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Das Foto zeigt einen vegetarischen Whopper bei Burger King.

© Michael Thomas / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / AFP

Schmeckt das nach Verzicht?: Die Food-Revolution steckt zwischen zwei Brötchenhälften

Vegane Burger drängen hoch erfolgreich auf den Markt. Markieren diese pflanzlichen Ersatzprodukte den Wendepunkt in der modernen Ernährung?

Manchmal überrascht die Revolution sogar die Revolutionäre selbst. Die Verantwortlichen bei Mc Donald’s zum Beispiel waren total überrumpelt. Eigentlich sollte der „Big Vegan TS“ mit seinem von der Nestlé-Tochter „Incredible Burger“ stammenden Patty aus Soja-Eiweiß, Raps- und Kokosnussöl und allerlei Gewürzextrakten im Jahr 2017 erst einmal nur in einzelnen Filialen in Finnland getestet werden.

Danach sollte er in Finnland und Schweden mit ihren progressiven und aufgeschlossenen Märkten auf die Karte kommen, aber mit Bedacht, um ja nichts zu überstürzen. Allerdings verkaufte Mc Donald’s dort satte 150.000 Stück des neuen Burgers mit tierfreiem Bratling innerhalb von nur drei Monaten – und wechselte sofort die Gangart.

Ich habe die Tage den Big Vegan probiert, weil ich da einen Coupon für hatte [...]. War für einen Karnivoren wie mich doch sehr irritierend. In einer Blindverkostung hätte ich Heim und Hof darauf gesetzt, dass das Patty aus Fleisch ist.

schreibt NutzerIn scherzengel

Ähnliche Szenen spielten sich vor wenigen Wochen an der New Yorker Börse ab: Als der vor zehn Jahren gegründete Fleischersatz-Hersteller Beyond Meat in der ersten Maiwoche seine Aktien aufs Parkett brachte, schnellten die Kurse schon am ersten Tag steil nach oben: Um fast 164 Prozent stieg der Kurs – der Wert des Unternehmens wurde vom Markt auf weit über drei Milliarden Dollar geschätzt.

Beyond Burger kommt nah ans Fleischerlebnis heran

Und das, obwohl Beyond Meat im vergangenen Jahr keine 80 Millionen Dollar Umsatz und sogar knapp 30 Millionen Dollar Verlust gemacht hatte. Man kann davon ausgehen, dass daraufhin sämtliche Konkurrenten im amerikanischen Fleischbusiness zu einer Krisensitzung zusammenkamen. In diesen Wochen spielt sich also eine kulinarische Revolution im Lebensmittelsektor ab: Tierfreies Fleisch drängt mit Macht in den Markt.

Dass diese veganen Burgerpattys gerade jetzt zum deutschen Verbraucher und in die Berliner Fast-Food-Restaurants kommen, hat eine Reihe relativ einfacher Gründe. Der Wichtigste: Diverse Anbieter konnten Burger und Würste aus pflanzlichen Zutaten in den vergangen beiden Jahren so gut weiterentwickeln, dass sie auch auf dem Massenmarkt ein Chance haben – und das nicht mehr nur unter eingefleischten Vegetariern und Veganern.

Immer mehr Konsumenten suchen nach fleischlosen Alternativen, die wie Fleisch schmecken. Die neuen Fake-Meat-Produkte aus pflanzlichen Proteinen könnten dafür eine Möglichkeit sein.
Immer mehr Konsumenten suchen nach fleischlosen Alternativen, die wie Fleisch schmecken. Die neuen Fake-Meat-Produkte aus pflanzlichen Proteinen könnten dafür eine Möglichkeit sein.

© Illustration: Fabian Bartel

Zudem hat vor allem das pflanzliche Hackfleisch des amerikanischen Produzenten Beyond Meat einen neuen Standard gesetzt, der der gesamte Branche Aufmerksamkeit und Interesse – langfristig aber noch wichtiger: Investitionen und neue Vertriebswege – beschert.

