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Zweiter Weltkrieg: Letzte Ruhe für die Toten von Marienburg

Niemand weiß, wer die Toten sind. Keiner kann sagen, wie diese Leute vor über 60 Jahren ums Leben kamen. In Polen werden Gebeine aus Massengrab beigesetzt.

Gewiss scheint nur, dass die mehr als 2000 Menschen in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges gestorben sind. Entdeckt wurden sie im Winter im polnischen Marienburg (Malbork), verscharrt in einem Massengrab mitten in der Stadt. Alles deutet darauf hin, dass es sich um deutsche Kriegsopfer handelt. Aus diesem Grund werden sie an diesem Freitag in der Nähe von Stettin (Szczecin) ihre letzte Ruhe finden. Die sterblichen Überreste werden in einer ökumenischen Trauerfeier auf dem deutschen Kriegsfriedhof Neumark (Stare Czarnowo) bestattet, teilte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit. Dort ruhen rund 13 000 Wehrmachtsangehörige, aber auch zivile deutsche Opfer des Zweiten Weltkrieges.

Als 2008 beim Bau eines Luxushotels, nur einen Steinwurf von der berühmten Burg in Marienburg entfernt, von Baggern die ersten Skelette freigelegt wurden, glaubte man noch an Soldaten, die während der heftigen Kämpfe um die Stadt ihr Leben lassen mussten. Doch dann offenbarte sich das ganze Ausmaß der Tragödie. Im Laufe des Winters wurden die Überreste von 1001 Frauen, 377 Kinder und 381 Männer ausgegraben. Bei mehr als 300 Leichen ließ ich das Geschlecht nach mehr als 60 Jahren nicht mehr bestimmen. Bei den Knochen fanden sich weder Kleidungsreste noch Schuhe oder persönliche Dinge, was die Identifizierung praktisch unmöglich macht.

Historiker, die zu Rate gezogen worden waren, vermuten, dass es sich um deutsche Einwohner des ehemals ostpreußischen Marienburgs handelt, die während der schweren Kämpfe bei der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee ums Leben kamen. Spekulationen, dass es sich um die Opfer einer Massenhinrichtung handeln würde, halten die Fachleute für unbegründet. „Wir sind sehr sicher, dass hier kein Massenmord verübt wurde“, erklärt der polnische Archäologe Zbigniew Sawicki, der die Exhumierung überwachte. „In nur etwa 20 Schädeln haben wir Einschusslöcher entdeckt, vielleicht Spuren einer Exekution.“

Die deutsche Militärführung hat die Zivilbevölkerung bereits Ende 1944 zum Verlassen Marienburgs aufgefordert. Ein Teil der Einwohner sei trotzdem geblieben. Nach der Eroberung der Stadt war eine Flucht kaum noch möglich. „Nach eingehender Recherche gehen wir inzwischen davon aus, dass wir die vermissten Einwohner von Malbork gefunden haben“, erklärt Piotr Szwedowski, Stadtsekretär von Marienburg. Diese Erkenntnis sei ein großer Schock für die ganze Stadt gewesen, sagt Szwedowski. „Dort liegt ein Teil unserer Geschichte. Schon aus diesem Grund müssen wir alles tun, um die Wahrheit zu erfahren.“ Inzwischen hat die Stadtverwaltung Marienburg entschieden, das Hotel an einem anderen Ort zu bauen. An der Fundstelle soll ein Denkmal an die unbekannten Toten erinnern.

Knut Krohn[Warschau]

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