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Angela Merkel ist besorgt angesichts der aktuellen Entwicklung bei den Coronazahlen.

© Stefanie Loos/Pool via REUTERS

„Zweitem Lockdown näher, als wir wahrhaben wollen“: RKI meldet 6638 Neuinfektionen und damit einen neuen Rekordwert

Die Zahl der Neuinfektionen liegt inzwischen höher als im Frühjahr. Es gibt neue Auflagen. Was geplant ist und wie sich die Zahlen im Detail entwickeln.

Nur wenige Stunden nach der Bund-Länder-Runde im Kanzleramt, bei der neue Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie beschlossen wurden, gab es neue schlechte Nachrichten: In Deutschland ist die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus wieder sprunghaft gestiegen – auf einen höheren Wert als im Frühjahr.

Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Donnerstagmorgen unter Berufung auf Angaben der Gesundheitsämter mitteilte, wurden binnen eines Tages 6638 neue Ansteckungsfälle erfasst. Das sind rund 1500 mehr als am Mittwoch. Bei den Neuinfektionen muss berücksichtigt werden, dass auch mehr Infektionen diagnostiziert werden, weil deutlich mehr getestet wird als im Frühjahr. Allerdings steigt auch die Rate der positiven Tests deutlich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten sehr deutlich gemacht, dass sie die getroffenen Beschlüsse für nicht ausreichend hält. Am Donnerstagmorgen bekräftigte Merkels Kanzleramtschef Helge Braun im ARD-„Morgenmagazin“, die Beschlüsse seien ein wichtiger Schritt, würden aber vermutlich nicht ausreichen.

„Und deshalb kommt's jetzt auf die Bevölkerung an. Dass wir nicht nur gucken: Was darf ich jetzt? Sondern wir müssen im Grunde genommen alle mehr machen und vorsichtiger sein als das, was die Ministerpräsidenten gestern beschlossen haben.“ Braun sprach von einer „enormen Infektionsdynamik“. Deutschland stehe am Beginn einer „sehr großen zweiten Welle“.

Noch härtere Maßnahmen sind möglich, wenn die Zahlen nicht sinken

Bund und Länder hatten beschlossen, dass es unter anderem eine erweiterte Maskenpflicht in Regionen geben soll, in denen binnen sieben Tagen mehr als 35 Neuinfektionen mit dem Coronavirus registriert werden. Bei privaten Feiern sollen in Corona-Hotspots mit einem Inzidenzwert von 35 je nach Räumlichkeit 15 bis 25 Teilnehmer erlaubt sein. Bei einem Inzidenzwert von 50 sinkt die Maximalzahl auf zehn Menschen – oder Angehörige von zwei Hausständen.

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Ebenfalls bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen soll eine Sperrstunde um 23.00 Uhr für die Gastronomie verhängt werden. Bars und Clubs sollen geschlossen werden. Eine bundeseinheitliche Regelung über das umstrittene Beherbergungsverbot für Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten wurde vertagt. Bund und Länder schließen noch härtere Maßnahmen nicht aus, wenn sich die Infektionslage in den kommenden zehn bis zwölf Tagen nicht bessert.

Merkel hatte nach dem Treffen gesagt: „Wir haben es mit einer Jahrhundert-Herausforderung zu tun. Was wir jetzt tun und nicht tun, wird entscheidend sein für die Frage, wie wir durch diese Pandemie kommen.“ Deutschland sei „bereits in der exponentiellen Phase“ der Pandemie-Ausbreitung, warnte die Kanzlerin.

Kanzlerin will frühere Sperrstunde

Es müsse verhindert werden, dass diese Entwicklung so weitergehe – „sonst wird das kein gutes Ende nehmen.“ Merkel sprach von weiteren Verschärfungen: „Wir reden von Kontaktbeschränkungen.“ Man müsse jetzt sehen, ob etwa die Sperrstunde 23.00 Uhr richtig sei, oder ob man sie bei 22.00 Uhr machen müsse. „Da muss da nachgeschärft werden.“

Unter Hinweis darauf, dass der Bund bereits Deutschland Jahr 200 Milliarden Euro Schulden aufnehme, um die Corona-Folgen bewältigen zu können, sagte Merkel: „Deutschland kann sich einen zweiten Lockdown nicht leisten.“

Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte: „Wir sind dem zweiten Lockdown eigentlich viel näher, als wir es wahrhaben wollen.“

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Die bis Donnerstag höchste Zahl von Neuinfektionen war nach den aktuellen Angaben des RKI am 2. April mit 6554 Fällen registriert worden. Am Mittwoch vergangener Woche hatten die Gesundheitsämter dem RKI 4059 Neuinfektionen mitgeteilt. Damit war zum ersten Mal seit April die 4000er Marke überschritten worden.

Die Zahl der insgesamt seit Beginn der Pandemie in Deutschland verzeichneten Infektionsfälle stieg demnach auf 341.223, die Zahl der mit dem neuartigen Coronavirus im Zusammenhang stehenden Todesfälle auf 9710 – 33 mehr als am Vortag. Die Zahl der Genesenen schätzt das RKI auf etwa 284.600.

Rückstau bei den Coronatests

Die Zahl der Coronavirus-Tests schwankt seit Mitte August zwischen rund 1,1 Millionen und 1,2 Millionen pro Woche. In der Kalenderwoche 11 (ab 9. März) hatte es dem RKI zufolge knapp 125.000 Tests gegeben, positiv war das Ergebnis in 7,58 Prozent der Fälle. Die Rate stieg dann bis zur Kalenderwoche 14 (ab 30. März) auf 9,03 Prozent bei gut 408.000 Tests.

