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Parlamentswahlkampf mit möglichst wenig Debatte: So wirkte Macrons Strategie über weite Strecken.

© Laurent Cipriani/AP/dpa

Zuspitzung statt Respekt: Frankreichs Demokratie braucht Reformen – und eine neue Debattenkultur

Nach der ersten Runde der Parlamentswahlen zeigt sich erneut: Das System steckt in der Krise. Daran hat auch Macrons Regierung einen Anteil. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Thewalt

So gespalten und polarisiert die französische Politik auch nach der ersten Runde der Parlamentswahlen sein mag, so zeichnet sich doch immerhin in einer Sache Konsens ab. Über Parteigrenzen hinweg beklagten Politiker am Sonntagabend den neuen Rekord an Nichtwählern und forderten Reformen der politischen Institutionen.

Tatsächlich gingen 52 Prozent der Berechtigten nicht zur Wahl. Es ist ein Ausdruck der tiefen Krise, in der sich das politische System Frankreichs befindet. Reformen der Institutionen sind notwendig.

Mehr Glaubwürdigkeit und Begeisterung wird die französische Politik aber nur wieder erreichen, wenn sich auch die Debattenkultur verändert. Statt inhaltlicher Auseinandersetzungen dominieren gegenseitige Anschuldigungen.

Der politische Gegner wird als Gefahr dargestellt, eine respektvolle Beschäftigung mit den Ideen der anderen findet kaum statt. Auch Macron und seine Regierung haben daran einen nicht unerheblichen Anteil. Als Beispiel kann die Rede von Premierministerin Elisabeth Borne am Sonntagabend dienen.

Setzte am Wahlabend auf Angriff: Premierministerin Elisabeth Borne.
Setzte am Wahlabend auf Angriff: Premierministerin Elisabeth Borne.

© Rit Heise/XinHua/dpa

Sie rief dazu auf, dass sich mit Blick auf die politischen Extreme alle „republikanischen Kräfte“ hinter dem Projekt und den Kandidaten der Regierung versammeln. Der Subtext: Das linke Wählerbündnis aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und der Partei des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon sei genauso gefährlich und wenig den Werten der Republik verpflichtet wie die Partei „Rassemblement National“ der rechtsextremen Marine Le Pen.

Diese Aussage ist mehrfach problematisch. Erstens, weil sie konterkariert, was Borne noch wenige Sätze zuvor selbst gesagt hatte: Alle Kandidaten und Engagierten hätten mit ihrem Einsatz die „Demokratie lebendig gemacht“.

Zweitens, weil sie mit der vermeintlichen Gleichstellung eine Verharmlosung der Rechtsextremen betreibt. Und drittens, weil der Eindruck haften bleibt, dass die Regierung Macrons im Angesicht ernsthafter politischer Konkurrenz nur eine Strategie kennt: den politischen Gegner zu diskreditieren.

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Zwar bemühen auch die linke Parteienunion und die Rechtsextremen oft eine solche Rhetorik. Doch die Regierung sollte – und müsste – aus ihrer stärkeren Position heraus einen anderen Ton setzen, um wieder inhaltliche Positionen in den Vordergrund zu rücken.

Eine Sache dürfte dazu beitragen, dass sie davon abgehalten wird: Das Mehrheitswahlrecht führt, ähnlich wie in den USA, zu einer Spirale der Zuspitzung. Deswegen sollte, egal wie der zweite Wahlgang kommenden Sonntag endet, Macron beides angehen: eine Reform der Institutionen – etwa mit der Einführung von Proportionalität bei den Parlamentswahlen. Und den Versuch, eine neue Debattenkultur einzuführen.

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