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Königin Elizabeth II. spricht Staatsbankett in Berlin

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Queen Elizabeth II.: Die politische Königin

Elizabeth II. ist eine Königin der Symbole und Sympathien - auch bei diesem Berlinbesuch. Aber dann bringt sie plötzlich eine ernste persönliche Botschaft mit: Europa darf nicht gespalten werden.

Die Queen wird sich gefragt haben, ob sie England überhaupt verlassen hat. Da ist sie in ihrem eigenen Bentley zur TU Berlin gefahren, ehemaliger britischer Sektor, neben sich ihren treuen Prinzen. Auf dem Weg schwenken Berliner Fähnchen im Niesel, als handelte es sich um original britische Untertanen. Und nun blendet auch noch Neil McGregor, zukünftige Leiter des Humboldt-Forums im Audimax der TU die Babybilder ihrer Urenkel ein: George und Charlotte, herausgeputzt und fotografiert von Kate.

Niemand anders hätte sich so etwas erlauben können, aber dies ist Neil McGregor, selbst Engländer. Und er hält die „Queen’s Lecture“ an der TU, die Jubiläumsversion eines Geschenks, das die Queen bei ihrem ersten Staatsbesuch vor 50 Jahren den Berlinern gemacht hat: Jedes Jahr referiert ein britischer Wissenschaftler vor Berliner Studierenden. Und deshalb darf hier im abgedunkelten Audimax der Vortrag über die Engländer und die Beziehungen des Königshauses zu Gärten und Tieren irgendwo zwischen Humor und Leichtigkeit changieren. Es dürfen Hundegemälde darin vorkommen und Familiengemälde, und die Hunde dürfen am Ende als Nationalhelden dastehen, „die nur durch Zufall Hunde sind“. Es darf gelacht werden und vielleicht auch noch ein leiser Zweifel darüber bleiben, wer denn nun das Ziel dieses Lachens ist.

Als McGregor im abgedunkelten Saal ganz unverblümt die Queen bei ihren Lieblingsthemen abholt, den Hunden und Gärten, ist das vielleicht der lockerste Moment während eines Besuchs, der ansonsten ungeheuer huldvoll daherkommt.

Es war ja unerhört, was bei diesem Besuch in Berlin passierte: das völlig ernsthafte Verkünden von Kleider- und Hutfarben der Königin, die endlosen Benimm-Ratschläge, als habe sich praktisch jeder Passant sorgfältig auf ein zufälliges Treffen mit der Königin vorzubereiten. Die lückenfreie Berichterstattung durch Adelsexperten. Die Salutschüsse, die plötzliche Existenz von Blumenmädchen und ausführliche Erwägungen über die symbolische Bedeutung von Bootsfahrten. Kurz: dieser englische Feiertag. Reporter im demokratischen Berlin fühlen sich schon durch ein Winken geadelt. Was war denn das für eine Erscheinung?

Der Punkt, an dem ihre Person über das Amt hinausgewachsen ist, seit dem „die Queen“ durch ihre Persönlichkeit die formale Macht des Amtes überstrahlt, ist nur noch schwer zu bestimmen. Niemand muss im Zeitalter des Personenkults überhaupt mehr eine Haltung zur Monarchie entwickeln, um Fan der Königin zu sein, so scheint es. Es geht nicht mehr darum, sie zu verstehen. Es reicht, ein Handybild mit ihr zu ergattern. Man hat sie, scheint es, in die Unterhaltungsindustrie eingeordnet. Einerseits wird ihre Reise hochtrabend als „Staatsbesuch“ angekündigt, andererseits ist das, was sie sagt, bei den Agenturen nur im Ressort „Vermischtes“ zu finden. Dabei wird natürlich übersehen, was sie im Kokon ihrer maßgeschneiderten Kleider wirklich bewirkt.

