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Pal Erik Tegen, Polizist aus Norwegen, rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer.

© Ulrike Scheffer

Zwei Kapitäne berichten: Tod auf dem Mittelmeer

Alessio Morelli von der italienischen Küstenwache rettet seit fast 20 Jahren Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Pal Erik Tegen ist für die EU im Einsatz. Erlebnisberichte

Was andere nur aus dem Fernsehen kennen, ist für Alessio Morelli und Pal Erik Tegen grausige Realität. Morelli kommandiert ein Schiff der italienischen Küstenwache. Tegen, Polizei-Einsatzleiter aus Norwegen, ist für die europäische Grenzschutzagentur Frontex vor Italien im Mittelmeer unterwegs. Mit ihren Mannschaften haben sie schon Zehntausende aus dem Meer gerettet. Und immer wieder Tote herausgefischt. Viele Tote. Auf Videos haben sie dokumentiert, wie einzelne ihrer Besatzungsmitglieder aus kleinen Motorbooten ins Meer springen und rund um abgesoffene Schlauchboote leblose Körper einsammeln: junge Männer, Kinder, eine hochschwangere Frau.

Alessio Morelli arbeitet bei der italienischen Küstenwache.
Alessio Morelli arbeitet bei der italienischen Küstenwache.

© Ulrike Scheffer

„Das sind die Bilder, die wir hier jeden Tag sehen müssen“, sagt Kapitän Morelli nüchtern in einem kleinen Besprechungsraum auf seiner „Luigi Dattilo“. Der kleine, schmächtige Mann in seiner ausgewaschenen blauen Uniform ist erst 44, wirkt aber älter. Seit 1998 bestimmt das Elend der Flüchtlinge schon sein Leben, erst Albaner, die sich in überfüllten Seelenverkäufern nach Italien aufmachten, später Afrikaner und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die von den Küsten Nordafrikas aufbrachen. Und es hört nicht auf.

Tägliche Dramen

Ende vergangenen Jahres waren wieder mehrere Schlauchboote auf der Überfahrt von Libyen nach Italien verunglückt. Auch Tegen war Anfang November mit einem solchen Drama konfrontiert. Um fünf Uhr morgens wurde die „Siem Pilot“, die normalerweise in Norwegen Bohrinseln mit Ausrüstung versorgt, von der italienischen Küstenwache alarmiert. Vor der libyschen Küste sei offenbar ein Flüchtlingsboot in Seenot geraten. Frontex und die italienische Küstenwache operieren zwar offiziell nur vor der europäischen Küste, bei Seenot müssen - oder dürfen - sie aber auch außerhalb der Hoheitsgewässer aktiv werden. Dann unterstützen sie die Marineschiffe der EU-Operation „Sophia“, die im Mittelmeer Schleuser bekämpfen sollen und ebenfalls Flüchtlinge retten. Generell gilt: Wer am nächsten dran ist, eilt zu Hilfe. In diesem Fall waren es Tegen und seine Mannschaft. Allerdings brauchten auch sie viele Stunden bis zum Einsatzort - und mussten somit mit dem Schlimmsten rechnen. „Die Bilder sind hart“, schickt Tegen voraus, als er die Einsatzdokumentation startet. Der 50-Jährige in sandfarbenem Hemd und passender Cargo-Hose, kräftig, durchtrainiert, mit Vollglatze und Zweitagebart, reibt sich immer wieder nervös die Hände, geht in die Knie und steht gleich wieder auf. Offenbar gehen ihm die Szenen selbst nahe: Ein paar wenige junge Männer treiben im Wasser und lassen sich bewegungslos von einem Rettungsschwimmer abschleppen. Ein anderer, nur mit einer Unterhose bekleideter Flüchtling ist völlig steif. Wie ein Paket hebeln die Norweger den Mann an Deck ihres Rettungsbootes. Die Hilfe kommt für ihn zu spät. Immerhin: Auch zwei Frauen haben überlebt. Sie klammern sich an einer Leiche fest. Von den meisten anderen Passagieren fehlt jede Spur. 130 Menschen sollen auf dem grauen Schlauchboot gewesen sein. „Unsere Arbeit gleicht einer emotionalen Achterbahn“, sagt Tegen.

Zeichen der Hoffnung

An Bord der „Siem Pilot“ werden Überlebende versorgt und bekommen medizinische Hilfe. Bis zu 1000 Menschen drängten sich schon auf dem Vordeck des Schiffs. Für den Fall der Fälle steht eine Kiste mit Schlagstöcken und Polizeischutzschildern bereit. Gebraucht wurden sie bisher nicht. Zwischen Wasserflaschen in einem Vorratsregal liegen auch Fußbälle. Für die Toten steht ein Container bereit. Die Leichen werden untersucht, alles, was sie mitführen, wird aufgelistet und aufgehoben. „Damit wir auch in paar Jahren noch Auskunft geben können, wenn jemand wissen möchte, was aus seinem Sohn oder Bruder geworden ist“, sagt Tegen. Sein Heimatland gehört zwar nicht der EU an, doch es beteiligt sich freiwillig an dem Einsatz der EU-Küstenschutzagentur. Was treibt ihn an? Tegen zeigt ein Foto, auf dem zwei kleine afrikanische Mädchen fröhlich in die Kamera blicken. Die Ältere, eine etwa Sechsjährige, die offenbar ihre kleine Schwester im Arm hält, deutet ein Victory- Zeichen an. „Dafür mache ich es.“

Belastende Erfahrungen: Pal Erik Tegen (oben) und Alessio Morelli müssen beinahe täglich Ertrunkene bergen. Fotos: Ulrike Scheffer

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