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Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht die Wohnraumoffensive des Bundes als gelungen an.

© Hannibal Hanschke/AFP

Zwei Jahre nach Wohngipfel im Kanzleramt: Seehofer und Scholz loben sich selbst für Wohnraumoffensive

1,5 Millionen neue Wohnungen und Mieterschutz: Innenminister Seehofer spricht von einer „stolzen Bilanz“. Die Opposition sieht den Bund hingegen „gescheitert“.

Mindestens eine Milliarde Euro jährlich vom Bund für den Bau von Sozialwohnungen und möglicherweise noch mehr: Der große Mangel an bezahlbaren Wohnraum ist dem scheidenden Bundesbauminister Horst Seehofer und dem Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, durchaus bewusst. An Lob für die eigene Arbeit seit dem "Wohngipfel" im Kanzleramt vor zweieinhalb Jahren sparten die Kabinettsmitglieder trotzdem nicht.

Seehofer zählte die umgesetzten Maßnahmen auf. Die Wohnraumoffensive habe so viele Neubauten geschaffen wie seit Jahrzehnten nicht mehr: 1,2 Millionen Wohnungen. 310.000 Anträge zum Baukindergeld seien beantragt worden, womit sich über eine Million Menschen mit Wohnraum versorgen können.

Steuervorteile seien erhöht worden im Wohnungsbau. Sie hätten die energetische Modernisierung vorangebracht und das Wohngeld erhöht sowie an die allgemeinen Kosten gekoppelt. Die Bauwirtschaft sei zum "Konjunkturmotor" in der Pandemie geworden: 300.000 Wohnungen wurde nach ihren Angaben fertiggestellt. "Der höchste Wert seit 20 Jahren", so Seehofer - und doppelt so viel wie im Jahr 2009.

Dies sei eine "stolze Bilanz", so der Bauminister. Zurücklehnen werde man sich nun aber nicht. Die "große Aufgabe" im nächsten Jahr sei die Stärkung der Städte und Dorfkerne.

Seehofer schlägt eine Förderung für die Revitalisierung des Wohnungsbestandes vor. So soll der "Flächenverbrauch" durch die Ausweisung neuer Wohnquartiere auf der grünen Wiese eingedämmt werden. Hintergrund: Deutschland verbraucht laut Sachverständigenrat für Umweltfragen deutlich mehr Fläche als geplant (30 Hektar jährlich) und verfehlt damit seine umweltpolitischen Ziele. Förderungen für Umnutzung, Umbau und Verdichtung könnten den Trend umkehren.

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Nicht abgearbeitet auf der Agenda des Bundes ist das Baulandmobilisierungsgesetz. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lobt das damit einhergehende Baugebot für Brachen, die Stärkung des Vorkaufsrechts von Kommunen für Wohnungen sowie das Verbot der Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen. Das Gesetz ist noch nicht vom Bundestag beschlossen.

Kritik gibt es reichlich, etwa weil das Umwandlungsverbot löchrig sei. Am Montag hatte Berlins Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) die Schließung dieses Schlupflochs angemahnt. Sogar in sozialen Erhaltungsgebieten umgehen Immobilien-Händler das Verbot, indem sie die Wohnungen zuerst ihren Mietern anbieten. Nach Ablauf der Frist können sie dann auch Dritten angeboten werden.

Scholz ist überzeugt, dass der Bund "die Wende" beim Wohnungsbau hinkriegt. Seine eigene Arbeit als Oberbürgermeister in Hamburg habe gezeigt, dass innerhalb weniger Jahren Tempo aufgenommen werden könne: vom kompletten Stillstand zur Realisierung zehntausender Wohnungen jährlich. "Die Hälfte der deutschen Haushalte hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein", so Scholz. Gutes bezahlbares Wohnen sei ein "soziales Grundrecht". Deshalb müssten Baugenehmigungen schneller erteilt werden.

Müller lobt und krittelt ein wenig am unwirksamen Umwandlungsverbot

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Michael Müller (SPD) nannte dies eine "gute Bilanz, die aber eine Zwischenbilanz ist". Es sei "viel erreicht" worden, aber "Bau und Regulierung" müssen weitergehen, um die Mietpreise in den Griff zu bekommen.