Ganz in Weiß ist Königin Elizabeth II. gestern früh beim Bundespräsidenten erschienen, der Mantel mit Glitzersteinen veredelt, der Hut geschmückt mit einer übergroßen Schleife. Die Bewegungen ebenso sicher wie behutsam, achtete sie sorgfältig auf jeden ihrer Schritte.

Man hat sich ja oft mokiert über all’ das überflüssige Kommentieren von Kleidern, aber die Verfassung verbietet ihr, in die Tagespolitik auch nur mit einer Meinung einzugreifen, und so ist „Erscheinen“, zur symbolischen Zeit am symbolischen Ort, die einzige Kunst, die ihr geblieben ist.

Aber man wird hier noch sehen: Sie kann auch noch anders.

Ist die Queen nur ein imperiales Überbleibsel?

Die Queen erhält ein Gemälde als Geschenk.
"Das soll mein Vater sein?" fragt Queen Elizabeth, als sie das Geschenk von Joachim Gauck sieht. Es soll die kleine Prinzessin auf dem Pferd zeigen.

© Reuters

Zwar schiebt sie bei jedem Besuch eine Bugwelle von Abstandsgittern und Benimmregeln vor sich her – und die Leute halten das für das Eigentliche – aber in ihrem Kielwasser kam am Mittwoch eben doch Premier David Cameron aus England an, sprach am Nachmittag mit Angela Merkel, geheim und tagesaktuell. Am Abend setzte er sich – so etwas hat vor ihm noch niemand gemacht – zu allen anderen und seiner Königin mit an den Tisch des Staatsbanketts.

Auch er hörte also, wie Joachim Gauck in seiner Rede Europa beschwor, und – ganz in der maritimen Symbolhaftigkeit, die der Queen so gut gefällt – eine Matrosenweisheit zitierte: „Zwischen dem Seeman und der Ewigkeit liegt nur eine Planke.“ Einige Planken des europäischen Schiffes gehörten ausgebessert. „Wir in Deutschland würden die Planken lieber verstärken als sie herauszureißen.“

Ein einfaches Boot, das jeder mieten kann

Die Queen hatte das alles ganz geschickt eingefädelt. Und alles, was so unpolitisch aussieht, gehört natürlich dazu. Schon am Morgen verbreitete sie eine Atmosphäre von Galopprennen im Garten des Schlosses Bellevue, das lag am androgynen Hut von Daniela Schadt, den Krempen der anderen Frauen, und sogar ein „Fascinator“ faszinierte. Ein Pferd gab es noch, als Geschenk von Joachim Gauck: ein Gemälde der jungen Königin hoch zu Ross, ein Mann hält es am Zügel. „Und das soll mein Vater sein?“, fragt die Queen. Als pflege sie längst selbst ironischen Abstand zu den Ritualen.

„Zu Fuß zum Bootssteg“, jubelt das Fernsehen. „Und das in ihrem Alter!“ Da steigt die Queen auch schon die extra angebauten drei Stufen zur schwankenden „Ajax“ hinab. Ein einfaches Mietboot, das jeder chartern kann und das von jenen Männern geführt wird, die dies auch sonst tun.

Ist dies ein Zeichen des Niedergangs der Seemacht, die über Jahrhunderte die Weltmeere beherrschte? Schließlich hat sie ihr Weltreich rapide schrumpfen sehen, zahlt längst Steuern wie jeder ihrer Untertanen und musste erleben, wie 1997 wegen Geldknappheit sogar die stolze Jacht „Britannia“ stillgelegt wurde, dieser schwimmende Palast, mit dem sie jahrelang über die Weltmeere gefahren war. Bei ihrem 60. Thronjubiläum, bei dem sie gefolgt von einem Korso von 1000 Booten über die Themse schipperte, holte sich Prinz Philip, Admiral der Navy, eine Blasenentzündung.