Danach nahmen die Zahlen stetig ab, die niedrigste Positivrate gab es dann in der Woche ab dem 6. Juli mit rund 0,59 Prozent bei 510.500 Tests. Seitdem ist die Zahl der Tests weiter kontinuierlich gestiegen, aber auch die Positivrate. Von 0,74 Prozent Ende August auf 2,48 Prozent in der Woche vom 5. bis 11. Oktober. Eine Woche zuvor lag der Wert noch bei 1,66 Prozent.

Das RKI meldet die Testergebnisse jeweils mittwochs in seinem aktuellen Lagebericht. In mehreren Labors gebe es einen Rückstau, einige gaben laut RKI Lieferschwierigkeiten für Reagenzien an.

„Das RKI erreichen in den letzten Wochen zunehmend Berichte von Laboren, die sich stark an den Grenzen ihrer Auslastung befinden“, schreibt das Institut im Lagebericht vom Mittwoch. Der zusätzliche Testbedarf durch Urlauber nach Einführung des Beherbergungsverbots mit der Option zu einer „Freitestung“ habe die Situation weiter verschärft.

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Der vom RKI ermittelte 7-Tage-R-Wert lag am Mittwoch bei 1,16. Seit Anfang September liegen der Werte fast stetig über 1.

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Die Zahl der Corona-Patienten auf der Intensivstation stieg zwar in den vergangenen Tagen merklich, ist aber weiterhin vergleichsweise niedrig. So wurden laut Daten des Divi-Intensivregisters von Mittwoch rund 602 Covid-Patienten intensivmedizinisch behandelt, eine Woche zuvor waren es noch rund 470. Zuvor lag die Zahl über Wochen bei rund 330.

Spahn: „Wir haben es gemeinsam selbst in der Hand“

Insgesamt sind demnach in Deutschland aber noch rund 8700 Intensivbetten frei. Experten gehen generell davon aus, dass sich der Anstieg bei den Neuinfektionen erst einige Zeit später bei der Zahl der Schwerkranken und Toten niederschlägt.

Auch angesichts dieser Tatsache mahnen nach der Runde im Kanzleramt weitere Politiker zu mehr Vorsicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief die Bevölkerung auf, durch Disziplin und Umsicht die Virus-Ausbreitung zu bremsen. „Wir haben es gemeinsam selbst in der Hand“, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. Den Bürgern müsse klar sein, dass sie heute entscheiden, ob Weihnachten in gewohnter Form stattfinden könne.

Spahn forderte insbesondere mehr Achtsamkeit bei privaten Feiern, bei denen es zuletzt vermehrte Ansteckungen gegeben habe. Nicht notwendige Reisen sollten vermieden werden. Das sei eine „dringliche Empfehlung“, betont Spahn. „Wenn wir gemeinsam aufeinander achtgeben“, dann seien auch keine weiteren Maßnahmen nötig.

Berlins Regierender Bürgermeister warnt vor weiteren Verschärfungen

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betonte, er wisse, was man den Menschen zumute, fragte aber auch: „Was können wir eigentlich noch tun, um jedem begreiflich zu machen: Wir sind in einer weltweiten Krise? Und in einer weltweiten Krise gibt es Einschränkungen, und die können erheblich dramatischer sein, als das was wir bisher miteinander beschlossen haben.“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) rief seine Amtskollegen dazu auf, beschlossenen Corona-Regeln „knallhart und stringent“ durchzusetzen. „Wenn wir jetzt nicht handeln, breiten sich die Hotspots so schnell und breit aus, dass wir die Dämme irgendwann nicht mehr halten können.“

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Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sagte: „Ich glaube, die Maßnahmen sind geeignet, einen weiteren Lockdown zu verhindern, wenn sich alle daran halten. Zu viele waren zu sorglos in den letzten Wochen, sonst hätte es diese Infektionen nicht gegeben.“ Zur Diskussion über Beherbergungsverbote, in der es keine Einigung gab, betonte Hans: „Wir für das Saarland jedenfalls werden von Beherbergungsverboten ab sofort Abstand nehmen.“

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Auch Sachsen will auf eine Umsetzung des Beherbergungsverbots für Reisende aus innerdeutschen Corona-Risikogebieten verzichten. „Das Beherbergungsverbot trifft viele Menschen, die nichts mit der Krankheit zu tun haben“, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstagmorgen dem MDR Sachsen. Auch die bei einem Bund-Länder-Treffen in Berlin beschlossene Begrenzung von Teilnehmern bei privaten Feiern soll in dem Freistaat weniger streng ausfallen.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern könnten die Reisebeschränkungen für Menschen aus Corona-Risikogebieten teilweise fallen. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) will prüfen, ob auf die mindestens fünftägige Quarantäne und die Pflicht zu einem Test danach künftig verzichtet wird.

„Das hängt aber davon ab, wie die Infektionszahlen in unserem eigenen Bundesland sich weiter entwickeln und ob dieses bundesweite Ampelsystem konsequent in Deutschland umgesetzt wird“, sagte Schwesig nach dem Treffen im Kanzleramt. Reisende aus Corona-Risikogebieten müssten aber weiterhin einen negativen Test mitbringen, betonte sie.

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