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Die Chance auf eine gute Schulbildung ist wichtig für sozialen Aufstieg. (Symbolbild)

© dpa/David-Wolfgang Ebener

Zur Nationalen Armutskonferenz: Chancenarmut ist das härteste Los

Was Armut bedeutet, lässt sich nicht immer in Zahlen ausdrücken. Es geht auch um immaterielle Ansprüche – Chancen auf sozialen Aufstieg etwa. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wenn die Nationale Armutskonferenz an diesem Montag zusammentritt, wird es vermutlich nicht viel Grund zur Freude geben. Regelmäßig entwirft der 1991 gegründete Zusammenschluss mehrerer Wohlfahrtsverbände düstere Beschreibungen der sozialen Lage im Land, ohne freilich letztlich klären zu können, warum eine sich verbessernde wirtschaftliche Gesamtlage und beständig wachsende Sozialausgaben der staatlichen Stellen daran nichts zu ändern vermögen. So haftet den Berichten wie der Wehklage über Verarmung im reichen Land auch der leise Verdacht an, hier betreibe eine Branche Notwendigkeitslobbying in eigener Sache.

[Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes stand, der neue Bericht der Nationalen Armutskonferenz werde heute erscheinen. Tatsächlich aber tritt die Armutskonferenz am Montag erst einmal zusammen. Diesen Fehler haben wir korrigiert.]

Dagegen könnte helfen, die Vermengung der Begrifflichkeiten Armut und Armutsgefährdung und deren höchst fragwürdiger Definition anhand des 60-Prozent-Abstands zum Einkommensmedian zu beenden. Das vernebelt das Gespür für echte Notlagen und steht den wirklich wichtigen Debatten eher im Weg. Denn es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass es in Deutschland Notlagen gibt.

Scham statt Antrag

Hinter der vielfach bemessenen materiellen Armut gerät die immaterielle aus dem Blick. Kürzlich wurden im „Schuldneratlas 2019“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform die wachsende Verschuldungsquoten bei über 70-Jährigen aufgezeichnet. Die scheuen aus Scham oft den Gang zum Sozialamt. Das ist der Skandal hinter dem Skandal. Eine Gesellschaft, die bei Hilfebedürftigen das Gefühl nährt, sich schämen zu müssen, zeigt sich von einer gnadenlosen Seite.

Was umso verwunderlicher ist, als die Angst vor Altersarmut ein Thema ist, das nach Umfragen wachsende Relevanz für die Bevölkerung hat. Ob die Grundrente darauf eine Antwort ist, wird sich zeigen.

Wer sich jenseits davon für seine künftigen Rentenansprüche interessiert, muss sich durch ein derart kompliziertes Anspruchsberechnungskauderwelsch wühlen, das er sich eher abgeschreckt als aufgeklärt fühlen darf. Warum ist das so, wieso wird das nicht geändert?

Chancenarmut als härtestes Los

Eine ähnliche Mixtur aus Gnadenlosigkeit und Änderungsunwillen bildet sich in der anhaltenden Undurchlässigkeit des Bildungssystems ab. Wenn die Herkunft aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien das Schicksal der Kinder vorbestimmt, ist das die härteste Form von Armut, die man sich hierzulande leistet: die Chancenarmut nämlich, die sich mit höheren Sozialleistungen nicht regeln lässt, die stattdessen für unaufhörlichen Nachschub an Fällen für die Sozialsystemen sorgt.

Diese beiden Fehlentwicklungen, die sowohl den Beginn als auch das Ende von Erwerbsbiographien betreffen, sollten und müssten dringend angepackt und geändert werden. Es braucht mehr Chancen am Anfang, und es braucht den diskriminierungsfreien Zugriff auf das, was einem am Ende zusteht.

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