Aber nach nur 17 Minuten Fahrt, während derer Gauck noch eifriger winkt, als die Queen, macht die gebeutelte Seemacht an der Anlegestelle nahe dem Bundestag fest. Elizabeth II. hat wieder Boden unter den Füßen, politischen Boden. Der Bundespräsident springt ritterlich voraus, ihm folgt die Queen, dann Daniela Schadt, Prinz Philip sichert gentlemanesk den Rückzug.

Die Kanzlerin nickt knapp zur Begrüßung, ohne die geringste Knicks-Andeutung – man kennt sich ohnehin persönlich. Altmaier zeigt einen wohlerzogenen Diener. Und man wird den Verdacht nicht los, dass diese überinterpretierte Körpersprache nicht alles gewesen sein kann.

Symbolpolitik, heißt es immer verächtlich. Und damit: politisch bedeutungslos.

Durch ihr Parlament gestutzt, könne die Queen, dieses imperiale Überbleibsel, ja niemals tatsächlichen Einfluss nehmen. Was ist von einer Königin zu halten, die als höchstes der Gefühle einen Feiertag für’s Land verordnen kann, wenn die Enkel heiraten?

Lesen Sie, warum nur die Queen ihr Land zusammenhalten kann

Blumenmädchen Louisa überreicht der Queen einen Strauß.
Blumenmädchen Louisa überreicht der Queen einen Strauß.

© dpa

Dabei bringt die Königin schon in ihrer Person eine klare Botschaft mit. Sie hat den Zweiten Weltkrieg durchlitten und kennt die Gefahren, die von einer Politik der Isolation ausgehen. Sie steht deshalb klar für die Bindung des Vereinigten Königreichs an Europa. Durch ihre Familie ist sie eng an die meisten europäischen Adelshäuser gebunden.

Die wirklich heiklen Aufgaben der Geschichte in Bezug auf Deutschland hat sie in ihren letzten Besuchen abgearbeitet: 1965 stabilisierte sie das Verhältnis beider nach dem Krieg, und diese Linie setzte sie 1992 durch die Versöhnungsgesten in Dresden fort – alles durch die Macht der Symbole. Arbeitsgerät: Handtasche und Blumenstrauß.

Dieses Mal hat sie sogar gesprochen. Für den Zusammenhalt Europas. Und damit für Merkel und für Gauck und gegen ihren Premier Cameron, der mit seinem Wunsch nach einem Sonderweg in Europa Freundschaften riskiert. All’ die lächelnden Bilder waren offenbar von einem inneren Einverständnis begleitet, das die Symbole im Nachhinein mit Bedeutung füllt.

Auch in ihrer Heimat spielt die Königin eine Sonderrolle, die von den aktiven Politikern nicht bedient werden kann. Sie ist die einzige wirklich bedeutende Integrationsfigur, der zugetraut wird, die Spaltungen in der englischen Gesellschaft zu überbrücken. Sogar die wankelmütigen Regionen bedürfen ihres Einsatzes: Da die Schotten ihre Königin lieben, ist es wohl vor allem auf ihre Person und auf ihre klug gesetzten Akzente zurückzuführen, dass Schottland beim Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen Herbst für den Verbleib votierte. Aber das Land kämpft gegen drohenden Verlust von Einfluss – da kann der kunstvoll bescheidene Auftritt der Königin in Deutschland immerhin ein deutliches Zeichen setzen, dass das ehemalige Empire noch nicht komplett abgemeldet ist.

Sie würde in ihrem Bentley sogar die Zündkerzen selber finden

Zu ihren Pflichten, die sie seit 63 Jahren erfüllt, gehört jetzt der Besuch der „Queen’s Lecture“ an die Technischen Universität.

