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Benjamin Arlet hat in einem Berliner Keller gehortet, was er und seine Freunde im Notfall brauchen.

© Mike Wolf

"Prepper" in Berlin: Sie planen schon mal für die Apokalypse

Benjamin Arlet will vorbereitet sein, wenn in Deutschland die Katastrophe ausbricht. Mit Vorräten, Zelt, Schlauchboot, Armbrust. Der Berliner ist ein Prepper und Spott gewohnt. Unsere Reportage nun in voller Länge.

Wenn es so weit ist, werden sie sich hier treffen. Im Hinterhof eines Mietshauses in der Düsseldorfer Straße, pures Berlin-Wilmersdorf, nicht weit vom Hohenzollernplatz. Kellertreppe runter, Eisentür auf, hinten rechts den Gang rein. Dort haben sie ihr Depot.

Der vollbepackte Rucksack in der Ecke gehört Daniel Schäfer. Mit dieser Ausrüstung könnte er im Ernstfall drei Monate überleben. Wiegt jetzt schon um die 20 Kilogramm, wobei noch der Spiritus fehlt. In den Regalen: Spaten, Seile, Plastikplanen, Zelte, ein Schlauchboot, Klopapier. Der alte Staubsauger gehört nicht dazu, sagt Benjamin Arlet, der steht dort nur herum. Aber die Waffen. Falls man sich den Weg freikämpfen müsse. Wurfmesser, Langmesser, Bogen. Eine riesige Armbrust. Wäre eine Pistole nicht handlicher? Ja schon, sagt Arlet, aber für die bräuchte man in Deutschland einen Waffenschein. Für eine Armbrust muss man bloß 18 Jahre alt sein.

Wenn es so weit ist, sind sie gewappnet

Wenn es so weit ist, werden sie im Keller noch auf Freunde warten, die den Treffpunkt am Hohenzollernplatz ebenfalls kennen. Erst danach brechen sie auf. Wenn es so weit ist, hätten sie alleine sowieso keine Chance, sagt Benjamin Arlet.

Sie nennen sich Prepper. Das kommt vom englischen „to be prepared“. Bereit sein. Angeblich sind in Deutschland 40.000 Menschen bereit. Wofür genau, können sie nicht wissen, nur dass es sehr unangenehm wird. Europaweiter Stromausfall, Chemieunglück, Unwetterkatastrophe, Hyperinflation, Terrorattacke, Atombombe. Vorfälle, nach denen sich die Menschen, wenigstens für eine gewisse Zeit, nicht mehr auf den Staat verlassen können. Nach denen sie ums Überleben kämpfen müssen.

Daniel Schäfer, 42, ist ein muskelbepackter, gedrungener Mann. Bei der Bundeswehr hat er eine Einzelkämpferausbildung gemacht, später ging er zur Kriminalpolizei, jetzt ist er Unternehmensberater. Er sagt, er kenne sich mit Risiken aus. Benjamin Arlet, 26, drahtig, hat Spieledesign studiert. Zusammen hocken sie jetzt an einem Bürotisch im Erdgeschoss des Mietshauses, das als Treffpunkt fungieren wird, und breiten Zubehör aus. Tabletten, die Keime in Seewasser töten, sodass man es trinken kann. Ein Stück Korken, Schnur, Wachs. „Es ist von Vorteil, mit einer Frau unterwegs zu sein“, sagt Arlet und schmunzelt. Wasserdicht verpackte Tampons eigneten sich zum Feuermachen.

In den USA gibt es bereits vier Millionen Prepper. Seit der Finanzkrise von 2008 wächst die Bewegung kontinuierlich. Auch in Deutschland fing das Interesse damals an, sagt Daniel Schäfer. Und seit vergangenem Jahr, seit der Ankunft der Flüchtlinge, ist es noch viel stärker.

