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Das Zeiss-Planetarium und der neue Sternprojektor.

© Frank-Michael Arndt

Rundfunk-Sinfonieorchester mal anders: Kosmische Klänge im Planetarium

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verlässt den klassischen Konzertsaal – zumindest akustisch:  Vier Konzerte werden im Winter und Frühjahr ins Zeiss-Planetarium und im Liquidrom übertragen.

„Grenzenlos“ lautet in dieser Spielzeit das Motto des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB). Eine schöne, utopische Forderung – die man wohl auch als Kommentar zur Rückkehr mentaler wie realer Grenzen in Europa interpretieren kann; auf das Schrumpfen des geistigen Horizonts, auf Brexit, Zäune in Ungarn und Stimmenzuwächse für rechtspopulistische Parteien. Diese verdanken ihren Erfolg bekanntlich weniger der Fähigkeit, Zukunft zu gestalten als vielmehr der Instrumentalisierung von Ängsten. Ängste, die entstehen, weil andere Grenzen überwinden wollen.

In Kunst und Musik spielen Grenzen seit jeher eine deutlich geringere Rolle als in der Politik. Der grenzenlose Raum schlechthin aber dürfte das Weltall sein, auch wenn der Mensch es selbst auf dem Mond nicht lassen kann, seine Flagge in den Staub zu rammen. Beim RSB dachte man kosmisch – und deshalb wird das Orchester in diesem Winter, seinem Spielzeitmotto gemäß, erstmals im Zeiss-Planetarium an der Prenzlauer Allee zu hören sein. Mit ungewöhnlichen Orten haben die Musiker Erfahrung, in einer Kammermusikreihe treten sie etwa im ehemaligen Kino Delphi in Weißensee oder im Kulturquartier Silent Green auf. Das Besondere diesmal: Physisch werden sie das Konzerthaus am Gendarmenmarkt nicht verlassen, die Konzerte werden ins Planetarium übertragen, während Besucher gleichzeitig auf große visuelle Sternenreise gehen. Was vor allem auch für diejenigen attraktiv sein dürfte, die in der Schwelle eines Konzertsaals normalerweise nur eine unüberwindbare Grenze sehen.

Konzerte zum Nachhören

In Vorsilvesterlaune werden Besucher am 30. Dezember versetzt, mit der Live-Übertragung des Klassikers zum Jahreswechsel, Beethovens 9. Sinfonie und ihrer unerschütterlichen Gewissheit, dass „überm Sternenzelt ein lieber Vater“ wohnen muss. Am Pult steht die Erste Gastdirigentin des RSB, Karina Canellakis. Zwei weitere Konzerte folgen im Frühjahr, allerdings nicht mehr live, sondern – als „Konzerte zum Nachhören“ – in Form einer Aufzeichnung: Johannes Brahms’ zweites Klavierkonzert wird am 2. April mit, naheliegend, Gustav Holsts Sinfonischer Suite „Die Planeten“ gekoppelt. Weniger erwartbar die Wahl von Gustav Mahlers 9. Sinfonie für das Konzert am 17. Mai – obwohl auch sie sich im letzten Satz in einen nahezu interestellaren Weltabschiedsschmerz hinein steigert.

Eine Illusion ist es natürlich, zu glauben, dass auch Ozeane keine Grenzen kennen. Und doch scheint Wasser in seiner flüssigen, nicht festzumachenden Gestalt so etwas wie das Prinzip der Grenzenlosigkeit zu verkörpern. Sinnfällig ist deshalb der zweite Ort, den das RSB aufsucht: das Liquidrom in der Möckernstraße. Wie beim Planetarium wird hier eine neuartige Zusammenarbeit erprobt. Das Liquidrom ist im Tempodrom untergebracht, das wiederum auf dem früheren Gleisfeld des Anhalter Bahnhofs errichtet wurde. Auch dies ein Ort, von dem aus die Berliner einst Grenzen überwanden – indem sie in blaue Fernen aufbrachen. Bis nach Neapel sollen die Züge noch in den 30er Jahren von Kreuzberg aus gefahren sein, umsteigefrei.

Im Liquidrom kann man beim Zuhören entspannen, im nassen Element treiben.  Die Konzerte werden, ebenfalls als Aufzeichnung, unter dem Motto „Liquid Sounds“ im salzhaltigen Klangbecken der Kuppelhalle unter Wasser übertragen. Am 12. Februar erklingt, dirigiert von Vladimir Jurowski, ebenfalls Gustav Mahler, diesmal seine vierte Sinfonie G-Dur, außerdem ein neues Werk des 1980 geborenen serbischen Komponisten Marko Nikodijevic. Am 13. Mai dann wieder ein Klavierkonzert, dieses Mal von Mozart (in B-Dur KV 595), kombiniert mit der fünften Sinfonie von Anton Bruckner. Wer dessen Musik kennt, der weiß, wie tief sie vom katholischen Glauben durchdrungen ist, der auf seine Weise ja ebenfalls einen grenzenlosen Anspruch hat. Und plötzlich ist man sich nicht mehr sicher, ob dort oben nicht doch ein „lieber Vater“ wohnt.

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