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Korrupt. Nicht nur Ärzte wirtschaften in die eigene Tasche.

© dpa

Schärfere Regeln gegen korrupte Ärzte: Warum bleibt die Gesundheitsbranche so gelassen?

Bestechlichkeit im Gesundheitswesen soll künftig unter Strafe stehen. Doch Kritikern reicht das nicht. Denn Gefälligkeiten ohne ausdrücklich vereinbarte Gegenleistung bleiben weiter außen vor.

Damals hätte die Branche noch erleichtert sein können. Doch als der Bundesgerichtshof vor drei Jahren urteilte, dass niedergelassene Ärzte trotz nachgewiesener Korruption nicht wegen Bestechlichkeit belangt werden können, wussten alle, dass das nicht so bleiben würde. Schließlich hatten die Richter nicht nur in der Sache entschieden. Sie hatten auch ausdrücklich auf die Gesetzeslücke verwiesen und die Politik beauftragt, sie zu schließen.

Entsprechend aufgeregt gebärdeten sich die Gesundheitsakteure. Die Mediziner fürchteten, allein an den Pranger gestellt zu werden, sie warnten vor einer „lex specialis“ nur für Ärzte. Und die Pharmaindustrie tat allen kund, wie hilfreich ihr enges Zusammenspiel mit Medizinern und anderen Heilberuflern doch für die Patienten sei.

Auch der Ärztepräsident lobt die Pläne

Seit Anfang Februar liegt der Gesetzentwurf des Justizministeriums vor, und jetzt ist es genau andersherum. Obwohl er noch mal schärfer daherkommt als das, was die Vorgängerregierung schon eingetütet hatte, ging die Präsentation fast geräuschlos über die Bühne. Kein Aufschrei der Verbände, kaum ein Jammern über die plötzliche Kriminalisierung von immer gut Gemeintem, weder seitens der Leistungserbringer noch der sie beliefernden Industrie.

Im Gegenteil: Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery begrüßt den Entwurf, nennt die Pläne „grundsätzlich richtig“, freut sich sogar darüber, dass die Antikorruptionsregelungen nun im Strafgesetzbuch verankert werden – und nicht, wie vordem geplant, nur im Sozialrecht.

Bis zu fünf Jahre Haft

Wie das? Verstöße gegen den neuen Korruptionsparagrafen 299a werden immerhin mit Geldbuße oder Haft bis zu fünf Jahren sanktioniert. Im Visier stehen sämtliche Akteure des Gesundheitswesens – nicht nur Ärzte, sondern auch Apotheker, Physiotherapeuten, Pfleger. Strafbar macht sich fortan jeder, der „einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt“, um im Wettbewerb einen anderen „in unlauterer Weise“ zu bevorzugen. Gleiches gilt für die, die ihnen solches offerieren. Justizminister Heiko Maas (SPD) schwingt die Peitsche. Warum bleibt die Branche so gelassen?

Vielleicht, weil der Paragraf im System des gegenseitigen Gebens und Nehmens kaum etwas ändern wird. Das Gesetz erfasse nur die wirklich harte Bestechung, sagt Christiane Fischer, Geschäftsführerin der korruptionskritischen Ärzteinitiative Mezis (Abkürzung für: „Mein Essen zahl’ ich selbst“). Strafbar werde es nun zwar, wenn sich der Herzklappenhersteller beim Chirurgen für jede Implantation seines Produkts finanziell bedankt. Die übliche Vorteilsnahme und -gewährung jedoch, also alle Gefälligkeiten ohne direkt vereinbarte oder nachweisbare Gegenleistung, blieben außen vor.

"Das bloße Annehmen eines Vorteils ist nicht ausreichend"

In der Gesetzesbegründung wird dies sogar ausdrücklich betont. „Das bloße Annehmen eines Vorteils ist zur Tatbestandsverwirklichung (...) nicht ausreichend“, heißt es im Entwurf. Entscheidend sei, ob der Vorteilsgewährung und -annahme eine „Unrechtsvereinbarung“ zugrunde liege. Und: „Nicht ausreichend ist es, dass mit der Zuwendung nur das allgemeine Wohlwollen des Nehmers erkauft werden soll oder sie als Belohnung für eine bereits erfolgte Handlung gedacht ist.“

Ob also großzügige Essenseinladung, kostenlose Computer-Software oder gesponserte Kongressreise mit kulturellem Beiprogramm: Der „Landschaftspflege“ der Industrie tue das geplante Gesetz keinen Abbruch, sagt Fischer. „Daran wird sich nichts ändern.“

Nur ein Bruchteil der Mauscheleien wird aufgedeckt

Hinzu kommen die Schwierigkeiten der Ermittler. „Wir wissen“, sagt Dina Michels, „dass ungefähr die Hälfte aller Geschäfte im Gesundheitsbereich durch unlautere Absprachen und unzulässige Kooperationen in der Branche zustande kommen.“ Nur ein Bruchteil der Mauscheleien werde aufgedeckt. Als Juristin leitet Michels bei der Kaufmännischen Krankenkasse eine Abteilung zur „Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ – und hat das notorische Versagen der Aufsicht- und Kontrollmechanismen schon vor Jahren in einem Buch beschrieben. Sie schätzt, dass gerade mal zehn Prozent aller Korruptionsfälle ans Tageslicht kommen. Nicht umsonst spreche man von einem „heimlichen Delikt“.