Jahrelang wurden Prepper belächelt. Abgetan als Spinner und Weltuntergangspropheten. Seit vor zwei Wochen bekannt wurde, dass die Bundesregierung das Zivilschutzkonzept überarbeitet und darin jedem Bürger rät, Lebensmittel für einen Zeitraum von zehn Tagen zu bunkern, sieht sich die Szene bestätigt.

Die Pläne sind hilfreich, sagt Schäfer. Ebenso die lange Liste mit Gegenständen, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt. Taschenlampe, Thermoskanne, Dosenöffner, Verbandsmaterial. Wobei es eben nicht genüge, das alles nur zu lagern. Man müsse auch lernen, es anzuwenden. Denn im Ernstfall werde ein solcher Stress entstehen, dass das Großhirn aussetze und nur gelinge, was mehrfach eingeübt wurde. Außerdem könne man nicht davon ausgehen, dass man sich zu Hause einschließen kann. Es komme auf die Gefährdungslage an, sagt Benjamin Arlet. „Wenn wir sehen, da laufen Banden durch Berlin und klopfen mit der Machete an jede Haustür, dann ist es Zeit zu verschwinden.“

Wer Preppern zuhört, wie sie über ihre Pläne sprechen, kommt um die Frage nicht herum, wie viel Realismus und wie viel Wahnsinn in diesen Köpfen steckt. Daniel Schäfer sagt, es sei doch seltsam. Über einen Autofahrer, der ein ADAC-Sicherheitstraining bucht, schmunzle niemand. Auch nicht über einen Fallschirmspringer, der den Ersatzschirm einpackt, oder den Unternehmer, der sich ein Worst-Case-Szenario überlegt. „Aber wer in seinem Keller Essbares für mehr als einen Monat stapelt, soll ein komischer Kauz sein?“

Als Innenminister Thomas de Maizière das neue Zivilschutzkonzept vorstellte, sagte er, am ehesten könne er sich einen Terroranschlag auf das Stromnetz vorstellen. Schäfer weiß, was das bedeutet: „Die Folgen wären verheerender, als sich Laien das ausmalen.“

Drei Tage lang liefen noch vereinzelt Generatoren, zum Beispiel auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. Schon in den ersten zwei Tagen würden die Supermärkte leer gekauft. In den meisten Haushalten breche nach drei bis vier Tagen, wenn alles Wasser aus den Spülkästen der Toiletten getrunken sei, der Durst aus. „Und dann geht der Nahkampf los“, sagt Daniel Schäfer. „Das Zerren um die Ressourcen.“ In Bayern habe man das im Juni dieses Jahres beobachten können, da fing es nach drei Tagen Hochwasser in einigen Gemeinden mit den Plünderungen an.

Es gibt da dieses Buch, „Blackout“. Der österreichische Schriftsteller Marc Elsberg hat darin die Folgen eines europaweiten Stromausfalls sehr detailliert beschrieben. Das Buch ist enorm populär unter deutschsprachigen Preppern. Es trägt den Untertitel: „Morgen ist es zu spät“.

Typisch deutsch: Zukunftsangst durch Planung bekämpfen

In den USA, wo die Bewegung ihren Anfang nahm, gibt es heute in jeder größeren Stadt Läden nur mit Prepper-Bedarf, auch eine Fernsehserie, in der die erfinderischsten Prepper mit den extremsten Vorsichtsmaßnahmen präsentiert werden. Soziologen führen die Affinität der US-Amerikaner fürs Preppen einerseits auf die Größe des Landes und den Anteil dünn besiedelter Flächen zurück, die Naturkatastrophen wahrscheinlicher machen. Andererseits aber auf das traditionelle Misstrauen der Bürger gegenüber ihrer Regierung - und die Überzeugung, man könne sich nicht darauf verlassen, dass einem im Notfall der Staat helfe. Der Bonner Angstforscher Andreas Schmitz sagt, die amerikanische Prepperszene sei tendenziell männlich, politisch rechts und lebe in der Provinz. Es handele sich oft um Menschen, die von diffusen Sorgen geplagt würden, etwa über die Gefahren der Globalisierung.

