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Der Spitzenkoch und Gastronom Andreas Döllerer hat als Botschafter der Cuisine Alpine die moderne Regionalküche maßgeblich beeinflusst.

© Joerg Lehmann

Regionalküche aus Österreich: Aus dem Bauch heraus

Aus der Tradition gewachsen, verwurzelt mit alpinen Produkten, weltläufig in Szene gesetzt - der Österreicher Andreas Döllerer gilt als Vorreiter der Regionalküche. Auf dem Feinschmeckerfestival "eatBerlin!" haben wir mit dem Ausnahmegastronom gesprochen.

Von Kai Röger

Andreas Döllerer ist einer der besten Köche Österreichs und Vorreiter der modernen Regionalküche. In den „Döllerers Genusswelten“ im Salzburger Hinterland betreibt seine Familie ein Hotel, eine Wirtschaft, eine Fleischerei, eine Enothek und ein Gourmetrestaurant.

Die „Alpine Jakobsmuschel“ steht beispielhaft für seinen Küchenstil: In der Schale einer Jakobsmuschel ersetzt – kaum zu unterscheiden – eine Scheibe ­geflämmtes Ochsenmark das Fleisch der ­Coquille St. Jacques. Umringt wird sie von ­Markmayonnaise- und Eigelbcreme-Tupfern, geröstetem Spitzkohl und liegt in einem kräftig mit Zitronengras, Ingwer, Knoblauch und Sesam aromatisierten Dashi. Das Mark bezieht Döllerer von einem befreundeten Viehzüchter aus der Nachbarschaft. Die Präsentation wiederum ist ein augenzwinkernder Spagat zwischen Tradition und Moderne: ein regionales Produkt als Basis, unkonventionell präsentiert und geschmacklich mit allem auf den Punkt gebracht, was der zeitgenössischen Küche zur Verfügung steht.

„Die Salzburger Esser sind ziemlich konservativ. Wenn sie wüssten, dass wir Ochsenmark anstelle des Muschelfleischs verwenden, würden es höchstens zehn Prozent der Leute essen, die es jetzt bestellen. So weiß es der Gast nicht, er probiert, es gefällt ihm, und wenn wir ihm dann sagen, was es ist, schmeckt es ihm natürlich immer noch, aber er kann nicht mehr zurück. Für mich ist die alpine Jakobsmuschel ein typisches Beispiel für unseren Küchenstil: Das Hauptprodukt muss ein Alpines sein, das wir ganz frei und ohne Beschränkung in Szene setzen.“

Maritimes auf Heu gebettet. Ochsenmark in der Jakobsmuschel. "Das Hauptprodukt muss ein alpines sein", lautet das Credo von Andreas Döllerer.
Maritimes auf Heu gebettet. Ochsenmark in der Jakobsmuschel. "Das Hauptprodukt muss ein alpines sein", lautet das Credo von Andreas Döllerer.

© Vasco Célio

Andreas Döllerer wurde Ende der 70er Jahre geboren. Seine Großeltern führten in Golling im Salzburger Tennengau einen Betrieb, der seit Jahrzehnten eine Fleischerei und ein auf Touristen ausgelegtes Wirtshaus unter einem Dach vereinte. Als der Vater den Betrieb übernahm, begann er, mehr auf Qualität als auf Quantität zu setzen. Er schaute, was sich in den besten Küchen Europas gerade tat, belegte Kochseminare und heuerte Mitte der 80er Jahre einen ehemaligen Weggefährten Eckart Witzigmanns, Bruno Ploteghers, als Küchenchef an, dem Anfang der 90er Bernhard Hauser folgte. Die Küche wurde feiner, Auszeichnungen wie die dritte Haube im Gault&Millau und der erste Michelin-Stern folgten, mit ihnen kamen neue Gäste. Döllerer ging auf Wanderschaft, arbeitete im Restaurant „Dieter Müller“, bekam Angebote von Witzigmann und Joachim Wissler, entschied sich aber dafür, in den elterlichen Betrieb zurückzukehren, der inzwischen um eine Weinhandlung gewachsen war. 2004 wurde Andreas Döllerer Küchenchef.

„Ich hab eine relativ klassische Kochausbildung, habe danach bei Bernhard Hauser die Grundbegriffe, bei Dieter Müller die klassisch französische Küche kennengelernt. Als ich Küchenchef wurde, habe ich zunächst weiter mit Wolfsbarsch, Steinbutt, Gänseleber und Langusten gearbeitet. Aber dann lernte ich einen Fischer aus dem Ort kennen, mit dem ich nach und nach internationale Fische durch heimische ersetzte. Nach ein bis zwei Jahren hatten wir dann den Mut, ganz auf Meeresfische zu verzichten. Die Gäste, vor allem die internationalen, waren begeistert. Sicherlich auch, weil man damals in allen Spitzenrestaurants dieselben Dinge auf den Tellern vorfand, da waren wir eine wohltuende Abwechslung. Mir wurde klar, dass dieses konsequent regionale Konzept der einzig richtige Weg für uns war. Das war so 2007, 2008.“

