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Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die Parteivorsitzende Katja Kipping im Bundestag.

© imago

Zwischen hoffen, drängeln und lauern: Wie die Opposition ihre Rolle in der Coronakrise sucht

Die Regierung stützen, sich aber selbst profilieren. Was machen die Oppositionsparteien in Zeiten der Pandemie?

Krisenzeiten sind Regierungszeiten - dieser Satz ist derzeit oft zu hören. Doch auch wenn die Opposition derzeit nicht im Mittelpunkt steht, untätig ist sie nicht.

Als die große Koalition in der vergangenen Woche Gesetzespakete und Schutzschirme auf den Weg brachte, waren die Oppositionsfraktionen eingebunden, etwa durch regelmäßige Telefonate mit der Kanzlerin. Gleichzeitig bedeutet die Coronakrise für die Opposition auch einen Spagat: Trotz weitgehender Unterstützung der Regierungspolitik versuchen sich die Fraktionen zu profilieren. Ein Überblick.

Der Optimismus der Grünen

Die Rolle der staatstragenden Opposition ist für die Grünen nicht ganz neu. In diesen Zeiten sei klar, dass alle demokratischen Kräfte in staatspolitischer Verantwortung zusammenstehen müssten, heißt es bei führenden Grünen-Politikern. Zumal die Grünen derzeit in elf von 16 Bundesländern mitregieren - und sie dort bei der Bewältigung der Coronakrise gefordert sind.

Im Kern tragen die Grünen deshalb die Maßnahmen der Bundesregierung mit. Besserwisserei, das ist ihnen klar, wäre in Krisenzeiten das falsche Signal. Sie fordern aber, ähnlich wie die FDP, dass massive Eingriffe in Grundrechte nur für eine begrenzte Zeit vorgenommen werden dürfen. Entsprechende Vorschriften seien mit einer „Zeitschaltuhr“ zu versehen, mahnte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

Michael Kellner ist seit 2013 politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen.
Michael Kellner ist seit 2013 politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen.

© promo

Dass im Moment wegen Corona alle anderen Themen in den Hintergrund rücken, auch der Klimaschutz, nehmen die Grünen zur Kenntnis. Doch sie setzen darauf, dass das nicht von Dauer sein wird. Der Klimawandel habe durch den Dürresommer 2018 eine so existenzielle Wucht bekommen, dass man nicht mehr auf die Zeit davor zurückfallen werde, heißt es in der Partei.

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Manch einer bei den Grünen tröstet sich auch damit, dass die Grünen ihr bisher bestes Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl ausgerechnet im Jahr 2009 holten - zu einer Zeit, als Deutschland noch mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise steckte. Gut möglich ist allerdings, dass die Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement der großen Koalition die Grünen zumindest vorübergehend Zuspruch kostet. Schließlich profitierten sie in den letzten Monaten auch vom Dauerstreit der großen Koalition und den Führungskrisen in den Reihen von SPD und Union. Manche Umfrageinstitute sehen die Grünen derzeit wieder unter 20 Prozent, andere stabil bei Werten darüber.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Das Drängeln der FDP

Die FDP will in der Coronakrise eine Doppelrolle ausfüllen: Einerseits wollen die Liberalen ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ gerecht werden und mit der Bundesregierung an einem Strang ziehen, heißt es in der Bundestagsfaktion. Andererseits dürfe das keinen selbst auferlegten „Maulkorb“ für die Opposition bedeuten.

Deswegen tun sich die Liberalen zunehmend als Groko-Kritiker und Drängler hervor. Auch wenn das in einer „anderen Tonalität“ als sonst erfolge, wie ein Fraktionssprecher sagt, will die FDP der Bundesregierung Druck machen. Dabei versuchen die Liberalen auch in Coronazeiten, sich als Verteidiger von Unternehmertum und Bürgerfreiheit zu präsentieren.

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Vor allem bei den Milliardenhilfen für die Wirtschaft geht es den Freidemokraten zu langsam. „Wir haben die akuten Hilfen der Bundesregierung unterstützt, sie wirken aber an vielen Stellen nicht schnell und treffsicher genug“, sagte FDP-Chef Christian Lindner dem Tagesspiegel. Er fordert eine „Art negative Gewinnsteuer“ für Unternehmen. „Wenn der Umsatz einbricht, kann der Staat über die Finanzämter schnell eine Finanzspritze geben, indem auf der Basis der letzten Steuerbescheide nicht Geld eingezogen, sondern auf Antrag ausgeschüttet wird.“

FDP-Chef Christian Lindner im Deutschen Bundestag.
FDP-Chef Christian Lindner im Deutschen Bundestag.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Die FDP ist es auch, die am lautesten über ein Ende des Ausnahmezustands spricht - und damit die Bundesregierung vor sich hertreiben will. Sowohl Unternehmer als auch Bürger bräuchten Klarheit über eine Exit-Strategie, samt einem festen Zeitplan, heißt es in der Partei. Die FDP besteht darauf, dass alle Ausnahmeregelungen wie die Kontaktsperren zeitlich begrenzt bleiben. Die stellvertretende FDP-Chefin Katja Suding hält eine „Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ für überfällig. Am Montag befeuerte sie die Diskussion via Twitter, indem sie die Frage aufwarf: „Was ist das Leben wert, wenn wir uns die Freiheit zu leben nehmen lassen?“

