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Fritz Eberhard (r.) 1954 im Funkhaus Stuttgart beim Überreichen eines Fernsehgerätes an den millionsten SDR-Hörer, Vinzenz Stiller und Frau.

© picture alliance / Adolf Castagn

Professor Fritz Eberhard: Aufrecht und entschieden

Fritz Eberhard war Widerstandskämpfer und einer der „Väter“ der deutschen Verfassung. Eine Würdigung von einem seiner Studenten und Doktoranden.

Fritz Eberhard war sein Deckname im Widerstand gegen die Nazis. Diesen Namen hat der 1896 in Dresden geborene Hellmuth Freiherr von Rauschenplat auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft beibehalten, bis zu seinem Lebensende. In seinen autobiografischen Aufzeichnungen schreibt er über seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus: „In der Situation von 1933 und danach haben wir illegale Arbeit getan, überzeugt, dass das unsere Pflicht war … Das war auch für uns selber notwendig, zur Erhaltung unserer Selbstachtung.“ Fritz Eberhard ist ein Mensch, der in mehrfacher Hinsicht eine Würdigung verdient: als Widerstandskämpfer, als Journalist, als Mitglied des Parlamentarischen Rates und damit als einer der „Väter“ unserer Verfassung, als Intendant des Süddeutschen Rundfunks und als Professor der Freien Universität: Sein Wirken ist mit zahlreichen Phasen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden, in denen er für Frieden und Verständigung und gegen Nationalismus und Kriegstreiberei arbeitete.

Hellmuth von Rauschenplat studierte von 1914 an Volkswirtschaftslehre unter anderem in Heidelberg und Tübingen – unterbrochen durch seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg. 1920 wurde er in Tübingen mit einer Arbeit „Über den Luxus“ promoviert. Er selbst sagte: „Natürlich in Gedanken gegen den Luxus“, den er als Krankheit der kapitalistischen Gesellschaft ansah. Fritz Eberhard wurde SPD-Mitglied, als Jungsozialist mit gewerkschaftlicher Bildungsarbeit auf einer Position links außen; er trat aus der evangelischen Kirche aus und in den Internationalen Sozialistischen Kampfbund ein – was wiederum den Ausschluss aus der SPD nach sich zog. Neben seiner Arbeit als Lehrer und Hochschullehrer sowie als Journalist mit Beiträgen zu wirtschaftspolitischen Themen setzte sich Hellmuth von Rauschenplat bereits in den 1920er Jahren gegen die Not ein und engagierte sich für soziale Gerechtigkeit.

Ein Haftbefehl gegen ihn war bereits 1933 ausgestellt worden

Jäh wurde die junge, nie gefestigte Demokratie der Weimarer Republik in der Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten zerstört, und Fritz Eberhard, wie Rauschenplat sich fortan nannte, kämpfte im Untergrund gegen die neuen Machthaber. Über seinen Widerstand berichtete er in autobiografischen Aufzeichnungen: von der Angst und dem Mut, den kleinen und größeren Aktionen, den Artikeln in Untergrundzeitungen, den gefährlichen Auslandsreisen mit gefälschten Pässen in die Schweiz, nach Prag und Paris, und von den Flugblättern, die er auf abenteuerlichen Wegen verbreitete, manchmal in leeren, scheinbar liegengelassenen Geldbörsen, die er in Telefonzellen deponierte, manchmal sogar mit der Flaschenpost. Er wollte im In- und Ausland zeigen: Es gibt hier Widerstand. Sogar ein Attentat auf „den Führer“ hatte Fritz Eberhard 1938 mit anderen geplant, doch die Sache kam wegen unlösbarer Probleme nicht über das Planungsstadium hinaus.

Ein Haftbefehl gegen ihn war bereits 1933 ausgestellt worden, konnte aber trotz großer Anstrengungen der Gestapo mehr als vier Jahre lang nicht vollstreckt werden. 1937 entkam Eberhard dem Zugriff der Nazis durch eine Flucht unter dramatischen Umständen über Zürich und Paris nach London. Auch hier war er im Widerstand aktiv: Er arbeitete an deutschsprachigen Sendungen der BBC mit und bei deutschen Zeitschriften sowie an Buchveröffentlichungen, unter anderem: „The next Germany“ und „Wege zum neuen Deutschland“. Dabei setzte er sich in den Kriegsjahren bei den Alliierten immer für die Verständigung und für friedliche Lösungen ein. Sein Ziel waren erträgliche Friedensbedingungen und der Neuaufbau eines demokratischen Deutschlands.