Kaum jemand der insgesamt 1200 Wartenden weiß ja, dass die Queen vermutlich die einzige Frau ohne Schulabschluss im Audimax sein wird. Das macht auch nichts. Denn die Bücher ihres Lebens sind golden und in jedes einzelne trägt sie sorgfältig ihren Namen. Ihre Eltern vertraten als Erziehungsziel, sie solle schöne Erinnerungen anhäufen, denn später bestehe das Leben ohnehin nur aus Pflicht. Also ist die praktisch veranlagte Frau viel geritten, ging spazieren und hat sich während des Zweiten Weltkriegs auch noch zur KFZ-Mechanikerin ausbilden lassen. Und so liegt der Reiz dieser Frau auch in der Binnenspannung ihrer Person. Sie ergibt sich aus dem erlesenen Anspruch, dem historischen Gepränge, der Bedeutung ihres Amtes – und der begründeten Vermutung, dass Lisbeth vermutlich, wenn es drauf ankäme, in ihrem Bentley sogar die Zündkerzen selber finden würde.

Aber am Mittwochnachmittag werden werden die Zuhörer erst noch einmal mit den „Benimmregeln“ eingenordet. Offenbar traut man den Berliner Einiges zu: Wenn die Queen den Raum betrete, bitte aufstehen.

Aber dann rauscht als Überraschungsgast zunächst Angela Merkel hinein – Sympathieadresse!, Symbolpolitik! – und die Zuhörer springen ganz von allein aus ihren Sitzen, ohne dass ihnen jemand eine Regel erklären müsste. Merkel, die Physikerin, lässt sich dieses Heimspiel an der Universität nicht entgehen.

Erst als sie sitzt und das Licht ausgeht für einen sehr britischen Moment, entfaltet Neil McGregor, Vortragender der „Queen’s Lecture“ sein unverfroren-gebildetes Panorama von den Hunden in der Bedeutung für die königliche Familie und damit für England überhaupt. Die Familie schenkte sich schon immer Porträts ihrer Lieblingshunde, sagt er – Beweise wirft er an die Wand. England sei deshalb nicht ohne Grund die erste Nation, die Tierschutz rechtlich verankert habe.

Auch, wenn manche Außenstehende die heftigen Debatten im Unterhaus mit den Angriffen von Terriern untereinander verwechseln würden. Die Queen, sagt er, sei schon deshalb so einmalig, weil es für sie im deutschen Duden keinen Plural gebe! Und dann bringt ein studentisches Forschungsprojekt Ihre Einmaligkeit tatsächlich zum Lachen. Ein hunmanoider Roboter, der auf einem Tisch aufgebaut ist, fängt ganz plötzlich an zu winken. Und dann passiert es. Queenkontakt! Echter Queenkontakt! Im Lichthof der TU spricht sie tatsächlich mit Studenten.

Sie habe, sagt der Marco Lützenberger, der für den Roboter verantwortlich ist, „how innovative“ gesagt. Zumindest glaubt er das gehört zu haben. Prinz Philip habe sich – Überraschung – nach dem Roboterhund erkundigt. Aber den hatten sie gar nicht angeschlossen, „der läuft auf einer veralteten Plattform.“

Die Queen habe, sagt die Dirigentin des Collegium Musicum, ein Kompliment zur Musik gemacht. Prinz Philip habe zugegeben, dass sie erst die zweite Frau sei, die er aktiv in der Rolle einer Dirigentin erlebe. Sie habe, sagt eine arbeitssuchende Absolventin, sich nach ihrem Studiengang am Großbritannienzentrum erkundigt. Prinz Philip wollte etwas über Praktikum in England wissen.

Elizabeth II. ist schon beinahe in ihrem Bentley, da wirft sich ihr noch ein Blumenmädchen in den Weg. Die zehnjährige Louisa, eine Professorinnentochter der TU, ein Kleid in den britischen Farben. Die Queen bückt sich zum Blumenmädchen.

Hat sie England überhaupt verlassen?

Die Autorin ist Reporterin im Tagesspiegel und schreibt vor allem für die Seite Drei, die Reportageseite der Zeitung, und den Sonntag. Mitarbeit Andreas Conrad und Bernd Matthies.

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