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Nicht die gleiche Rechnung für alle: Wir können den Breitbandausbau nicht wertfrei denken, sagt der Informatiker Peter Liggesmeyer.

© Jens Kalaene/dpa

Schnelles Internet: Wir können den Breitbandausbau nicht wertfrei denken

Nicht jedes Anwendungsfeld braucht große Bandbreiten - wir müssen maßgeschneiderte Ökosysteme entwickeln, sagt der Informatiker Peter Liggesmeyer.

Der Breitbandausbau ist im Zuge der Diskussion um die Digitale Transformation ein wichtiges Thema für Deutschland. Ähnlich, wie in den 70er Jahren der Anspruch existierte, in guter Erreichbarkeit einen Autobahnanschluss zu haben, ist es aktuell wichtig einen Zugang zum „digitalen Daten-Highway“ zu haben – sowohl für unsere Wirtschaft und Industrie, als auch für alle Bürger.

Das Ziel der Digitalen Agenda von 50 Mbit wird für einiges nicht ausreichen, etwa für die Telemedizin und das taktile Internet.

Die Frage, ob dabei die Vorgabe von 50 Mbits ausreichend sein wird, wie sie etwa das derzeitige Ziel der Bundesregierung darstellt, lässt sich aus meiner Sicht nicht a priori beantworten, denn für vieles wird diese Bandbreite natürlich absolut ausreichend sein, für einiges aber nicht. Auch die Prognose von Nutzungsraten und eine Veränderung unseres Nutzungsverhaltens legen nahe, dass eine größere Bandbreite nicht schädlich sein kann. 50 Mbit sind aus der aktuellen Sicht aber keine ganz schlechte Zahl und sehr viele Szenarien sind mit einem flächendeckenden Netzausbau in dieser Größenordnung bereits sehr gut realisierbar. In der Diskussion um Bandbreite und Megabits kommen mir allerdings generell einige Aspekte zu kurz: Entscheidend ist doch immer, in welchem Kontext und für welche Anwendungen der Datenaustausch stattfinden soll.

Nehmen wir als Beispiel die Telemedizin. Für einige telemedizinische Anwendungen sind ausreichende Bandbreiten unabdingbar notwendig um große Datenmengen, wie bei der Übertragung von Bildern, Videos oder CTs zu ermöglichen. In anderen Bereichen, darunter bei Assistenzsystemen mit Sensorik, spielt natürlich die Übertragungssicherheit eine entscheidende Rolle. In der aktuellen Diskussion um das sogenannte „Taktile Internet“ steht eine echtzeitfähige Reaktion im Vordergrund, die insbesondere für Steuerungsanwendungen – z.B. für Industrie 4.0 besonders wichtig ist. Das heißt die schnelle und sichere Übertragung binnen Sekundenbruchteilen, kann ausschlaggebend sein.

Wir können nicht wertfrei über den Breitbandausbau diskutieren, sondern nur in Abhängigkeit von Szenarien und Anwendungsfeldern

Umfassend betrachtet können wir nicht wertfrei über den Breitbandausbau debattieren, sondern müssen uns dabei auch immer die möglichen oder angedachten Szenarien- und Anwendungsfelder detailliert anschauen. Die Herausforderungen sind zahlreich und sehr komplex, sie richten sich immer an konkrete Anforderungen und werden meist durch viele Faktoren beeinflusst. Ergo werden beispielsweise Zukunftskonzepte für urbane Räume ganz anders aussehen als solche für ländliche Gebiete. Die besondere Herausforderung, sowohl bei der Gewährleistung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen von staatlicher Seite als auch bei der Etablierung innovativer Geschäftsmodelle durch Unternehmen, liegt abseits von Ballungszentren in der dünnen Besiedlung.

Nicht für alle Szenarien braucht es große Bandbreiten

Distanzen zwischen vergleichsweise wenigen Menschen müssen überbrückt werden. Dies ist unseres Erachtens noch längst nicht gegeben, selbst wenn überall schnelles Internet verfügbar ist. Erst wenn die knappen Ressourcen intelligent miteinander kombiniert werden, ergeben sich nachhaltige und wirtschaftlich rentable Lösungen, die für alle einen Mehrwert schaffen. In unserem Forschungsprogramm „Smart Rural Areas“ fokussieren wir uns deshalb auf tragfähige Zukunftsmodelle für ländliche Regionen – dies kann bestens in einem Flächenstatt wie Deutschland zum Einsatz kommen aber perspektivisch auch weltweit. Neben „Smart Cities“ setzen wir auch, ebenso wie es Wirtschaft und Politik tun, auf die Kraft und das Potenzial unserer ländlichen Regionen. Unsere Erfahrungen am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern zeigen, dass einige Szenarien dabei auch sehr gut ohne große Bandbreite funktionieren werden, wie zum Beispiel im Sektor Logistik. Hierzu startete das Fraunhofer IESE gemeinsam mit der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz vor kurzem das vom Land Rheinland-Pfalz geförderte Forschungsprojekt der „Digitalen Dörfer“. Hier werden wir zwei reale Testregionen quasi zu „Large Scale Demonstratoren“ verwandeln und evaluieren, welche Chancen die Digitalisierung und eine intelligente Vernetzung von Daten und Diensten gerade ländlichen Regionen bringen können.

In sensibleren Anwendungsfeldern – hierzu zählt wiederum die Telemedizin – müssen zudem andere Aufgaben zuverlässig bewältigt werden, wie beispielsweise das Thema Datensicherheit oder die funktionale Sicherheit. Auch hier wurden schon verschiedene Pilotprojekte mit unserer Unterstützung realisiert. An unserem Forschungsinstitut sind wir bemüht, den Zugang an diese zentralen Herausforderungen aus verschiedenen Blickwickeln und generisch zu betrachten: wir verschaffen uns einen umfassenden Überblick von oben um zu erkennen, welche Anforderungen und Aufgaben zu lösen sind und wie die Struktur, die hinter allem stecken wird, beschaffen sein muss um sichere, verlässliche und dabei benutzerfreundliche Lösungen zu entwickeln.

Wir brauchen intelligente Ökosysteme für unterschiedliche Anwendungsfelder

Über die Vernetzung von Eingebetteten Systemen, wie wir sie heutzutage in der Automobilbranche ebenso wie im Anlagenbau, der Medizintechnik oder vielen anderen Branchen finden, mit den Informationssystemen, die das moderne Geschäftsleben und unseren Alltag immer stärker durchdringen, gelangen wir zu intelligenten Ökosystemen für die unterschiedlichsten Anwendungsfelder. Am Fraunhofer IESE sprechen wir hier von so genannten „Smart Ecosystems“ und sind überzeugt, dass die Beherrschung dieser hochkomplexen, interagierenden Systeme ausschlaggebend für Deutschlands Innovationskraft und damit seiner Zukunftsfähigkeit sein wird. Die Herausforderung für die Digitalisierung ist deshalb nicht nur ein guter Breitbandausbau. Eine wichtige Aufgabe ist die intelligente Vernetzung von Diensten, von Daten und sogar von Dingen, die dabei branchenübergreifend Domänen wie Medizin, Arbeit und Bildung, Mobilität und Logistik, Wirtschaft und Industrie überspannt. Nur so können wir unseren Ansprüchen zu unseren Visionen von Big Data, Industrie 4.0 und Internet of Things gerecht werden und diese zur Entfaltung führen.

Prof. Dr.-Ing. Peter Liggesmeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering: Dependability am Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE). Er ist außerdem Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI e.V.).

Peter Liggesmeyer

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