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Verwechslungsgefahr? Links die Figur von Lego, rechts von Qman.

© privat

PR-Desaster für Weltkonzern: Lego bringt die treuesten Fans gegen sich auf

Mit Anwälten geht Lego gegen Händler und Youtuber vor. Sympathisch wirkt das nicht. Jetzt droht den Dänen ein schwerer Schlag.

Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer, sagt Thorsten Klahold. Schon im wörtlichen Sinn: Der Papierstapel, den er im Dezember von der Anwaltskanzlei aus Frankfurt am Main im Auftrag von Lego bekam, habe fast 700 Gramm gewogen. 

Das Dokument enthielt eine Reihe von Vorwürfen, von denen Klahold manche als „lächerlich“, andere als „traurig“, wieder andere als „absurd“ bezeichnet. Dazu die Aufforderung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. „Habe ich natürlich nicht getan“, sagt Thorsten Klahold am Telefon. Er sagt auch: „Ich halte das für einen Einschüchterungsversuch.“

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Thorsten Klahold, 47, betreibt in Paderborn den Laden „Steingemachtes“. Dort bietet er regalweise Bausätze für kleine Häuser, Fahrzeuge und Sehenswürdigkeiten an, die sich aus Plastiksteinen mit Noppen auf der Oberseite zusammensetzen lassen. Klahold vertreibt die Steine auch online.

Ein ahnungsloser Kunde, der sie sieht, würde vermutlich Lego zu ihnen sagen. Doch das wäre falsch. „Lego“ sind nur Steine, die der dänische Konzern auch selbst hergestellt hat. Ansonsten spreche man besser von „Klemmbausteinen“ oder „Noppensteinen“, sagt Thorsten Klahold – vor allem dann, wenn man Stress mit Lego vermeiden wolle. In dem Papierberg, der den Händler im Dezember erreichte, beschuldigen ihn die Anwälte, er habe Figuren verkauft, die er nicht hätte verkaufen dürfen.  Klahold sagt, das Vorgehen von Lego habe System.

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Wie der Kampf zwischen David und Goliath

Er ist nicht der einzige, der Schreiben mit Anschuldigungen, Abmahnungen oder Forderungen von Lego-Anwälten erhält. Es ist ein Streit um Fachbezeichnungen, um Kopfformen von Plastikfiguren, unterstellte Absichten und übelgenommene Umgangsformen. Was für Außenstehende unterhaltsam klingen mag, ist ein Existenzkampf in einer milliardenschweren Industriebranche. Und einer, der für den Weltmarktführer Lego zunehmend im PR-Desaster zu enden droht.

Im Januar erreichte der Streit eine neue Eskalationsstufe. Der Frankfurter Klemmbaustein-Händler Thomas Panke, der auf Youtube den populären Kanal „Held der Steine“ betreibt und dort verschiedenste Klemmbaustein-Kombinationen präsentiert, zitierte in einem Video genussvoll aus einem weiteren Schriftsatz der Lego-Anwälte: Er solle umgehend einige seiner Videos löschen, weil er darin Konkurrenzprodukte als „Lego“-Steine bezeichnet habe. Damit habe er die Rechte von Lego verletzt, da der Konzern eine sogenannte Wortmarke besitze. Dies alles stimmt.

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Unter Juristen ist allerdings umstritten, ob Lego diese Wortmarke tatsächlich zusteht oder ob es sich beim Wort Lego nicht vielmehr um einen Gattungsbegriff handelt – so wie der eigentliche Markenname „Jeep“ ein solcher Begriff für Geländewagen insgesamt geworden ist, „Flex“ für Winkelschleifer und „Walkman“ für ein antiquiertes Musikabspielgerät. 

Bis vor zwei Jahren verkaufte Thomas Panke in seinem Laden ausschließlich Lego-Produkte, inzwischen zählt er zu den schärfsten und lautesten Kritikern des Konzerns. Er behauptet, Lego habe stark nachgelassen. Das Unternehmen versuche, seinen Kunden „maximal viel Geld für wirklich immer schlechter werdende Produkte abzunehmen“.

Eine Anfrage des Tagesspiegels, wie der Konzern derartige Äußerungen bewertet, beantwortet dieser nicht.

Auch Pankes Beschreibungen einzelner Lego-Produkte fallen immer vernichtender aus, klingen nach Generalabrechnungen, gespickt mit heiter verpackten Bösartigkeiten: Das zusammenbaubare Ferrari-Modell von Lego nennt Panke „schäbig“, „Grütze“ und „Schrott“, den Ableger „Lego Friends“ verspottet er als „selten dämlich“ – im Grunde sei es „grotesk beleidigend, dass es das überhaupt gibt“. 

Thomas Panke vergleicht den Ferrari von Lego (oben) mit dem von Cada.
Thomas Panke vergleicht den Ferrari von Lego (oben) mit dem von Cada.

© Youtube

Gleichzeitig zeigt Thomas Panke Alternativen auf und lobt Konkurrenzfirmen, die für dieselbe Menge an Noppensteinen deutlich weniger Geld verlangen. Von denen gibt es mittlerweile etliche. Sie heißen Cada, Cobi, Qman oder Xingbao. Mit BlueBrixx gibt es auch einen deutschen Hersteller, der im hessischen Flörsheim bei Frankfurt sitzt und stark expandiert.

