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Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin.

© Mike Wolff

Präsidentenkolumne: Die Welt in Schubladen?

Die Fragen und Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht mit dem Wissen einzelner Fachbereiche lösen. Es braucht die Zusammenarbeit aller Disziplinen.

In der Schule sieht die Welt des Wissens noch einfach aus, sie ist übersichtlich gegliedert: Der Stundenplan teilt alles, was man über die Welt und für die Welt wissen und können muss, in „Fächer“ wie Deutsch und Mathematik und Erdkunde.

Nun gibt es aber erstens, um William Shakespeare zu zitieren, sehr viel „mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Schulweisheit sich träumen lässt“, also auch mehr wichtige Themen und Fächer, als irgendein Schul-Stundenplan fassen kann. Zweitens ist die Einteilung in Fächer als solche eher zufällig, fast willkürlich, denn sie ist historisch gewachsen.

So ist die Trennung zwischen Mathematik und Physik genauso „historisch“ wie die Abtrennung der Informatik von der Mathematik es ist. Und kaum separat lehren, lernen oder verstehen kann man auch Zusammenhänge in Geschichte, Sozialkunde, Politik- und Wirtschaftswissenschaft angesichts vieler Überschneidungen. Und doch ist die Einteilung in Fächer notwendig und sinnvoll, weil die Fächer Wissensbereiche und Wissenschaftsbereiche beschreiben, die nicht nur gemeinsame Wurzeln haben, sondern auch zusammenhängende Grundlagen, Fragestellungen, Methoden, Standards und Traditionen der Wissensgenerierung und -vermittlung.

Klimawandel oder Pandemien sind gigantische Herausforderungen

Auch die Universität ist zwar eingeteilt in Fachbereiche und Studienfächer, denn Studium heißt erst einmal: Konzentration auf Grundlagen und Fokussierung auf Details, um Wissen, Fähigkeiten und Perspektiven zu entwickeln. Niemand kann wirklich interdisziplinär arbeiten, der nicht eine Disziplin beherrscht; Brücken ohne Ufer ergeben keinen Sinn.

Und trotzdem: In den lateinischen Wurzeln des Worts „Universität“, in der universitas, steckt sowohl Gemeinschaft, aber auch die ganze Welt, die Gesamtheit der Dinge, die universitas rerum. Die Fragen, Probleme, Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft passen nicht in die Schubladen einzelner Fächer: Klimawandel, Biodiversität, Nachhaltigkeit, sozialer Zusammenhalt, Pandemien sind gigantische Herausforderungen.

Und keine dieser Herausforderungen lässt sich aus einem einzelnen Fach heraus verstehen oder gar lösen. Es gibt keine „politische Lösung“ für Klimawandel, Biodiversität, Nachhaltigkeit, Begrenztheit der Ressourcen – es gibt keine „technische Lösung“ für eines dieser Probleme, auch keine wirtschaftliche, medizinische oder politische.

An der Universität kommen alle Disziplinen zusammen

Um ein offensichtliches aktuelles Beispiel zu bemühen: Um Pandemien zu bekämpfen, reicht es nicht aus, wenn Medizinerinnen und Mediziner, Biochemikerinnen und Biochemiker, Mathematikerinnen und Statistiker sowie Epidemiologen zusammenkommen. Gefragt sind dann auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Soziologie, Psychologie, Sozial- und Regionalwissenschaften, der Geschichte und der Archäologie. Ja, die Archäologie kann auch hier einen Beitrag leisten, weil es auch darum geht, vergangene Pandemien zu verstehen wie die Pest und die Spanische Grippe.

Und alle diese Disziplinen – und Expertinnen und Experten dieser Fächer – kommen bei uns zusammen. Die Freie Universität ist ein ganz besonderer Ort für inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit. In Projekten oder auch durch spontane Vernetzung. Universität heißt: Einladung zum Mitmachen, Einladung zum gemeinsamen Tun. Gemeinsam vorbereiten für die großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft.

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