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Wer mit Finnen über Politik sprechen will, sollte in die Sauna gehen.

© Steffen Trumpf/dpa

Zwischen Russland und Reformen: Die glücklichen Finnen wählen

Die Menschen in Finnland sind den UN zufolge am zufriedensten. Politik spielt meist keine große Rolle. Es sei denn, es wird gewählt – wie am Sonntag.

Wer mit den Finnen über Politik sprechen möchte, der sollte mit ihnen in die Sauna gehen. In die Rajaportin-Sauna in Tampere zum Beispiel, das älteste öffentliche Schwitzhaus des Landes. Die Sauna an sich ist den Menschen in Finnland heilig, hier wird alles besprochen, was den Leuten wichtig ist: Eishockey, ein wenig Fußball, der Klimawandel, Beziehungsärger - und vor der anstehenden Parlamentswahl auch ein bisschen Politik.

Das politische Treiben in Helsinki ist für viele Menschen in Finnland eigentlich ebenso weit weg wie das in Brüssel. Das ändert sich in diesen Wochen: Erst wählen die Finnen an diesem Sonntag ein neues Parlament, dann treten sie zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft an. Die Europawahl Ende Mai interessiert bislang kaum.

Statt mit heißen EU-Themen wie dem Brexit befasst sich das Land derzeit vor allem mit sich selbst. Auf das wichtigste Wahlkampfthema angesprochen, hört man von den Gästen in der Rajaportin-Sauna immer wieder dieselben vier Buchstaben: Sote. Das ist die Abkürzung für die umfassende Gesundheitspflege- und Sozialreform, die der liberale Regierungschef Juha Sipilä als das wichtigste Projekt seiner Amtszeit auserkoren hatte - und die vor knapp einem Monat krachend scheiterte. Sipilä trat daraufhin zurück. „Man muss in Finnland Reformen durchführen können. Ansonsten kommen wir nicht voran“, sagte er.

Gemäß dem Plan sollte ein Apparat mit 18 Regionen eingeführt werden, der die Verantwortung für die Sozial- und Gesundheitspflegedienste von den Kommunen übernimmt. An und für sich sei die Reform dringend nötig, sagt ein Mann Mitte 50 beim Bier zwischen zwei Saunagängen. Finnland müsse sein Gesundheitswesen wegen der alternden Bevölkerung und der ebenso alten öffentlichen Strukturen rasch sanieren. Sipiläs Ansatz sei aber vor allem eines gewesen: viel zu kompliziert.

Dass Sipilä nach der Wahl weiter das Sagen haben wird in Helsinki, gilt als unwahrscheinlich. Seine Zentrumspartei liegt in den Umfragen bei mageren 14,5 Prozent und damit hinter den beiden weiteren großen Parteien: den Sozialdemokraten, die knapp unter 20 Prozent liegen, und der konservativen Nationalen Sammlungspartei mit rund 16 Prozent. Andere Parteien sind gleichauf mit dem Zentrum. Bewahrheiten sich diese Werte am Wahlsonntag, will Sipilä als Parteichef zurücktreten.

Wenn alles seinen normalen Gang geht, wird Finnland mit Antti Rinne künftig wieder einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten bekommen, wie der Politikwissenschaftler Antti Kaihovaara von der Universität in Helsinki sagt. Die Frage sei, mit welchen Parteien er eine Regierungsmehrheit bilden wolle.

Fragezeichen hinter Rechtspopulisten

Ein Bündnis mit den Grünen und der Schwedischen Volkspartei sei wahrscheinlich, hinzu kämen wohl entweder Sipiläs Zentrum oder die Konservativen, schätzt Kaihovaara. Vier oder fünf Parteien in der Regierung seien in Finnland keine Seltenheit, machten das Regieren aber nicht einfacher. „Bis 2014 hatten wir sechs Parteien in der Regierung, das sogenannte Sixpack. Viele Experten haben das als die schlechteste Regierung überhaupt beschrieben“, erzählt der Wissenschaftler.

Regierungschef Juha Sipilä von der Partei Zentrum scheiterte mit Sozialreformen.
Regierungschef Juha Sipilä von der Partei Zentrum scheiterte mit Sozialreformen.

© Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa

Ein Fragezeichen steht hinter dem Abschneiden der Rechtspopulisten. Die Partei Die Finnen lag Ende 2018 in den Umfragen bei mauen acht Prozent, hat seitdem aber kräftig zugelegt, überholte zuletzt gar Sipiläs Zentrum. Ihre Umfragewerte - kurz vor der Wahl kletterten sie auf 16 Prozent - schwanken jedoch.

Und eigentlich werden die Menschen in Finnland immer migrationsfreundlicher - das Land braucht Einwanderer dringend für den Arbeitsmarkt. Der Sozialpsychologin Jennifer De Paola zufolge ist das übrigens ein Grund dafür, weshalb das Land zuletzt wieder zum glücklichsten der Erde gekürt wurde: „Einwanderer fühlen sich in Finnland genauso wohl wie die Einheimischen“, sagt sie.

Der Sozialdemokrat Antti Rinne darf auf den Wahlsieg hoffen.
Der Sozialdemokrat Antti Rinne darf auf den Wahlsieg hoffen.

© Attila Cser/Reuters

Aber auch die glücklichen Finnen kommen nicht ohne Sorge aus - wegen Gefahren von außen. „Es war in Finnland schon immer so, dass die größte Bedrohung vom Osten ausgeht“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Wahlexperte Juha Tervala von der Uni Helsinki. Das Schreckgespenst Russland ist in der Tat recht präsent: Immer wenn ein Experte davon spricht, Finnland könne für den Kreml zu einer Art nächster Ukraine werden, löst das in den finnischen Medien sofort eine Debatte aus.

Immer wieder wird deshalb diskutiert, ob man nicht doch eines Tages der Nato beitreten sollte. Nicht alle Finnen mögen die traditionell neutrale Position ihres Landes, hat man mit Russland doch eine Atommacht in der direkten Nachbarschaft - und eine mehr als 1300 Kilometer lange gemeinsame Grenze.

Und die EU? Die Finnen können sich nicht mit dem Gedanken einer stärker zentralisierten Union anfreunden. Sie befürchten, dass zu viele finnische Euro nach Südeuropa fließen. Dennoch war die EU kein Schlüsselthema des Wahlkampfes. „Die EU ist ziemlich außerhalb des Fokus gewesen“, sagt Tervala. „Vielleicht wird das Thema größer, wenn der 1. Juli näher rückt. Aber nicht jetzt.“ (dpa)

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