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Weide und Weite. Glückliche Rinder vom Gut Hesterberg in Lichtenberg bei Neuruppin.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ruppiner Genießertour: 365 Tage Grüne Woche

Natur erkunden, Hofläden entdecken, frische Produkte probieren: Auf einer Genießertour durchs Ruppiner Land lässt sich vieles über Nachhaltigkeit lernen.

Von Susanne Leimstoll

Auf dem Prospekt wirkt die Collage wie aus einem Kinderbuch: Sattgrüne Wiesen grenzen an goldgelbe Äcker, von Bäumen gesäumte Feldwege verschwinden irgendwo am Horizont, ein Bienchen schwirrt überm Löwenzahn, eine braungefleckte Kuh schiebt sich mitten durchs Panorama, Kraniche steigen in den Himmel, und am Boden wartet eine Kiste, randvoll mit appetitlich koloriertem Gemüse, darauf, mitgenommen zu werden. Zu schön, um wahr zu sein? Wer ein knappes Stündchen hinausfährt in den Nordwesten Berlins, kann dieses Schlaraffen-Idyll finden und staunen, denn die Region zwischen Linum und Neuruppin hat viel von dieser Bilderbuchromantik.

Mit dem Flyer wirbt die 2017 gegründete Regionalinitiative Prignitz-Ruppin für ihre Mitgliedsbetriebe: 30 regionale Erzeuger, Manufakturen, Gasthöfe und Sozialeinrichtungen haben sich verbündet, um zu vermarkten, was schmeckt: nachhaltig produzierte Lebensmittel. Die kann man sich bei einem geführten Ausflug direkt vom Hof holen. Bei den „Ruppiner Genießertouren“ können sich kleine Gruppen von vier bis 20 Personen im Kleinbus von Hof zu Hof chauffieren lassen, auf zwei Routen mit insgesamt 16 Betrieben (Anmeldung unter ruppiner-geniessertour.de). Das Projekt finanziert sich durch bescheidene öffentliche Mittel, wird unterstützt von der örtlichen Nahverkehrsgesellschaft und der IHK. Eine kleine, ausgezeichnete Initiative, alles andere als Kaffeefahrten. Es sind Ausflüge, die Fremden eine Region und ihre Menschen näherbringen. Natur genießen, Schwätzchen halten, Produkte probieren, einkaufen – Grüne Woche live in Brandenburg. Ein Ausflug lohnt schon jetzt: Die ersten Störche und Kraniche sind zurück in Linum.

Dieser Beitrag ist in der neuen Ausgabe des Tagesspiegel-Magazins Brandenburg erschienen: 196 Seiten Ausflugs- und Urlaubstipps und die besten Adressen für Freizeitvergnügen, Übernachtung und gutes Essen und Trinken. Das Magazin ist im Zeitschriftenhandel zum Preis von 9,80 Euro erhältlich oder versandkostenfrei im Tagesspiegel-Shop zu bestellen unter shop.tagesspiegel.de.

Gemüse mit Rezept. Georg Rixmann und Sabine Schwalm sind Feinschmecker und kennen sich nicht nur mit Kürbissen aus.
Gemüse mit Rezept. Georg Rixmann und Sabine Schwalm sind Feinschmecker und kennen sich nicht nur mit Kürbissen aus.

© Kitty Kleist-Heinrich

Rixmanns Hof: Hier kommen nicht nur die Störche groß raus

Im Garten vor „Rixmanns Hof“ türmt sich im Spätsommer ein Gebirge aus Kürbissen, Zucchini und noch mehr Gemüse auf. Um die sechs Tonnen Kürbisfrüchte ruhen, umstanden von robusten Topfpflanzen und eingerahmt von mannigfachen Sorten Gemüse und Obst, auf hohen Paletten: die Riesenkolosse und die kleinen Kugeln, die einheimischen und die alten, seltenen Sorten ausländischen Ursprungs. Georg Rixmann, gebürtiger Niedersachse, kennt sie alle – natürlich, er baut sie ja an auf 3,5 Hektar Ackerfläche. Georg Rixmann ist auch Feinschmecker. An jede Kürbissteige hat er Schilder mit Sortennamen und Rezeptideen angebracht, und beraten kann er wie kein Zweiter. Er öffnet einem die Augen für Raritäten, für den massigen „Queensland blue“ und den „Silbernen Kronprinzen“, beide gekerbt wie Guglhupfe, aromatisch in Suppen und Aufläufen. Für den „Mardi Gras“, den man mit Schale essen und, in Olivenöl angebraten, wegknabbern kann. „African Smaragd“ kann geköpft werden wie ein Frühstücksei, Kern raus und dann füllen. „Blue Hubbard“ sollte man ab einer gewissen Größe zum Zerteilen am besten auf den Betonboden schmettern. „Rosa Rugosa“ ist geschmacklich der beste Butternut-Kürbis. Mit Zucchinimonstern wie „Costata di romanesco“ könnte man sicher jemanden erschlagen, die werden schon als Babys 40 Zentimeter lang. Dafür sind russische oder nepalesische Netzgurken kaum als solche zu identifizieren, man könnte sie für Kartoffeln halten…