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Je schärfer Lego gegen mutmaßliche Verstöße seiner Kritiker vorgeht und diese sich öffentlich wehren, desto mehr Aufmerksamkeit ist ihnen gewiss, wobei der dänische Konzern selten in einem sympathischen Licht erscheint. Legos Vorgehen erinnert an die ungeschickten Versuche der US-Sängerin Barbra Streisand, einst die Veröffentlichung einer Luftbildaufnahme ihres Anwesens zu stoppen. Das Bild war Teil einer online einsehbaren Serie von insgesamt 12 000 Fotos, die Erosionsschäden an der kalifornischen Küste dokumentierten, und fiel zunächst nicht weiter auf.

Als Streisand jedoch vor Gericht zog und den Fotografen sowie die Webseite auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz verklagte, wurden Fans und Medien auf das Thema aufmerksam, das Foto der Villa wurde tausendfach im Netz geteilt und ist noch heute problemlos auffindbar. Die ungewollte Verbreitung einer Information durch den Versuch, sie zu unterdrücken, ist unter Internetnutzern und Krisenkommunikatoren seither als „Streisand-Effekt“ bekannt. 

„Bleibt weg von diesem Set!“

Pankes Kanal „Held der Steine“ hat durch Legos Brief und dessen Öffentlichmachung zehntausende Abonnenten hinzugewonnen. Nun kommen Menschen, die bis vor wenigen Wochen noch nie von Thomas Panke gehört hatten, in den Genuss drastischer Kaufwarnungen wie „Bleibt weg von diesem Set!“ oder „Die Qualität ist unterirdisch!“

Bei einem Raumschiff-Bausatz diagnostiziert Panke „alles, was bei Lego falsch“ laufe, nämlich „Qualitätsprobleme, inhaltliche Ahnungslosigkeit und dreiste Preisgestaltung“.

Eine Anfrage des Tagesspiegels, wie der Konzern derartige Äußerungen bewertet, beantwortet dieser nicht.

Für Lego ist es ein Dilemma. Denn der Konzern ist nicht nur berechtigt, sondern regelrecht dazu verpflichtet, gegen Provokationen wie die jüngste von Thomas Panke vorzugehen: Der Inhaber einer Wortmarke muss diese laut Gesetzgeber aktiv schützen, ansonsten kann er sie verlieren. In anderen Branchen ist das selbstverständlich.

Google etwa drängte erfolgreich darauf, dass der Duden das Verb „googeln“ als Synonym für die Benutzung einer Suchmaschine tilgt. Googeln könne schließlich nur, wer Google benutzt. Das Problem ist, dass gängige Geschäftspraktiken unter Marktteilnehmern schwer mit dem Image der vermeintlich heilen Spielzeugwelt vereinbar sind.

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Das erste Mal, dass Panke unerfreuliche Post von Lego erhielt, liegt zwei Jahre zurück. Damals wies der Konzern den Händler darauf hin, dessen „Held der Steine“-Logo zeige im Hintergrund einen blauen Stein mit drei Noppen drauf und verletze damit die Rechte der Dänen. Panke reagierte mit einem sarkastischen Video, das Lego wochenlange Empörung von Klemmbausteinfans einbrachte. Der Unmut geriet so groß, dass Frédéric Lehmann, Chef von Lego Deutschland, auf der Spielwarenmesse in Nürnberg bei der offiziellen Pressekonferenz Abbitte leistete und zugab, „nicht richtig kommuniziert“ zu haben: „Es wäre besser gewesen, mal den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und einfach zu sprechen, statt Briefe zu schreiben.“

Seine Marketingexpertin verkündete ein „big learning“ und dass man es beim nächsten Mal besser mache. 

Tatsächlich bekam Thomas Panke, als er in diesem Januar aufgefordert wurde, seine Videos zu löschen, zunächst einen Anruf: Die Anwaltskanzlei teilte ihm mit, dass er bald einen Brief erhalte.

Großen Erfolg hat Lego mit seiner "Star Wars"-Reihe.
Großen Erfolg hat Lego mit seiner "Star Wars"-Reihe.

© Jaap Arriens/Imago

Es ist nicht so, dass Lego den Noppenstein erfunden hätte. Bereits in den 1930er Jahren existierten Spielzeug-Bausysteme aus Pressholz- oder Gummisteinen, auf deren Oberseite sich kleine Noppen befanden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs brachten Firmen aus Großbritannien und den USA die ersten Kunststoffsteine auf den Markt. Eine davon hieß Elgo. 1958 meldete dann die dänische Firma Lego ein Patent auf Bausteine an – mit der Besonderheit, dass diese auf der Unterseite nicht komplett hohl waren, sondern kleine Röhren besaßen, an denen sich die Noppen des darunter liegenden Steins festklemmen lassen. 

