern Dieter Bohlen gucken, und den finde nun er wiederum gruselig. Im Übrigen hält er ja keine gefährlichen Tiere. „Giftschlangen würde ich mir nicht zutrauen.“

Raimo Hühn, Handwerker von Beruf und Reptilienfreund aus Leidenschaft, hat damit keine Probleme. Klapperschlangen hat er besessen, Kobras, Krokodile, viele Jahre lang. Aber dann musste er von ihnen Abschied nehmen, zu wenig Zeit für die Familie. Manchmal freilich muss er doch noch ran ans Tier. Sein Fachwissen ist immer noch gefragt. Manchmal ruft die Feuerwehr bei ihm an oder die Polizei. Wenn wieder mal ein Tier ausgebrochen ist aus einer Wohnung oder ausgesetzt wurde, weil der Besitzer seiner Habe überdrüssig war. Vergangenes Jahr zum Beispiel, in Bernau ist es gewesen, ein vier Meter langer Tigerpython war ausgebüxt. Da ist Raimo Hühn natürlich hin mit Schlangenhaken, Zange und ein paar Helfern. Denn als Faustregel gilt: pro einen Meter Schlange ein Mann. Nicht ungefährlich so eine Aktion. Der Python faucht, richtet sich auf, schnellt nach vorne. Aber alles gut gegangen.

Dass in Bernau und Umgebung eine vier Meter lange Schlange zu Hause gehalten wird, ist selten, aber es kommt vor. Es ist nämlich nicht verboten. Wäre der Wohnort des Python ein klein wenig weiter südlich gewesen, dann hätte die Sache anders ausgesehen. Denn in Berlin ist seit der Gefahrtierverordnung vom Februar 2010 die Schlangenlänge auf maximal zwei Meter begrenzt. Jeder Zentimeter darüber ist illegal. Und das Halten von giftigen Tieren sowieso.

Die Freunde exotischer Tiere erzürnt das. „Eine Verordnung, mit der sich Berlin ins eigene Knie geschossen hat“, sagt Raimo Hühn. Denn seitdem seien viele in die Illegalität getrieben worden. Nicht alle haben es ja so gemacht wie er: Fachkundenachweis erbracht, Tiere angemeldet. Wer das tut, darf auch in Berlin gefährliches Viehzeug halten. Aber wer tut das schon? Nicht mal jeder zweite Hund ist hier gemeldet. Von Skorpionen, Taranteln, Krokodilen, Schlangen oder gar gefährlichen Säugetieren ganz zu schweigen. Und weil manche Leute vor ihrem illegalen Tun plötzlich Angst bekommen, steigt die Zahl der ausgesetzten Tiere.

Nur in jedem zweiten deutschen Bundesland ist die Haltung überhaupt geregelt. Das empört wiederum die Tierschützer. Sie wollen ein generelles Verbot, exotische Tiere privat zu halten. Aber ein deutschlandweites Gesetz wird wohl noch auf sich warten lassen. Zwar steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD, dass der Handel von exotischen und wilden Tieren sowie deren Haltung bundeseinheitlich geregelt werden soll. Aber geschehen ist bisher nichts. Besonders CDU und CSU verhalten sich zögerlich und wollen vor einer eventuellen Gesetzgebung erst eine Studie in Auftrag geben.

Doch selbst wenn es eines Tages zu einer flächendeckenden Regelung kommen sollte, es würde wenig ändern. Denn dem Handel, einem - weltweit betrachtet - Milliardengeschäft, wäre damit kaum ein Riegel vorgeschoben. Es gibt hauptsächlich zwei Handelswege. Da sind zum einen die gewerblichen Reptilienbörsen oder -messen, die es in vielen Städten gibt, allen voran die in Kennerkreisen berühmte „Terraristika“ in Hamm, viermal im Jahr findet sie statt. Dort geht es streng geregelt zu, nur zugelassene Aussteller dürfen ihre Exemplare präsentieren. Allerdings weiß niemand, was jenseits der Ausstellungshallen geschieht, hinter den Parkplätzen, in den Seitenstraßen. Tierschützer jedenfalls berichten von regen illegalen Verkäufen, da wandere schon mal ein Krokodil von einem Kofferraum zum nächsten.

"Kinderlieber Löwe zu verkaufen, sehr häuslich"

Dürfen die das? Millionen Raubtiere leben in deutschen Wohnungen.
Dürfen die das? Millionen Raubtiere leben in deutschen Wohnungen.

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Der andere Vertriebsweg ist das Internet. Unkontrollierbar wird dort in tausenden von Kleinanzeigen angeboten, was das Herz des Exoten-Liebhabers begehrt. Eine Kornnatter für 80 Euro, ein Skorpion für 8, ein Seidenäffchen für 550, ein kleiner Königspython für 250, ein größerer für 550, Schildkröten, Papageien, Kapuzineräffchen, Schimpansen, Kamele, Dromedare. Und wer gerne ein Tiger- oder Leopardenbaby aufs heimische Sofa möchte, auch der wird fündig. Kürzlich war zu lesen: Kinderlieber Löwe zu verkaufen, sehr häuslich. Dem Löwen sind die Krallen operativ entfernt worden.

