zum Hauptinhalt
Palästinenserpräsident Abbas bei einer PK im Bundeskanzleramt.

© REUTERS/Lisi Niesner

Zum „Holocaust“-Eklat von Abbas und Scholz: NS-Vergleiche gehen nie gut aus – bleiben aber unwiderstehlich

Sind die Mullahs wie die Nazis? Ist Putin wie Hitler? Die deutsche Geschichte ist zu einem Steinbruch geworden, aus dem sich jeder bedient. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Deutschland gilt das elfte Gebot: Du sollst nicht vergleichen! Sinn und Zweck des Vergleichsverbots ist es, die von Nazi-Deutschen verübten Verbrechen nicht zu bagatellisieren. Die Einzigartigkeit dieser Verbrechen darf nicht infrage gestellt werden.

In jedem Vergleich aber werden zwei Ereignisse in Beziehung gesetzt und dadurch in ihrer Bedeutung relativiert. Plastisch illustriert wird diese Logik durch den gekritzelten Satz an der Wand einer öffentlichen Toilette: „Sprüche von Klowänden abwischen ist wie Bücherverbrennung.“ Klingt absurd? Ist es auch.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bislang galt das elfte Gebot vor allem für Deutsche. Denn sie sind aufgrund ihrer Geschichte in der besonderen Pflicht, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den in dieser Zeit verübten Verbrechen wahrheitsgemäß und im Ton sensibel auseinanderzusetzen. So wurde es zur Tradition, jeden Verstoß dagegen zu ahnden.

Die Rhetorik löst stets Empörungsreflexe aus

Ob Helmut Kohl sich in Reden von Michail Gorbatschow an Goebbels erinnert fühlte, Herta Däubler-Gmelin einen Vergleich zwischen George W. Bush und Adolf Hitler zog oder Alexander Gauland vom „Dritten Reich“ als „Vogelschiss“ sprach: Stets wurden alle Versuche, durch Rekurs auf die NS-Zeit und deren Protagonisten tagesaktuell Kapital zu schlagen, als übelste Form der Demagogie kritisiert.

Die Empörungsreflexe, die solche Rhetorik auslöst, bekam auch Joschka Fischer zu spüren, der sich auf Auschwitz berief, um in den Kosovokrieg einzugreifen, und Serbenführer Slobodan Milosevic mit Adolf Hitler verglich. Verteidigungsminister Rudolf Scharping sprach damals bewusst von „Konzentrationslagern“, was ihm ebenfalls um die Ohren gehauen wurde.

In jüngster Zeit rief Jana aus Kassel Kritik hervor, die auf einer „Querdenker“-Kundgebung sagte: „Ich fühle mich wie Sophie Scholl.“ Das Tragen von „Judensternen“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ wurde in einigen Bundesländern unter Strafe gestellt. Verboten wurden auch Plakate der Tierschutzorganisation Peta („People for the Ethical Treatment of Animals“), die KZ-Insassen neben Fotos verhungernder Rinder zeigen, dazu die Überschrift „lebende Skelette“.

Abbas ist Mitbegründer der Fatah

Am Mittwoch nun wurde der Kreis derjenigen, die in Deutschland das elfte Gebot befolgen müssen, auf einen Nicht-Deutschen ausgedehnt. Ähnlich war es in der Kolonialismus-Debatte. Im Bundeskanzleramt hatte der 87-jährige Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Israel vorgeworfen, Massaker in palästinensischen Orten begangen zu haben. „50 Massaker, 50 Holocausts“, fügte er hinzu. Dazu muss man wissen, dass Abbas Mitbegründer der Fatah ist und 1982, vor genau 40 Jahren, in Moskau seine Doktorarbeit mit dem Titel ablegte: „Die geheimen Verbindungen der Nazis und der Führer der zionistischen Bewegung“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Weil Scholz nicht unmittelbar auf die schändlichen Ausführungen seines Gastes reagierte, sondern den Vergleich erst im Anschluss als „unerträglich und inakzeptabel“ bezeichnete, geriet der gemeinsame Auftritt zu einem doppelten Skandal. Abbas traf die Wut aus Israel, woraufhin er zurückruderte und beteuerte, der Holocaust markiere auch für ihn das „schlimmste Verbrechen der modernen Geschichte“. Scholz wiederum wurde vorgehalten, seinen Gast nicht sofort, stante pede, in die Schranken gewiesen zu haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Kissinger wie Chamberlain? Das geht wohl noch

Damit mag zwar die Affäre beendet sein, aber viele Fragen, die sie aufwirft, sind es nicht. Sie umfassen sowohl den Kreis derjenigen, die sich an das elfte Gebot halten müssen, als auch die Definition, welche Art von Vergleich unstatthaft ist. Hitler-Vergleiche sind okay? Holocaust-Vergleiche nicht?

Als Henry Kissinger unlängst vorschlug, einen Teil der Ukraine an Russland abzutreten, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen, schimpfte deren Präsident Wolodymyr Selenskij und sagte: „Es scheint so, als sei es in Kissingers Kalender nicht 2022 sondern 1938.“ Damit erinnerte er an die Appeasement-Politik und das Münchner Abkommen auf Kosten der Tschechoslowakei. Kissinger wie Chamberlain? Das geht wohl noch.

Polens Präsident Andrzej Duda hat wenig Skrupel, in Wladimir Putin einen Adolf Hitler zu sehen. Israels Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat oft das Mullah-Regime in Teheran mit dem Nazi-Regime verglichen. Roger Hallam, Mitgründer der Klima-Aktivistenbewegung „Extinction Rebellion“, sagt, in größerer Perspektive sei der Holocaust „just another fuckery in human history“ („nur ein weiterer Scheiß in der Menschheitsgeschichte“).

Im Nachhinein will es dann keiner so gemeint haben

Wo anfangen, wo aufhören? Deutet der NSA-Abhörskandal auf Gestapo-Methoden hin? Darf ein stinknormaler AfD-Anhänger „Nazi“ genannt werden? Erinnerte der EU-Flüchtlingsgipfel im Jahr 2018 an die Konferenz von Evian im Sommer 1938, auf der 32 Staaten ergebnislos über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge und Verfolgter des Nazi-Regimes beraten hatten? Die Organisation „Pro Asyl“ schreibt, die EU-Staaten hätten ein „grenzenlos-brutales System“ ausgeklüngelt, „das die Drangsalierungen und Auflagen, denen die Nazi-Verfolgten in ihren Asylländern ausgesetzt waren, an Härte, bürokratischer Kontrolle, Undurchdringlichkeit und Demütigung bei Weitem übertrifft“.

NS-Vergleiche gehen nie gut aus, bleiben aber offenbar unwiderstehlich. Die deutsche Geschichte ist zu einem Steinbruch geworden, aus dem sich jeder bedient, der seine Botschaft dramaturgisch überhöhen will. Von links wie von rechts. In Deutschland wie global. Im Nachhinein will es dann keiner so gemeint haben.

Zur Startseite