Das Patty von Beyond Meat ist nämlich nicht einfach irgendein neuer veganer Burger-Bratling. Er ist der erste vegane Burger, der nicht mehr nach Verzicht und Vernunft schmeckt, sondern nach Fleisch.

Der große Erfolg des "Big Vegan TS" überraschte selbst die Verantwortlichen von Mc Donalds
Der große Erfolg des "Big Vegan TS" überraschte selbst die Verantwortlichen von Mc Donalds

© Kai Röger

Der Beyond Burger hat durch die spezifische Art, wie Erbsenproteine geformt, gefärbt und aufwendig gewürzt werden, tatsächlich die Farbe und Faserung von Hackfleisch. Röstnoten sind zumindest schmeckbar und mit dem Zusatz von Raucharomen kommt er dem traditionellen Patty sehr nahe. Kurz: Blind verkostet, mit all dem Drumherum aus Zwiebel, Tomate und würzigen Saucen, hält man ihn für einen echten Burger.

Mit solchen Eigenschaften sind die neuen Alternativ-Burger eben keine besseren Gemüsefrikadellen aus Süßkartoffel und Erbsen mehr und auch kein bröseliger, etwas trockener Ersatz aus Grünkernmehl. Sondern ein Angebot für alle, denen wichtig ist, dass der Geschmack stimmt, denen aber nicht egal ist, welchen Preis die Umwelt dafür zahlt.

Veggie-Burger gibts bei Lidl und nicht im Biomarkt

Damit einher geht ein neues Verständnis von der Zielgruppe der Hersteller. Während vegane, auch vegetarische Alternativen in der Vergangenheit auf eine gebildete Nischenkundschaft zielten und auf Menschen, die aus ethischen Gründen zu Ersatzprodukten griffen, zielen die pflanzenbasierten Burger mitten in die Masse. Es gibt diese Burger eben gerade nicht in kleinen, etwas speziellen Bioläden zu kaufen, sondern in großen Shoppingmalls. Und Beyond Meat selbst vertreibt die erste Charge seiner Burger in Deutschland auch nicht in einem veganen Supermarkt oder wenigstens einer Bio-Kette, sondern bei Lidl. Im Discounter war der Burger am ersten Verkaufstag in vielen Filialen innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

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Der Konzern aus dem kalifornischen El Segundo wirbt in den USA daher mit dem Hinweis: „Find it in the meat aisle“, heißt: „Sie finden es im Fleischregal“. In die gleiche Kerbe schlägt auch der aus Großbritannien stammende Konkurrent Moving Mountains, der seine Pattys mit dem Hinweis „The Flexitarian Burger“ vermarktet – als Burger für alle, die sich vorwiegend vegetarisch ernähren, aber ab und zu auch Fleisch essen, weil sie auf dieses Geschmackserlebnis nicht verzichten wollen. Das nämlich ist der vermutlich wichtigste Grund für den aktuellen Aufschwung: dass er wirtschaftlich wie gesellschaftlich, aber eben auch geschmacklich etwas ganz anderes kann und will als die bisherigen Produkte.

Mehr zum Thema: Ist der Beyond Burger wirklich besser für das Klima?

Das Versprechen, das Beyond Meat und die anderen Hersteller von tierfreien Fleischprodukten ihren Kunden machen, löst einen absurden Konflikt: Ein Großteil der Menschen will zwar Fleisch essen, aber immer mehr haben Skrupel, dass dafür Tiere sterben müssen. Auch führt das Unternehmen mit einer eigens bei der Universität Michigan in Auftrag gegebenen Studie an, dass der Beyond Burger 90 Prozent weniger Treibhausgasemissionen verursache und seine Produktion deutlich weniger Wasser und Energie als sein fleischhaltiges Pendant verbrauche.