Bei solchen Geschäften wechselt nicht nur Geld den Besitzer. Als Beispiel nennt Michels den Fall einer Berliner Klinik, die einer Apothekerin in großer Menge Arzneiverordnungen zuschanzte. Die Pharmazeutin revanchierte sich dafür mit teuren Elektronikartikeln.

Gefälligkeitsstudien und gesponserte Fortbildung

Das Verschreibungs- und Kaufverhalten von Ärzten lässt sich jedoch auch anders beeinflussen. Gut 20 Millionen Mal pro Jahr tauchen Pharmavertreter mit ihren Köfferchen in Arztpraxen und Kliniken auf. Sie verteilen Arzneiproben, werden zu Vertrauten, lassen zum Dank schon mal ein paar nützliche Utensilien da. Und wer sich sträubt, wird spätestens bei anderem schwach.

250 Fortbildungspunkte muss ein Arzt binnen fünf Jahren zusammenbekommen. Die Kurse gibt’s teuer auf eigene Faust – oder kostenlos von der Industrie. Nach Schätzungen von Transparency International sind mehr als 80 Prozent der Fortbildungsveranstaltungen von Arzneiherstellern gesponsert oder komplett in Eigenregie veranstaltet.

Auch aktives Mitmachen lohnt sich. Für die Zehn-Minuten-Rede, von der Industrie vorbereitet, kassiert der Referent schon mal so viel wie andere für einen Monat Arbeit. Und so genannte Anwendungsbeobachtungen lohnen sich ebenfalls für beide Seiten. Die Ärzte kassieren fürs flotte Ausfüllen nutzloser Fragebögen, die Industrie bringt so überteuerte und wenig nutzbringende Medizin unters Volk.

Lauterbach: Gesetz dringt nicht in Graubereiche

In diese Graubereiche dringe man leider nicht vor, gibt Karl Lauterbach, der Gesundheitspapst und Fraktionsvize der SPD, zu. Das sei aber „kein Manko des Gesetzes“, beharrt er. Gesponserte Fortbildung lasse sich mit dem Straftatbestand der Korruption nun mal ebenso wenig erfassen wie unnütze Arzneistudien.

Dagegen müsse man anders vorgehe, meint der SPD-Experte. Bei Anwendungsbeobachtungen etwa seien die Spielräume zu verengen, klare Honorarobergrenzen zu ziehen, alle Teilnehmer zur Information gegenüber ihren Patienten zu verpflichten. Und Marketing-Seminare der Pharmaindustrie dürften nicht länger als Weiterbildung anerkannt werden. Ohne Fortbildungspunkte würde sich dort „kaum noch ein Arzt blicken lassen“, sagt Lauterbach.

Die Bundesärztekammer stellt die Sache anders dar. Man gehe davon aus, dass das Gesetz auch gegenüber gesponserten Fortbildungen „Wirkung entfalten“ werde, sagt ein Sprecher. Zudem müssten die neuen Regelungen „im Gesamtkontext mit bereits bestehenden Vorgaben“, etwa im Berufsrecht und im Heilmittelwerbegesetz, gesehen werden. Und es sei auch Aufgabe der Kammern, die Inhalte und den wissenschaftlichen Anspruch von Fortbildungsveranstaltungen zu überwachen, findet Edgar Franke (SPD), der das Gesetz als Chef des Gesundheitsausschusses mit ausgearbeitet hat.

Berliner Ärztekammer erkannte Fortbildungspunkte ab

Tatsächlich statuierte die Berliner Ärztekammer vor kurzem ein Exempel – und entzog einem Kompaktkurs für Allgemeinärzte und Inernisten, veranstaltet vom Verlag der Fachzeitschrift „Medical Tribune“, wegen allzu offensichtlicher „Verstöße gegen den Grundsatz der Firmen- und Produktneutralität“ nachträglich die zugesagten Fortbildungspunkte.

Möglich gewesen sei dies aber nur, weil der zuständige Abteilungsleiter aufgrund von Hinweisen persönlich teilgenommen habe, berichtet Kammersprecher Sascha Rudat. Gewöhnlich legt die Kammer ihrer Punktvergabe nur die Veranstalter-Exposés zugrunde. In Berlin gebe es 30 000 Fortbildungen pro Jahr, sagt Rudat. „Um das alles zu kontrollieren, bräuchte man einen riesigen Personalapparat.“

Zudem sei die Aberkennung juristisch sehr schwierig gewesen. Der Veranstalter legte Widerspruch ein, und auch viele Teilnehmer wollten nicht einsehen, dass sie unnütz Zeit investiert hatten.

Thüringer Hausärzte tagen ohne Sponsoren

Die Ärztekammer Niedersachsen hat es anders versucht. Sie wollte ihren Mitgliedern übers Berufsrecht verbieten, sich Fortbildungskosten durch Pharmafirmen erstatten zu lassen – und scheiterte am Protest zahlreicher Ärzte, die deshalb sogar vor Gericht zogen.

Der Hausärzteverband Thüringen dagegen verzichtet für seine Tagungen inzwischen auf jegliches Sponsoring. „Dafür gibt es dort jetzt eben nur 300 und nicht mehr 5000 Euro pro Vortrag“, sagt der Vorsitzende Ulf Zitterbart. Auch eigene Fortbildungen zahlt der Allgemeinmediziner aus Kranichfeld selber. Das ist ihm seine Unabhängigkeit wert. Und Pharmareferenten lässt er schon lange nicht mehr in seine Praxis.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 17. Februar 2015 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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