Das Patent lief 1978 aus, jeder darf nun Klemmbausteine produzieren und verkaufen. Auch auf die kleinen Spielfiguren, die den Boxen beiliegen, besitzt Lego kein Patent mehr – allerdings noch eine sogenannte 3D-Marke. Die schützt keine technischen Erfindungen, also keine Funktionen, sondern die optische Unverwechselbarkeit eines Produkts. 

Zu wem gehört der viereckige Kopf?

Die 3D-Marke ist es, weswegen Thorsten Klahold, der Bausteinhändler aus Paderborn, nun Ärger mit Lego hat. Der Konzern beschuldigt ihn, Sets der Konkurrenz samt Figuren in Umlauf zu bringen, die mit Legos Figuren verwechselt werden könnten. Darunter auch solche, die für Laien kaum wie Lego-Männchen wirken, etwa weil sie übergroße oder viereckige Köpfe haben. Am Telefon sagt Klahold, es scheine, als suche der Konzern nach Wegen, sich das „Recht am menschlichen Körper in der Klemmbauwelt zu sichern“. 

Eine Anfrage des Tagesspiegels, wie der Konzern derartige Äußerungen bewertet, beantwortet dieser nicht. 

Allerdings schreibt Lego: „Wir ergreifen immer nur dann rechtliche Schritte, wenn es notwendig ist.“ Denn wer Lego kaufe, erhalte ein Produkt „von tadelloser Qualität“. Gegen „beabsichtigte Produktähnlichkeiten“ anderer Hersteller gehe man vor, um „sicherzustellen, dass die Verbraucher nicht getäuscht werden“. 

Anderswo bleibt es nicht bei Anwaltsbriefen. Bei Klaus Kiunke, Chef des deutschen Konkurrenzanbieters BlueBrixx aus dem hessischen Flörsheim, standen überraschend zwei Gerichtsvollzieher im Büro. „Ich dachte erst, die kamen zum Vorstellungsgespräch“, sagt Kiunke am Telefon. Tatsächlich kamen sie, um etliche Boxen zu beschlagnahmen, die von Lego beanstandete Figuren enthielten. Seitdem hat er mehrfach Post der Anwaltskanzlei erhalten. „Wir werden regelrecht bombardiert“, sagt er. „Das nervt einfach nur noch.“ Die Strategie von Lego koste ihn „schlaflose Nächte und viel Geld für eigene Anwälte“. 

Für seine Kunden sei das Verhalten ebenfalls schädlich. Denn so würden auch Figuren vom deutschen Markt ferngehalten, die denen von Lego weit überlegen seien: die des chinesischen Herstellers Zhe Gao etwa kann ihre Arme anwinkeln, die Hüfte drehen, auf einem Bein stehen und den Kopf nach vorn beugen.

Die Stimmung unter Lego-Fans war schon mal besser.
Die Stimmung unter Lego-Fans war schon mal besser.

© Axel Heimken/dpa

Dieses Jahr werden Gerichte entscheiden, welche Figuren Klaus Kiunke künftig vertreiben darf. Geht es nach Lego, müsste BlueBrixx sogar den Nachbau von Schloss Neuschwanstein aus dem Sortiment nehmen, weil dort auf den Zinnen des Daches zwei winzige, unbewegliche Figuren als Verzierung vorgesehen sind. 

Gleichzeitig hat Kiunke zum Gegenschlag ausgeholt und im spanischen Alicante beim „Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum“ einen Antrag auf Löschung von Legos 3D-Marke gestellt. Bis Sommer soll darüber entschieden werden.

Wackelt nun auch die Wortmarke?

Im Kampf der Davids gegen Goliath hat Thorsten Klahold, der Steineverkäufer aus Paderborn, noch eine andere Idee. Auf seinem Kanal „Johnny's World“ schlug er neulich vor, ob alle Betroffenen und Aufgebrachten nicht ein Crowdfunding initiieren sollten  – um dann ein sogenanntes Verkehrsgutachten bezahlen zu können, das per Marktbefragung feststellt, ob Lego nicht längst ein Gattungsbegriff ist. „Die meisten Menschen kennen doch gar kein anderes Wort dafür, die sagen doch nicht ernsthaft Klemmbaustein.“ 

Auf seinen Vorschlag habe er viele begeisterte Rückmeldungen bekommen, sagt Klahold. Und Zusagen, Geld beizusteuern.

Der deutsche Anbieter BlueBrixx will dieses Jahr weiter expandieren und im ganzen Bundesgebiet zwölf Ladengeschäfte eröffnen, möglicherweise auch eines in Berlin, sagt Klaus Kiunke. Lego hat ihn bereits vor einer „Steigerung der Verletzungsgefahr durch Expansion“ gewarnt, dass also durch die Ausweitung von Kiunkes Tätigkeiten auch dessen Risiko, weitere Rechtsverstöße zu begehen, kontinuierlich zunehme.

Der BlueBrixx-Chef hat kurz vor dem Jahreswechsel aus dem Schreiben in einem Youtube-Video zitiert. Er sagt: „Es wäre besser, wenn Lego weniger in die Rechtsabteilung und mehr in die eigene Produktentwicklung investiert.“ Und zwar für alle Seiten.

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