Schon im Mai 1945, kurz nach der deutschen Kapitulation, kehrte Fritz Eberhard nach Deutschland zurück und trat in die wiedergegründete SPD ein. Er war zunächst Programmberater des amerikanischen Senders Radio Stuttgart. Später wurde Eberhard Abgeordneter im Landtag des damaligen Landes Württemberg-Baden und von Januar 1947 an Staatssekretär für Fragen zur Ausarbeitung eines Friedensvertrages. In diesem Jahr übernahm er auch die Leitung des Deutschen Büros für Friedensfragen, das unter anderem Vorarbeiten für Friedensverhandlungen und für eine Verfassung leistete. Im Jahr 1948 wurde er für die SPD in den Parlamentarischen Rat in Bonn gewählt.

Beim SDR baute er in drei Amtszeiten das Fernsehen mit auf

Fritz Eberhard war dort Mitglied im wichtigen Ausschuss für Grundsatzfragen. Trotz der zeitlichen Einschränkung durch seine vielfältigen weiteren Tätigkeiten hatte er auf verschiedenen Gebieten erheblichen Einfluss und formulierte wichtige Artikel des Grundgesetzes mit: Artikel 4 (Glaubensfreiheit und Kriegsdienstverweigerung), Artikel 5 (Meinungs- und Informationsfreiheit), Artikel 18 (Missbrauch der Freiheit der Meinungsäußerung), Artikel 25 (Völkerrecht als Bestandteil des Bundesrechts) und Artikel 26 (Verfassungswidrigkeit von gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichteten Störungen, insbesondere Angriffskriegen). Skeptisch bis ablehnend verhielt sich Fritz Eberhard gegenüber Forderungen der Kirchen, die im Hinblick auf den Schutz menschlichen Lebens und auf den eigenen Bildungsauftrag weitergehende Wünsche äußerten, als es heute zu den Themen Ehe und Familie sowie zum Schulwesen in den Artikeln 6 und 7 des Grundgesetzes steht.

Die Sitzungsprotokolle der Fachausschüsse zeigen Fritz Eberhard als einen aktiven und meist um Konsens bemühten Menschen; als einen Pragmatiker, der stets zur Versachlichung beitrug, der Texte so verständlich wie möglich formulierte und der sich konstruktiv an den Diskussionen beteiligte. Durch seine journalistischen Beiträge in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften half er, die Arbeit des Parlamentarischen Rates für die Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen. Fritz Eberhard wirkte maßgeblich daran mit, dass das große Werk des Grundgesetzes in nur knapp neunmonatiger Arbeit fertiggestellt werden konnte: Mit der Verkündung am 23. Mai 1949 wurde das Fundament der deutschen Demokratie gelegt.

Angesichts seiner journalistischen wie politischen Erfahrungen war es nur folgerichtig, dass Fritz Eberhard sowohl für ein Bundestagsmandat als auch für das Amt des Intendanten des Süddeutschen Rundfunks (SDR) in Stuttgart vorgeschlagen wurde; im August 1949 wählte ihn der Rundfunkrat zum Intendanten. Beim SDR baute er in drei Amtszeiten das Fernsehen mit auf, das im Gemeinschaftsprogramm der ARD 1953 mit täglichen Sendungen begann. Gegen den ersten Versuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer, ein regierungsnahes TV-Programm gegen den ARD-„Rotfunk“ zu schaffen, bezog er klar Stellung und verteidigte das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem. Seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus blieb er durch die Förderung von Dokumentarsendungen treu, die sich mit dieser damals erst kurz zurückliegenden Zeit befassten, einer politischen wie menschlichen Katastrophe, die im Nachkriegsdeutschland unter Adenauer so trefflich verdrängt wurde.

Ruhestand und Rente mit 62 Jahren? Weit gefehlt!

Ein wesentliches Verdienst wird Eberhard mit der Förderung junger Autoren zugeschrieben – unter anderem Martin Walser –, denen er im Hörfunk ein Forum bot. Bei seinen politischen Gegnern verschaffte ihm seine Amtsführung keine Freunde. Sie schlossen sich im Rundfunkrat zusammen, um eine vierte Amtszeit des Intendanten zu verhindern, weil er ein zu provokatorischer Sozialdemokrat war. Dennoch brauchte es drei Wahlgänge, um Fritz Eberhard 1958 nach neun erfolgreichen Jahren – mit einem denkbar knappen Ergebnis – nicht noch einmal wiederzuwählen.