Georg Rixmann eröffnet einem bereitwillig die Wunderwelt seines Gemüsegartens. Auf insgesamt 15 Hektar baut er Obst und Gemüse an und beliefert damit auch die Spitzengastronomie. Und das ganze Jahr über kann der Linum-Tourist von Frische und Vielfalt profitieren, zur Kräuterernte im Frühjahr wie zur Erdbeerzeit im Sommer oder im bunten Kürbisherbst. Rixmanns Frau Sabine Schwalm versteht es, die Ernte übers Jahr zu unvergleichlichen Marmeladen, Chutneys, Obstweinen, Likören, Essigen, Ölen und Sirup zu verarbeiten. Kleiner Tipp: Unbedingt mal ihre Marmelade aus Spillingen, diesen kleinen wilden Pflaumen, probieren!

Linum. Nauener Straße 23a, gemuese-und-obst.de

Wiesencafé mit Weiden. Gela Angermann managt ihren Ökohof samt Ziegenkäserei, Gastronomie und Hofladen seit acht Jahren in Eigenregie.
Wiesencafé mit Weiden. Gela Angermann managt ihren Ökohof samt Ziegenkäserei, Gastronomie und Hofladen seit acht Jahren in Eigenregie.

© Kitty Kleist-Heinrich

Karolinenhof - Käserei plus Wiesencafé

Ziegen können so putzig sein. Wenn Gela Angermann hinüberstiefelt zur Weide, die zu ihrem Öko-Gehöft Karolinenhof gehört, kommt die Herde, um die 140 Tiere, im Pulk angemeckert. Neugierig sind sie alle und verschmust. Geht Gela Angermann in die Hocke, kann sie sich vor Kuschelattacken kaum wehren, hat Ziegennasen im Gesicht, und Köpfchen mit Gehörn drücken sich in ihre Halsbeuge. Die Ziegenkäserei, in der die Milch der Tiere frisch verarbeitet wird, hat sie nach der Wende mit ihrem Mann aufgebaut, 2,5 Hektar Hoffläche gekauft, das Land von der Treuhand gepachtet. Ab 2000 wurden die Gebäude (um-)gebaut – für einen Hofladen, eine Gastronomieküche und das erste biozertifizierte „Wiesencafé“ Brandenburgs. Seit acht Jahren, seit dem Tod ihres Mannes, führt Gela Angermann den Ökohof mit Landwirtschaft, Käserei, Café und Gas­tronomie in Eigenregie mit Angestellten. Es gibt viel zu erleben: Im Januar, wenn die Zicklein geboren werden, schauen die Gäste mit in den Stall, und im Spätherbst beobachten sie die Kraniche, die sich im Linumer Luch sammeln. Auf den Freiflächen zwischen den Häusern stehen die Tische und Bänke des Freiluftcafés. An einem gut besuchten Tag schickt die Küche bis zu 150 Essen plus Kaffee und Kuchen. Gela Angermann kennt viele Gäste. „Da erlebe ich jetzt schon die nächste Generation.“

In der Käserei kann man zusehen, wie der Bruch aus der Ziegenmilch in die Formen gedrückt wird. Schon am nächsten Tag kommt der frische Weichkäse in den Verkauf des Hofladens. Qual der Wahl: Nimmt man die in Knoblauch, Pfeffer oder Kräutern gewälzten Kugeln oder den kurz gereiften Frischkäse mit Lindenholz­asche, den würzigeren, mit Gewürztraminer gereiften Weichkäse? Im Café lässt es sich unter sieben Frühstückssorten wählen oder am Nachmittag Käse-Sahne- oder Schoko-Ricotta­torte zum Kaffee naschen, alle mit Ziegenmilch gemacht. Nein, die riecht nicht streng, weil sie frisch verarbeitet wird. „Erst wenn Rohmilch eine Woche steht, schmeckt man die Ziege durch“, sagt Gela Angermann. Sie hat schon viele Skeptiker überzeugt.

Kremmen. Karolinenhof 1, guter-ziegenkaese.de

Landgut mit Streichelzoo. Geschäftsführerin Karoline Hesterberg und Partner Gerry Weber mit Kälbchen Muise und Schäfchen Kurt.
Landgut mit Streichelzoo. Geschäftsführerin Karoline Hesterberg und Partner Gerry Weber mit Kälbchen Muise und Schäfchen Kurt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gut Hesterberg - ein Bauernbhof ohne Stress für Tiere

Vielleicht Brandenburgs untypischster Bauernhof. Wer auf Gut Hesterberg zusteuert entlang der Gutsallee, mag glauben, das dort hinten sei eine restaurierte Schlossanlage. Doch den Dreiseitenhof gibt es erst seit 2001, als Neubau auf der grünen Wiese errichtet. Ein Familienbetrieb mit 90 Mitarbeitern, spezialisiert auf hauseigene Fleisch- und Wurstproduktion. Aufs Öko-Siegel verzichtet die Familie. Jeder, argumentiert sie, könne sich hier überzeugen, wie artgerechte Tierhaltung und Produktion aus einer Hand funktionierten: von der Weide auf den Teller.

