zum Hauptinhalt
Polizisten in Hannover in der Silvesternacht 2018/19

© dpa/Clemens Heidrich

Zweites Silvester ohne Knallerei und Feuerwerk: Corona kann kein dauerhaftes Böllerverbot begründen

Wieder wird der Jahreswechsel ohne Böller und Raketen begangen. Aber auch ohne die Pandemie als Grund ist ein Mentalitätswechsel spürbar. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Kiesel

Es ist schon der zweite Jahreswechsel, der in Berlin ohne Feuerwerk und Böllerei begangen werden soll. Viele fühlen sich um ein Riesenvergnügen gebracht – andere hoffen, dass sich daraus bereits ein neues Gewohnheitsrecht ableiten lässt, das zu einem dauerhaftem Verbot dieses sehr deutschen Brauchtums führt.

Zu ihnen gehört die Deutsche Umwelthilfe (DHU), die für ein Böllerverbot in Deutschland mobil gemacht hatte. Begründung: Die durch die vielen Corona-Patienten am Limit arbeitenden Krankenhäuser dürften nicht durch die Behandlung von Verletzten durch Feuerwerkskörper zusätzlich belastet werden.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Im Bündnis mit anderen Umweltorganisationen, der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Stiftung Vier Pfoten, dem Deutschen Tierschutzbüro und vielen nach beinahe zwei Jahren Dauereinsatz ausgelaugten Ärzt:innen forderte die DHU eine Wiederauflage des zum Jahreswechsel 2019/2020 erstmalig ausgesprochenen Böllerverkaufsverbots. Sie waren erfolgreich: Bund und Länder folgten dem Vorstoß.

Der Berliner Senat verfügte zusätzlich ein Verbot des Zündens von Böllern an 56 Orten der Hauptstadt - wie auch schon im Vorjahr. Mehrere Eilanträge von Pyrotechnikherstellern lehnte erst das Verwaltungs- und am Dienstag auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) ab.

Ein guter Grund nur in Corona-Zeiten: Krankenhäuser nicht weiter überlasten

Tatsächlich haben die Befürworter eines Verkaufsverbots für Böller – das Zünden ist weiterhin erlaubt – gewichtige Argumente auf ihrer Seite. Auch in Jahr zwei der Pandemie, erst recht vor der heranrollenden fünften Welle, muss alles vermieden werden, was die Krankenhäuser zusätzlich belastet – und sei es nur in den Notaufnahmen. Das OVG gründete seine Entscheidung zum erneuten Eingriff in die Grundrechte explizit auf diesen statistisch belegten Zusammenhang.

Die Zahlen sprechen für sich: Rund um den Jahreswechsel 2019/20 wurden allein im Unfallkrankenhaus Berlin in Marzahn 45 Menschen mit Böller-Verletzungen behandelt. In der Silvesternacht vor einem Jahr, als die Verbote in Kraft waren, sind es lediglich zehn gewesen. Polizei und Feuerwehr waren in der traditionell zum Ausnahmezustand erklärten Silvesternacht deutlich . Zwar sei berlinweit Pyrotechnik abgebrannt worden, „jedoch deutlich unter dem Niveau der Vorjahre“, hieß es vor einem Jahr.

Das ist erfreulich. Aber ein dauerhaftes, über die Pandemie und den damit verbundenen Ausnahmezustand auf deutschen Intensivstationen hinausgehendes Verbot, Feuerwerke und Böller an Sylvester zu zünden, lässt sich so nicht begründen – und sollte es auch nicht. Ohne direkte Verknüpfung von deutlich erhöhtem Verletzungsrisiko und drohender Überlastung der Krankenhäuser verkommt ein Verbot zu dem, was der Vorsitzende des Bundesverbands Pyrotechnik der Ministerpräsidentenkonferenz unlängst vorwarf: Symbolpolitik.

Ein Anfang zum Ende der Knallerei ist gemacht

Man muss die Knallerei nicht mögen, man mag sie aus gutem Grund ablehnen. Aber eine solche juristische Einschränkung der Freiheitsrechte ginge sehr weit – das Argument, den Einzelnen vor möglicher Gefährdung seiner Gesundheit zu schützen, reicht nicht. Auch nicht in diesen Zeiten, in denen Grundrechte unter Druck stehen wie lang nicht mehr.

Und so sollten sich all jene, die nach zwei Jahren des Verbots auf die Einkehr einer Art Gewohnheitsrecht spekulieren, keiner Illusion hingeben. Das Ende von gewachsenen Traditionen wie der Knallerei zum Jahreswechsel lässt sich innerhalb von nur zwei Jahren weder von einer Pandemie noch durch Gerichte besiegeln.

Dazu braucht es ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, eine sich verändernde Gewichtung von Werten. Erst wenn vermeintlich abstrakte Güter wie der Umwelt- und Naturschutz von einer deutlichen Mehrheit der Menschen höher eingestuft werden als die Freiheit zur Böllerei, wird sich wirklich etwas ändern.

Der Anfang ist längst gemacht. Jüngere Menschen haben gute Chancen, zu erleben, dass in Deutschland niemand mehr knallt, selbst wenn es erlaubt ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false