Und nun? Ruhestand und Rente mit 62 Jahren? Weit gefehlt! Fritz Eberhard sollte seine Fähigkeiten und Erfahrungen weitere zwei Jahrzehnte in eine Aufgabe einbringen, der er auch in früheren Jahren schon einmal nachgegangen war: in die Ausbildung junger Menschen an einer Hochschule. Dieses Mal war es die noch junge Freie Universität Berlin, an der ein Nachfolger für den bisherigen Leiter des Instituts für Publizistik, Emil Dovifat, gesucht wurde. Wegen angeblich fehlender Erfahrung im Pressebereich, in dem der bisherige Amtsinhaber besonders ausgewiesen war, und wegen angeblich mangelnder Lehr- und Forschungspraxis sowie einer fehlenden Habilitation gab es große Widerstände gegen Eberhard und ein langes Hin und Her, bei dem teilweise auch Verleumdungen gegen den „Emigranten“ aufkamen. Einer der Vorwürfe aus den Reihen der Vertriebenenverbände lautete beispielsweise, er habe in seiner Zeit in London „Landesverrat“ begangen. Fritz Eberhard hatte im Bemühen um einen friedlichen Neuanfang für Deutschland mit der von den Alliierten vorgesehenen Teilung Deutschlands gerechnet und diese daher akzeptiert. Seine friedliche Absicht wurde von solcher Schmähkritik wohlweislich übersehen. Die Kampagne reichte in unterschiedlicher Ausprägung bis in die Reihen von CDU, RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) und Junger Union.

Der Ordinarius Emil Dovifat und der Berliner Kultussenator Joachim Tiburtius mussten sich letztlich mit dem ungeliebten Nachfolger, der von der Fakultät gewollt war, abfinden. Es gab allerdings das Zugeständnis, dass Eberhard nicht den angestrebten Ruf auf das Ordinariat erhielt, sondern im März 1961 lediglich als Honorarprofessor mit der kommissarischen Leitung des Instituts für Publizistik an der Freien Universität Berlin beauftragt und eingestellt wurde.

Noch mit 86 Jahren unterstützte er Berliner Hausbesetzer

In dieser neuen Rolle nahm sich Fritz Eberhard mit großem Engagement der Aufgabe an, dem Institut ein neues Profil zu geben und mitzuhelfen, dass das Fach Publizistik die etwa in den USA längst selbstverständliche sozialwissenschaftliche Neuorientierung bekam. Zugute kamen ihm hierbei seine Erfahrungen mit der Hörerforschung aus der Zeit als Intendant des SDR. Die neue sozialwissenschaftliche Ausrichtung der Publizistik an der Freien Universität folgte auf die geisteswissenschaftliche Orientierung als „Zeitungswissenschaft“ unter seinem Vorgänger Emil Dovifat.

Während seiner Jahre als Institutsdirektor und auch nach seiner Emeritierung 1968 leitete Fritz Eberhard bis zu seinem 86. Lebensjahr Seminare und betreute Abschlussarbeiten von Studierenden. Seine Erfahrungen waren am Institut stets hochwillkommen, seine Beratung und Betreuung brachten ihm Hochachtung und Sympathie ein. Und: Unbequem zu sein, sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben, sondern immer wieder nachzufragen, nach der Wahrheit zu forschen und mit Demokratie und Verfassung wachsam umzugehen, darauf bestand Fritz Eberhard stets. Und das gab er seinen Studentinnen und Studenten mit auf den Weg.

Wie wichtig wäre diese Sorgfalt gerade in einer Zeit wie heute, die von einer wachsenden Zahl von Rechtspopulisten gekennzeichnet ist, die die Pressefreiheit selbst in unserem Land bedrohen. Fritz Eberhard, der von seinen Mitarbeitern und studentischen Hilfskräften freundschaftlich, aber respektvoll auch „Fritze“ genannt wurde, hätte sich womöglich an Demonstrationen für die Enteignung großer renditeorientierter Wohnungsbaugesellschaften beteiligt; er, den es noch als hochbetagten Mann im Jahr vor seinem Tod im März 1982 gemeinsam mit dem Theologen Professor Hellmut Gollwitzer in ein besetztes Haus in Kreuzberg zog, wo er aus Solidarität mit den Besetzern sogar übernachtet haben soll. Ein ausgleichender, umgänglicher und fröhlicher Mann, nach den Worten Gollwitzers ein „Friedensstifter“, der aber entschieden und auch ungeduldig sein konnte, laut oder leise mahnend, konsequent, engagiert, aktiv und mit aufrechtem Gang.

Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes bleibt die Erinnerung an Fritz Eberhard als einen der „Väter“ unserer Verfassung, der später auch als Professor an der Freien Universität Berlin gelehrt und geforscht hat.

Jan Tonnemacher ist emeritierter Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Senior Research Fellow am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität. Er hat bei Fritz Eberhard studiert und promoviert. Dieser persönlichen Würdigung liegen seine Erinnerungen an den Publizistikprofessor zugrunde sowie Beiträge in: Bernd Sösemann (Hg.): Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk, Stuttgart 2001.

Jan Tonnemacher

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