Die deutsche Szene ist noch wenig erforscht. Obwohl die Zutaten des Preppens typisch deutsch klingen: intensive Zukunftsangst und der Versuch, diese durch penible Planung zu bekämpfen.

Hierzulande tauschen sich die Prepper vor allem in Internetforen aus. Beraten darüber, aus welchen Materialien sich im Ernstfall ein Regenwassersammelsystem bauen ließe. Und ob die Spaltaxt etwas taugt, die Aldi Süd diese Woche für 12,99 Euro im Angebot hat. Allgemeiner Tenor: Ja schon, aber der Stiel sollte lieber aus Holz sein als aus Plexiglas.

Da ist Sven, der vier Mal die Woche kalt duscht, zur Abhärtung und weil er sich dann schon mal an das gewöhnen kann, was ihn künftig wahrscheinlich sieben Mal die Woche erwartet. Monique regt sich darüber auf, dass in Bezug auf die Wasservorräte immer nur an die Menschen gedacht wird. Nirgends steht, wie viel man zusätzlich braucht, wenn man eine Katze zum Haustier hat. Ein populäres Prepper-Portal hat gerade einen neuen Artikel veröffentlicht: „Der eigene Bunker, nur ein Traum oder doch umsetzbar?“ Der Autor rät, es eine Nummer kleiner mit einem Luftschutzkeller zu versuchen. Da müssten die Mauern nicht gleich fünf Meter dick sein.

Der Berliner Prepper Daniel Schäfer sagt, die Mehrheit der Deutschen sei schlecht vorbereitet. Dies liege auch daran, dass vor fünf Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. „Keiner bekommt mehr Überlebensgrundkenntnisse vermittelt.“ Deshalb bieten Arlet und Schäfer Kurse mit Wanderungen im Wald an. Da beantworten sie Fragen wie: Welche Ausrüstung brauche ich? Wie komme ich in der Gruppe klar? Was darf ich im Wald essen und was auf keinen Fall? Schlachten kann heute ja auch keiner mehr, sagt Schäfer.

Könnte man denn auch als Vegetarier da draußen überleben? Es sei sowieso kompliziert, ein Tier zu fangen, sagt Arlet. Da böten sich Beeren, Wurzeln oder Wildkarotten an. Andererseits: Wenn der Hunger komme, habe sich das mit dem Vegetariertum schnell erledigt. Nach anderthalb Tagen seien alle Hemmschwellen weg. „Wir wissen aus der Geschichte: Im Zweifel essen sich die Menschen gegenseitig auf.“

Daniel Schäfer sagt, auch sein eigener Fluchtplan sei noch nicht perfekt. Er weiß von einem ehemaligen Hauptfeldwebel, der sich im Norden Berlins ein Grundstück angemietet und darauf einen vollbepackten Wagen geparkt hat. Im Ernstfall muss der Mann nur dort hingelangen, einsteigen und Tschüss. Das Auto ist abgemeldet, so entstehen keine laufenden Kosten. Im Fall einer Apokalypse wird keine staatliche Instanz da sein, die auf Nummernschild oder TÜV-Plakette achtet.

Die Diskussionen erinnern an den Abenteuersinn von Pfadfindern. Als rüsteten sich Tick, Trick und Track für die nächste Wanderung. Es gibt aber auch extrem hässliche Seiten. In vielen Foren ist die Ansicht verbreitet, geheime Mächte versuchten, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Mal sind es die Banker, mal die Juden, mal „die da oben“. Oft wird geraten, sich zu bewaffnen.

Inzwischen gibt es einen bundesweiten Verband, die „Prepper Gemeinschaft Deutschland“. Der Vorsitzende, Bastian Blum, ist zu einem Telefongespräch bereit. Ja, sagt er, es gebe ein großes Problem in der Prepperszene. Pegida-Anhänger, sogenannte Reichsbürger, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen, andere Fremdenfeinde. Leute, die versuchen, ihr eigenes Versagen anderen in die Schuhe zu schieben. Er ahnt deren Motivation: Die hofften innerlich regelrecht darauf, dass die große Katastrophe komme. Weil dann sie mal diejenigen wären, die in der Hierarchie ganz oben stünden. Weil sie Waffen und die meisten Vorräte hätten.