Gigantischer Markt für Fleischersatzprodukte

Hinzu kommt, dass die meisten Kunden bei den Pattys keine geschmackliche Offenbarung erwarten, die Billigfleisch aus Massentierhaltung ohnehin nicht einlösen könnte. Sondern einen Burger essen wollen, der wie ein Burger schmeckt und doch möglichst günstig ist. Diese Kombination aus Pragmatik und Moral, aus dem Fehlen ethischer Bedenken und, langfristig gesehen, vermutlich günstiger zu produzierendem Fleischersatz macht das erstaunliche Marktpotenzial der neuen Burger aus.

Entsprechend euphorisch lesen sich die Vorhersagen für den gesamten Markt der Fleischersatzprodukte: Das Portal Statista prognostiziert eine Steigerung von etwa 40 Prozent auf 6,4 Milliarden Dollar im Jahr 2023; schon 2040 könnten 60 Prozent des gesamten verkauften Fleisches in der ein oder anderen Form aus der Retorte stammen.

Mehr zum Thema: Die neuen veganen Burger im Genuss-Test

Natürlich sind die Amerikaner längst nicht die Einzigen, die verstanden haben, dass Fleisch aus Pflanzen nicht nur für die Tiere und den Planeten, sondern auch für die eigenen Bilanzen ein wichtiger Markt ist. So hat der Wursthersteller Rügenwalder Mühle aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn schon 2014 die Produktion erweitert und mittlerweile 24 vegetarische und immerhin acht vegane Wurst- und Fleischprodukte im Sortiment. Auch hier ist die Bilanz durchweg positiv: Der Marktanteil der vegetarischen Produkte wuchs allein 2018 um 16,2 Prozent und machte am Ende des vergangenen Jahres fast ein Drittel des Umsatzes aus.

Kommt einem "echten" Burger am nächsten: der "Beyond Burger" von "Vedang" schnitt im Genuss-Test am besten ab.
Kommt einem "echten" Burger am nächsten: der "Beyond Burger" von "Vedang" schnitt im Genuss-Test am besten ab.

© Kai Röger

Aber auch auf dem Burger-Markt sind die Claims noch lange nicht verteilt: Während Beyond Meat sein Fleisch aus pflanzlichen Proteinen gewinnt, arbeitet der ebenfalls aus Kalifornien stammende Konkurrent Impossible Food an Fleischersatz aus dem Labor, der zwar komplett unabhängig von Land- und Viehwirtschaft und auch ohne die bei Beyond zur Geschmacksbildung notwendigen Zusatzstoffe auskommt, dafür aber auf genmanipulierte Bestandteile zurückgreift, die in Europa schwer auf den Markt zu bringen sind. Dennoch hat Impossible Food vor Kurzem angekündigt, in den USA gemeinsam mit Burger King erste Schritte in den Massenmarkt zu machen. Aber auch das ist noch längst nicht das Ende des technisch Möglichen auf dem Burger-Markt.

[Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.]

Mit zunehmender Bio-Technologie und ausgereifterer Gentechnik wird ohne Zweifel die Methode von 'Memphis Meats' die Zukunft sein. [...] Massentierhaltung wird schon aus Klimaschutzgründen über kurz oder lang kein realistisches Szenario mehr sein.

schreibt NutzerIn feihung

Der ebenfalls in Kalifornien ansässige Hersteller Memphis Meats arbeitet seit fast zehn Jahren an In-vitro-Fleisch aus dem Reagenzglas – kein Fleischersatz, sondern echte Fleischzellen, die nur eben außerhalb der Kuh gewachsen sind. Ein unfassbar komplexes und daher teures Unterfangen: Die Entwicklung des ersten Burgerpattys von Memphis Meats kostete 2013 noch satte 300.000 Dollar. Mittlerweile, vermeldet die Firma, liege der Preis nur noch bei 1000 Dollar pro Burger-Bulette.

Natürlich ist das immer noch unfassbar viel Geld für einen Hamburger. Aber sollte die Entwicklung in diesem Tempo weitergehen, wird sich die Frage „Fleisch oder Fleischersatz?“ vielleicht bald erledigt haben. Weil dann weder für das eine noch das andere ein Tier wird sterben müssen.

Benedict Rothmann

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