Auch Müller lobte die Arbeit des Bundes: Die Absenkung der Modernisierungs-Umlage auf die Mieten, die Verlängerung der Mietpreisbremse, die Neugestaltung des Mietspiegels. Berlins Regierender Bürgermeister sagte aber auch, dass "die Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen ein Problem" bleibe, weil diese Objekte dem Markt entzogen würden.

Auch den Mietendeckel nannte Müller. Dieser "umstrittene Weg" sei ein "erheblicher Eingriff". Aber er habe den Mietern eine "wichtige Atempause verschafft". Diese sei notwendig, ,weil "Bauen ein langwieriges Geschäft" sei und es dauere bis dadurch Entlastung schaffe.

Immer höher, immer teurer. Damit soll bald Schluss sein – verspricht der Bund.
Immer höher, immer teurer. Damit soll bald Schluss sein – verspricht der Bund.

© Monika Skolimowska / dpa

Scholz wollte sich zum Mietendeckel auch auf Nachfrage nicht äußern. Der SPD-Spitzenkandidat sieht im Bauen die Lösung der Wohnungsfrage. Müller will hier ein "Programm in den Blick nehmen" für den Sozialen Wohnungsbau und die Schaffung von günstigen Wohnraum durch kommunale Gesellschaften. Nur das stelle sicher, dass der Neubau ein "dauerhaft günstiges Angebot" an Wohnraum schaffe.

Nur, zurzeit fallen jährlich 43.000 Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung heraus, während nur 25.000 Wohnungen neu entstehen. Das Angebot an günstigen Wohnraum schrumpft also. Scholz will eine Verlängerung der Bindungsfristen prüfen lassen.

Außerdem soll der Bund selbst in den Neubau einsteigen, hier gebe es ein Potenzial von 35.000 Wohnungen. Verträge mit Kommunen seien bereits abgeschlossen worden. Seehofer zählte aber auch die Bundesländer an: "Nur sechs engagieren sich im Sozialen Wohnungsbau, von 16." Dies richte sich auch an die Grünen Ministerpräsidenten, deren Partei so lautstark die Wohnungspolitik des Bundes kritisiere.

"Magere Erfolge" sieht das Institut der Deutschen Wirtschaft

Bereits im Vorfeld zum Selbstlob des Bundes hatten Verbände und Opposition die "Wohnraumoffensive" für gescheitert erklärt. "Magere Erfolge" bescheinigte das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) dem Bund.

Es habe keine Fortschritte bei der Senkung der Baukosten gegeben. In den Niederlanden lägen diese halb so hoch wie hierzulande trotz ebenfalls hoher Energiestandards. Die neue Förderung zur Schaffung von Wohneigentum, das Baukindergeld, laufe schon Ende März aus und sei zu teuer. Verfehlt habe der Bund auch sein Ziel, 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislaturperiode zu schaffen.

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"Gescheitert" ist der Bund auch für die Deutsche Umwelthilfe, "weil sie den Klimaschutz ignoriert hat". Der Verein fordert eine "Sanierungs- und Klimaschutzoffensive" statt ausschließlich auf das Bauen zu setzen.

Caren Lay, stellvertretende Vorsitzende der Linken im Bundestag, sagte: "Zum Ende der Legislatur wird es 160.000 Sozialwohnungen weniger geben als zu Beginn." Der Mietenanstieg gehe weiter. Nicht mal neun Prozent aller neu gebauten Objekte seien Sozialwohnungen. Lay fordert ein "öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild", gefördert mit zehn Milliarden Euro jährlich und gerichtet an gemeinnützige, kommunale, genossenschaftliche und sozialen Wohnungsbau-Projekte.

Der Dachverband "Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienverband" kritisierte, durch die Wohnraumoffensive sei "wenig an der Ausgangslage vor allem in den Großstädten geändert: Das Angebot ist knapp, Bauland fehlt und Genehmigungsverfahren sind Komplex und dauern zu lange". Zur Lösung der Probleme fordert GdW-Präsident Axel Gedaschko die Bildung eines "eigenständigen Bundesministerium für Wohnen und Bauen" nach der Wahl.

Für falsch hält die Branche die jüngste Einschränkung der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumsobjekte. Dies "konterkariert das Ziel der Bundesegierung, selbstgenutztes Wohneigentum zu ermöglichen", sagte VDIV-Präsident Wolfgang Heckeler. Und IVD-Makler-Chef Michael Schick forderte "mehr Anstrengungen bei der Förderung von Wohneigentum".

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