Er sagt, es sei schon ein bisschen lästig, dass er sich immerzu von den Extremisten distanzieren müsse. Das sei vielleicht vergleichbar mit den Muslimen, die immerzu gefragt würden, ob sie mit den gewaltbereiten Salafisten sympathisierten.

Bastian Blum sagt, er will das Preppen nicht den rechten Hysterikern überlassen. Weil Krisenvorsorge eben vernünftig sei. Demnächst will sich Blum noch zwei Solarpanels und ein leistungsstarkes Notstromaggregat anschaffen.

Er glaubt, nach der Katastrophe gibt's mehr Glücksgefühle

Wie sinnvoll ist Preppen wirklich? Professionelle deutsche Katastrophenhelfer sagen, hier werde maßlos übertrieben, mit Ängsten Geld gemacht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe äußert sich diplomatisch: „Wir wissen, dass es Prepper gibt. Aber wir teilen ihre Beweggründe nicht.“ Beim Amt beschäftige man sich mit realistischen Szenarien, nicht mit Weltuntergangsfantasien.

Angstforscher Andreas Schmitz sagt, das Preppen helfe nicht dabei, die eigene Angst zu kontrollieren. Schließlich gehe es den meisten Preppern gar nicht um konkrete Schreckensszenarien, sondern um unbewusste Urängste. „Wenn sie konkrete Risiken ausschalten, führt das nur dazu, dass sie durch andere Ersatzängste ausgetauscht werden.“ Und noch schlimmer: Je mehr sie sich ins Preppen hereinsteigern, desto mehr keimt eine ganz neue Angst auf: dass alle Vorbereitungen für die Katz sein könnten. „Dass man unsinnig viel Geld ausgegeben und sich damit vor seiner Umgebung blamiert hat.“

Wenn es so weit ist, wollen Daniel Schäfer und Benjamin Arlet nach Norden. Warum? Weil die meisten anderen wahrscheinlich instinktiv nach Süden flüchten werden, weil es dort wärmer ist. In Skandinavien aber gebe es günstiges Klima zum Getreideanbau, viele Tiere zum Jagen, wenige Menschen. Gute Bedingungen. Sie wollen mit ihrer Gruppe nach Schleswig-Holstein, dann weiter nach Dänemark, und dann über die Öresundbrücke nach Schweden, also falls die dann noch stehe, sonst müssten sie ein Boot organisieren.

Wenn es so weit ist, wenn die große Katastrophe kommt, kommt auf die Überlebenden ein entbehrungsreiches Leben zu. Kein Kino, kein Milchkaffee, kein Supermarkt. Die Prepper werden um Verwandte und Freunde trauern, die es nicht geschafft haben. Will man das überhaupt?

„Der Alltag wird zwar anstrengender, aber nicht schlechter“, sagt Daniel Schäfer. Der Geist werde sich schnell an die neuen Umstände gewöhnen. Völker, die naturverbunden lebten, seien ja bekanntlich auch „zufriedener als wir in unseren Breitengraden“. Und die Beziehungen, die würden viel enger und verbindlicher werden als jetzt, wo jeder nur an sich denke. Dann erzählt Schäfer etwas vom Selbstbild der Männer, das nach dem Zweiten Weltkrieg sehr gelitten habe. Dass viele Männer heute gar nicht mehr wüssten, was ihre Rolle sei, und wieder lernen müssten zu kämpfen, eine gewisse Gefährlichkeit auszustrahlen. Schäfer glaubt, im Leben nach der Katastrophe würden die Überlebenden jeden Tag mehr Glücksgefühle erleben, als sie es heute tun. „Es ist nicht so, dass ich mich darauf freue, in den Wald zu gehen“, sagt er. „Aber ich habe auch kein schlechtes Gefühl bei der Vorstellung daran.“

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