Das Lauern der AfD

Die AfD ist derzeit in einer schwierigen Situation. Nicht nur wegen der von der Parteispitze erwirkten Selbstauflösung ihres rechtsextremen „Flügels“. In Sachen Coronavirus findet sie nicht zu einer einheitlichen Linie. Während Fraktionschefin Alice Weidel schon früh vor der Gefährlichkeit des Virus warnte, sehen einige ihrer Parteikollegen das anders. Die AfD erzwang in Sachsen eine Sitzung des kompletten Landtags - trotz Ansteckungsgefahr.

Uneins sind sich AfD-Politiker zudem darin, ob es gut ist, wie stark der Staat in der Krise ins Wirtschaftsleben eingreift. Und auch wenn Fraktionschef Alexander Gauland die Parole ausgegeben hat: „Zusammenstehen ist jetzt erste Bürgerpflicht“ - der Aussetzung der Schuldenbremse in der Coronakrise zuzustimmen, dazu konnte sich die Fraktion nicht durchringen.

Die Fraktionsführung der AfD im Bundestag: Alice Weidel und Alexander Gauland.
Die Fraktionsführung der AfD im Bundestag: Alice Weidel und Alexander Gauland.

© picture alliance/dpa

Die Umfragewerte der AfD sind gesunken. Mit ihrem Hauptthema Migration dringt sie derzeit kaum durch. Sie versucht das Augenmerk stärker auf Wirtschafts- und Finanzthemen zu lenken. Die derzeit diskutierten Corona-Bonds lehnt sie ab. Vize-Parteichefin Beatrix von Storch fordert einen „baldestmöglicher Exit“ aus den Corona-Einschränkungen, „um die Kernschmelze unseres Wirtschaftssystems zu verhindern“.

In der AfD hoffen sie darauf, dass bald ihre Stunde wieder schlägt. Einige glauben, dass es der Partei nutzen würde, sollte Deutschland demnächst in eine Wirtschaftskrise rutschen und die Zahl der Unzufriedenen wachsen. Fraktionschef Alexander Gauland kündigte zudem an, dass seine Partei es sich vorbehalte, die zu Beginn der Krise gemachten Fehler der Regierung zu benennen.

Die Pläne der Linken

„Es ist eine außergewöhnliche Situation“, sagt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch - und, wie er zugibt, „natürlich zunächst die Zeit der Exekutive“. Selbst die regierungstragenden Fraktionen, aktuell Union und SPD, würden eine geringere Rolle als sonst spielen. Aber das heißt für Bartsch nicht, dass die Linke in der Coronakrise keine Rolle mehr hat.

Der Fraktionsvorsitzende nennt drei Punkte: Zum einen müsse die Linke darauf achten, dass die Versprechen und Ankündigungen der Bundesregierung nun wirklich realisiert werden. Sie dürften, sagt er, „nicht im Dschungel der Bürokratie untergehen“. Zweitens zentral: „Die Ausnahmeregelungen müssen wirklich Ausnahmen bleiben“, erklärt Bartsch. „Es darf nicht sein, dass in Krisenzeiten parlamentarische Rechte und demokratische Freiheitsrechte eingeschränkt werden und daraus Dauerzustände werden.“

Drittens sieht Bartsch die Linke in besonderer Verantwortung für diejenigen, die jetzt durch den Rost zu fallen drohen - von den Millionen Solo-Selbstständigen im Land über Hartz-IV-Empfänger, Geringverdiener bis zu Leuten mit niedrigen Renten. Verlierer der Krise könnten generell auch alle mit wenigen sozialen Kontakten sein. Insgesamt viele Millionen Menschen, die nun „von einem Tag zum anderen in einer existenziellen Krise sind“.

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Auf der To-do-Liste der Linkspartei: die Klärung der Frage, wer das alles später zahlen soll. Werden die Armen noch zusätzlich belastet – oder gelingt es, eine einmalige Vermögensabgabe durchzusetzen? Zudem muss es nach den Worten von Bartsch gelingen, Schlussfolgerungen zu ziehen aus allen Fehlern und Unzulänglichkeiten, die aktuell zu beobachten sind.

Der Linken-Fraktionschef nennt beispielhaft ein „Totalversagen der Europäischen Union“ in der Coronakrise. Dazu die eklatanten Mängel im Gesundheitswesen: „Warum zum Beispiel gab es keine ausreichende Bevorratung von Atemschutzmasken? Warum hat die Parolen ,just in time‘ und ,Geiz ist geil‘ das Gesundheitswesen so erfasst?“ Bartsch sagt: „Krankenhäuser müssen nicht zuallererst schwarze Zahlen schreiben. Ein Krankenhaus ist dafür da, Menschen zu helfen. Und diejenigen, die dort arbeiten, müssen entsprechend entlohnt werden.“

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