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Der Vizekanzler ist zum Kämpfer geworden: Gemeinsam mit Klara Geywitz attackierte Olaf Scholz beim ersten Duell die Herausforderer Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

© Michael Kappelere/dpa

Zweiter Wahlgang in der SPD: Das Risiko Totalabsturz

Von Dienstag an können die SPD-Mitglieder ihre neuen Vorsitzenden wählen. Es geht um Weiter-so oder Bruch mit dem Establishment. Das kann gefährlich werden.

Von Hans Monath

Nichts wird gut in der SPD, wenn Klara Geywitz und Olaf Scholz erst einmal Parteichefs sind. Jedenfalls nicht schnell – und schon gar nicht automatisch. Wenn sich die Brandenburgerin und der Vizekanzler in der Abstimmung durchsetzen, die am Dienstag beginnt, wird das viele Sozialdemokraten schwer enttäuschen. Manche so sehr, dass sie in die innere Emigration gehen oder austreten. Oder eine neue Partei links von der Mehrheitssozialdemokratie gründen.

Für die Erneuerung, welche die kommissarische Parteiführung den Mitgliedern mit der Urabstimmung versprochen hat, ist Scholz, ehemaliger Generalsekretär unter Kanzler Gerhard Schröder, der grundfalsche Mann. Seit 18 Jahren sitzt er im Vorstand der SPD, seit zehn Jahren ist er stellvertretender Vorsitzender und hat den Niedergang mitverantwortet. Er ist der Architekt der großen Koalition, unter der seine Partei leidet. Jeder weiß auch: Er will sie fortsetzen.

Seit dem ersten Duell der zwei Kandidatenpaare ist der Hamburger zum Kämpfer geworden. Aber kann er der SPD auch die Aufmerksamkeit geben, die sie verlangt? Monatelang hat er erklärt, seine Regierungsaufgaben seien schon zeitlich unvereinbar mit den Pflichten eines SPD-Chefs. Wahrscheinlich wäre Klara Geywitz oft alleine an der Parteibasis unterwegs.

Und hat Scholz, der Nüchterne, der Rationale, ein Gespür für die Nöte seiner gebeutelten Partei, kann er ihre Seele streicheln? Und will er das überhaupt? Dass sich 61-jährige Männer völlig neu erfinden und ihren Charakter ändern, ist nach aller Lebenserfahrung eher unwahrscheinlich.

Aber was passiert mit der SPD, wenn Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gewinnen? Ihr wichtigstes Versprechen könnten aus einem Standardwerk über politischen Populismus stammen. Es lautet: Wir verkörpern die wahre SPD, wir ermöglichen der Sozialdemokratie, nach Jahren der Entfremdung wieder sie selbst zu werden. Dabei wäre es grundfalsch, diese  Partei in ihrer Selbstbezogenheit noch zu bestärken, statt sie durchzulüften und wieder für die Gesellschaft zu öffnen.

Ein Experiment, das auch böse ausgehen kann

Wer genau hinsieht, bemerkt ähnliche Mechanismen, wie sie auch beim Brexit wirkten. Esken und Walter-Borjans führen eine Sammlungsbewegung der Unzufriedenen und Enttäuschten in der SPD gegen das Establishment an. Und wie beim Brexit gibt es keinen Plan, wie es nach dem Ausstieg aus der Koalition weitergehen soll. Die Union wird schon einen haben, sagt Saskia Esken. Es klingt wie: Hauptsache, es geht nicht so weiter wie bisher. Hauptsache Disruption.

Man muss die Frage stellen, ob Esken und Walter-Borjans überhaupt einen Begriff von der Schwierigkeit der Aufgabe haben, um die sie sich bewerben. Im Vorsitz der SPD sind mit Matthias Platzeck und Kurt Beck gestandene Ministerpräsidenten gescheitert und mit Andrea Nahles eine mit allen Wassern gewaschene Gremienpolitikerin. Jetzt aber soll mit ihnen alles gut werden.

Ach ja, das sind ja auch noch die Wählerinnen und Wähler. Mit welchem Argument will die SPD nach einem Ausstieg aus der großen Koalition für sich werben, wenn sie gerade die Macht weggeschmissen hat? Olaf Scholz schlägt in Umfragen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Kanzlerfrage um Längen. Mit Esken und Walter-Borjans in Neuwahlen zu gehen, hieße für die Sozialdemokraten ein Experiment einzugehen, das auch so ausgehen kann wie das der französischen Schwesterpartei. Die stürzte auf weit unter zehn Prozent ab.

Die SPD, sie muss sich entscheiden, ob sie eine bessere Ausgangslage bei der nächsten Bundestagswahl als bei der letzten erreichen will oder ihren eigenen Ruin riskiert. Womöglich ist die Existenz der ältesten deutschen Partei als gestaltende politische Kraft doch wichtiger als die Gefühle ihrer Mitglieder.

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