Wer eine der einstündigen Hofführungen mitmacht, kann alles auf diesen 1000 Hektar Fläche einordnen: Wohnhaus, links davon der Pferdestall mit Wagenremise und gegenüber Hofladen, Hofschlachterei und Produktion. Dahinter erstrecken sich bis zum Waldsaum Weiden, es grasen um die 700 Rinder. Dort steht Rotwild und nebenan eine große Gruppe Färsen, um die zwei Jahre alt, Tiere, von denen jede Woche vier bis fünf in die Schlachtung kommen. Transport findet nicht statt, Rangordnungskämpfe werden vermieden, weil nur Tiere geschlachtet werden, die gemeinsam aufgewachsen sind.

Hesterberg-Tiere leben ganzjährig auf der Weide. Die Jungen kommen draußen zur Welt. Der Familienbetrieb wirbt damit, keine Hormone, Mastfördermittel, Antibiotika zu verwenden, gefüttert wird selbst produziertes Heu, Gras von eigenen Wiesen. Für Weiden ist auch dies- und jenseits der Gutsallee Platz: drei für Rinder, eine für 600 Gänse, außerdem eine Kräuterwiese mit mobilem Stall für 1000 frei laufende Legehennen, ein Gutshofwald mit Wildschweinen…

Im Restaurant lässt es sich gut brotzeiten und deftig speisen, die Küche bietet Fleisch satt: Spanferkel, Wildschwein, Hirsch- und Rehbraten, auch „dry-aged beef“. Das Jahr über wird versucht, den Gästen nicht nur ein kulinarisches Programm zu bieten. Klingt alles nach Touristenort, doch wer hinfährt, sieht: Der Schwarm verläuft sich. Es bleibt der Eindruck von Ferien auf dem Land. Und ein Stück vom Genuss aus dem Restaurant kann man mit nach Hause nehmen: tütenweise feine Wurst aus dem Hofladen.

Neuruppin. Gutsallee 1, guthesterberg.de

Mosterei mit Hofladen. Regine Scholz-Berg verkauft in ihrem Geschäft Spezialitäten rund ums Obst. Ihr Betrieb bewirtschaftet drei Hektar Obstwiesen.
Mosterei mit Hofladen. Regine Scholz-Berg verkauft in ihrem Geschäft Spezialitäten rund ums Obst. Ihr Betrieb bewirtschaftet drei Hektar Obstwiesen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Linumer Landhof - kost the Most! Säfte und Co.

Regine Scholz-Berg schickt schon mal Stoßgebete zum Wettergott. 2017 hatte der Frost zu Ostern die Baumblüte vernichtet. „Fast 100 Prozent Einbuße“, sagt sie. Gerade zwei Birnbäume hätten noch getragen. Bei Äpfeln, Quitten, Steinobst sah es nicht besser aus. 800 Obstbäume gehören zu ihren Wiesen. Auch die Lohnmosterei war betroffen. Tausende Tonnen Früchte haben sie sonst in drei Monaten für Kunden vermostet, 2017 kaum etwas. Und dann der verregnete Sommer, zu wenig Sonne für den Gravensteiner, die Kartoffeln faulten im Boden. Ein hartes Jahr für Regine Scholz-Berg, deren Betrieb drei Hektar Streuobstwiesen bewirtschaftet, dazu noch Waldfläche. Obst mussten sie zukaufen.

Ein Besuch im Linumer Laden lohnt sich aber allemal, das Geschäft steht voller Köstlichkeiten: frisch produziertem Apfel-Himbeersaft, Marmeladen, Likören, Sekt und mehr. Auf einer Genießertour erzählt die studierte Landschaftsplanerin gern, wie sie nach der Wende zum Obstbau kam, eine „Öko-Tussi“, wie sie sagt, die eine Streuobstwiese kaufte, weil die gerodet werden sollte. Seit 2011 steht ihr Betrieb in Linum Gästen und Kunden offen: ein Vierseithof, der Heuboden überm Laden ausgebaut für Events.

Sie führt durch die Mosterei, zeigt, wo das Obst gewaschen, handverlesen und geschreddert wird, wo die Maische aufs Band fällt und der Trester in die Box. Das Grundstück umfasst neben der Mosterei und dem Geschäftshaus fünf weitere Gebäude. Lauter Aufgaben, lauter Pläne, die Regine Scholz-Berg in ihrem Herzen bewegt. Und den Gedanken an ein gutes Erntejahr 2018.

Linum. Nauener Straße 50, linumer-landhof.de

Die beiden Touren heißen: Unterwegs im Ruppinger Land (u.a. Preußenquelle, Schloss Rheinsberg, Bäckerei Vollkern und Sunna Alpakas). In der Weite des Luchs (außer den im Text genannten Betrieben u.a. Ökohof Kuhhorst, Restaurant Kleines Haus, Station Storchenschmiede). Preis: 55 Euro pro Person. Eine Tour mit fünf Stationen dauert sieben Stunden, Anmeldung unter ruppiner-genießertour.de)

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