In dieser Zeit veröffentlichte Döllerer sein erstes Kochbuch „Die neue Heimatküche“. Wie in seinem Betrieb, wo das Gourmetrestaurant und das Wirtshaus einträchtig unter einem Dach vereint sind, wagt Döllerer ein Nebeneinander klassischer Salzburger Traditionsgerichte und moderner Avantgarde-Kreationen wie mit Arganöl parfümiertes Popcorn oder süßes Spiegelei aus Schottenkäse und Kürbis. Schon zu diesem Zeitpunkt forschte Döllerer in der eigenen Vergangenheit nach Inspiration für seine Küche. Den Schottenkäse, eigentlich ein Molkerei­nebenprodukt, kannte er noch aus Pinzgauer Kindertagen. Es ist der nochmals gesäuerte Bruch der Molke, den er wie Crème fraîche in seinem aktuellen Menü zur „Schottensuppe“ verarbeitet und dessen Säure er mit Rauch- und Aschenoten einer schwarzgeflämmten Sellerie kontert. Noch weiter geht Döllerer mit seinem „Gletscherschliff“: Unter dem Druck der Eismassen wurde das Gestein des Großglockners über Jahrtausende zu Steinmehl zerrieben. Aus diesem extrem feinen Sand formt Döllerer einen Teig, in dem eine Fenchelknolle gebacken wird. Mit gefrorenen Sauerrahm-Schollen, Malz-Erde und Kaviar des Salzburger Fischzüchters Grüll ergibt sich daraus eine ebenso effektvolle wie köstliche Essenz der Alpen – ein ­Paradebeispiel für Döllerers „Cuisine Alpine“.

Gletscherschliff. Im Steinmehl gebackene Fenchelknolle. Mit gefrorenen Sauerrahm-Schollen, Malzerde und Kaviar aus Salzburger Fischzuckt.
Gletscherschliff. Im Steinmehl gebackene Fenchelknolle. Mit gefrorenen Sauerrahm-Schollen, Malzerde und Kaviar aus Salzburger Fischzuckt.

© Joerg Lehmann

„Beim Gletscherschliff geht es mir nicht um den Effekt – der Sand macht etwas mit dem Gemüse, es schmeckt anders, als wenn ich ihn aus der Sandkiste oder von der Ostsee nehme. Mit unserer Cui­sine Alpine wollen wir zeigen, was die Alpen zur Verfügung stellen und was man daraus machen kann. Das Hauptprodukt muss aus der Region stammen, das stellen wir ganz klar nach vorne und haben auch relativ wenig anderes auf dem Teller. Bei Herrn Dollase habe ich von einem Gericht gelesen, bei dem 40 Komponenten auf dem Teller liegen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir machen. Diese Miniaturküche, wo nach einem Bissen alles weg ist, das ist nicht meine Küche. Wenn Dinge gut sind, dann möchte ich auch einen zweiten Bissen davon haben.“

Döllerers Interpretation einer modernen Regionalküche unterscheidet sich von dem, was gerade in Berlin im Entstehen ist. Wo hiesige Köche ihre identifikationsstiftenden Regionalprodukte erst entdecken müssen, kann Döllerer in den Alpen aus dem Vollen schöpfen. Auch hat die bäuerlich geprägte alpine Heimatküche eine lange Tradition, aus der Döllerer viele Techniken der Haltbarmachung und Verwertung von Nebenprodukten ableiten kann. Der Hauptunterschied aber ist, dass Döllerer kein Konzept, kein Dogma und keine Erklärungen für seinen Stil benötigt. Er besitzt die Souveränität eines erfahrenen Gastronomen, der einen über Generationen erfolgreichen Betrieb stetig modernisiert, seiner Linie treu bleibt und sich deshalb nicht abgrenzen oder positionieren muss.

„Regionalküche bedeutet für uns nicht, dass wir einen Radius um unser Restaurant ziehen und nur von dort unsere Produkte beziehen. Wir verwenden ja auch Gewürze von weiter her und haben asiatische Einflüsse in unseren Stil integriert. Unser Küchenkonzept ist nicht am Reißbrett, sondern beim Arbeiten entstanden, es hat sich über Jahre aus dem Bauch heraus entwickelt. Es soll um Genuss gehen, um einen schönen Abend. In dem Moment, in dem sich die Küche in den Vordergrund drängt und keine Unterhaltung mehr möglich ist, weil am Tisch so viel passiert, entspricht das nicht meiner Vorstellung von einem schönen Abend. Deshalb müssen unsere Gerichte für sich sprechen. Herkunft, Philosophie werden nur kurz anmoderiert, außer jemand will das wirklich wissen. Man braucht Fingerspitzengefühl, wie viel man sagen kann. Wenn da aber zwei sitzen, die sich schon halb aufessen, dann muss man das respektieren.“

Döllerers Genusswelten, 5440 Golling an der Salzach, Österreich Markt 56, doellerer.at

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im gedruckten Tagesspiegel erschienen. Jeden Sonnabend servieren wir eine neue Ausgabe. Mehr über gutes Essen, Trinken und Kochen in Berlin lesen Sie jederzeit auch online auf unserer Themenseite.

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