Verantwortungslose Menschen gebe es eben überall, sagen die organisierten Exoten-Freunde, aber 98 Prozent gingen äußerst gewissenhaft und kundig mit ihren Tieren um. Zwei Prozent also nur, um die man sich Sorgen machen müsste. Eine verschwindend geringe Zahl.

Auch wenn diese Bezifferung korrekt sein sollte, wird die verschwindend geringe Zahl sofort größer, wenn man sich die Massen an Tieren vergegenwärtigt, die in Terrarien oder Käfigen leben. Nach vorsichtigen Schätzungen halten mindestens 800 000 Menschen in Deutschland Exoten, laut den Tierschützern der Organisation „Peta“ sind es sogar zwei bis drei Millionen. Die Zahl der illegalen Halter, jener zwei Prozent, läge demnach zwischen 16 000 und 30 000. Nimmt man nun an, dass jeder davon nur zehn Tiere hält, dann wären das immerhin bis zu 300 000. Nach Erhebungen des Deutschen Tierschutzbundes wurden in den vergangenen 20 Jahren etwa 280 000 grüne Leguane nach Deutschland importiert, 213 000 Pythons, 15 000 Boas.

Bei solchen Mengen kommt es natürlich vor, dass sich Tiere selbstständig machen. Das geschieht nicht oft, aber immer wieder einmal. Der Tigerpython von Bernau ist kein Einzelfall. Im vergangenen November wurde ein Känguru in Werder gesichtet, im Dezember ein Schlangennest mit 30 Exemplaren in einer verwahrlosten Augsburger Wohnung entdeckt, Ende März dieses Jahres wurden sechs Giftschlangen und 60 Skorpione aus einem Plattenbau im sächsischen Oberlungwitz geholt. Erst vor wenigen Tagen beschlagnahmten die Behörden in Baienfurt beim Bodensee ein Python und ein Alligator.

Auch Berlin hat seine Fundstücke. Das Bezirksamt Pankow zum Beispiel weiß von „gelegentlichen“ Hinweisen auf verbotene Tiere und steht dann vor dem Problem der Unterbringung. Gerade in Berlin gestaltet sich die besonders schwierig, da das Land keine eigenen Auffangmöglichkeiten besitzt; das Tierheim in Falkenberg darf gefährliche Tiere nicht aufnehmen. Die Veterinärbehörden müssen dann die Unterbringung bei besonderen Zoohandlungen, lizensierten Privatleuten oder Universitäten selbst organisieren. Ist das nicht möglich und trifft man auf leidende Tiere, werden sie in Ausnahmefällen auch getötet.

Dann wäre es zum Schlimmsten gekommen. Aber Tierschützer sehen bei der Haltung von Exoten noch weitere Gefahren. „Aktion Tier“ spricht von „extrem hoher Sterblichkeit“, 50 Prozent verendeten bereits auf den Transporten. „Peta“ weist auf Gefahren für Menschen hin. Reptilien, sagt Peter Höffken, Fachreferent für exotische Wildtiere, trügen Salmonellenstämme in sich. „Jede dritte Salmonellenerkrankung geht auf den Kontakt mit Exoten zurück.“ Aber auch für die heimische Fauna bestünden Probleme durch ausgebrochene Wildtiere. Das größte Unglück aber geschehe den gefangenen Exoten selbst. „Man sieht es ihnen nicht an“, sagt der „Peta“-Experte, „aber es ist ein stilles Leiden im Wohnzimmer.“

Gleichwohl muss das Halten wilder Tiere auf manche Menschen einen ganz besonderen Reiz ausüben, sonst würde ihre Zahl nicht seit Jahren stetig wachsen. Drei Hauptgründe scheint es dafür zu geben. Einer davon heißt: eine besonders enge Verbindung mit der Natur. Anders als das domestizierte Haustier trägt das Wildtier das Original der Natur noch in sich. Ein zweiter Grund könnten Einsamkeit oder das Fehlen von Sinnhaftigkeit sein. Das exotische Tier, dessen Haltung eine besonders hohe Herausforderung darstellt, ist geeignet, Leerstellen im Leben zu füllen.

Bleibt schließlich der nächstliegende und wohl oft wahrscheinlichste Grund: Es geht um Geltungsdrang, um Prestige, um den Status des Exklusiven. Um den Gestus: Wie stark bin ich, dass ich ein solch gefährliches Tier beherrschen kann; wie unerschrocken, dass ich sogar vor dem giftigsten Wüstenskorpion keine Furcht kenne. Und wenn man seinen Freunden und Bekannten zeigen kann, wie wild die eigenen Haustiere sind, dann fällt der exotische Glanz auch auf einen selbst: born to be wild.

„Genau“, sagt Peter Höffken, „das ist das Problem. Mit Tierliebe hat das nichts zu tun. Das sind lebendige Ausstellungsstücke. Der eine hat einen Porsche, der andere einen Python.“

Dies war Teil 3 unserer Sommerserie "Auf der Fährte". Alle Folgen finden Sie nach und nach auch auf unserer Themenseite.

Bisher waren wir bereits der Berliner Untergrundbewegung auf der Spur: den Ratten.

Und unterwegs mit zwei Stadtplanern, die Berlin für Wildtiere ganz neu entwerfen wollen.

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