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Zukunft ist für immer weniger Menschen eine Hoffnung, eher ein Angstszenario. Ob im persönlichen oder im globalen Kontex.

© picture alliance / dpa

Zukunftsangst: Die große Angst vor morgen

Das beharrliche Festhalten am positiven Denken über Zukunft und Fortschritt, das frühere Jahrhunderte geprägt hat, ist Skepsis und Angst gewichen. Richtiger ist das aber auch nicht. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Seit Menschengedenken ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Leitmotiv des Fortschritts und der Antrieb der Gesellschaft. Aber das Narrativ der Zukunft, die vielleicht wirkungsmächtigste Idee der Menschheitsgeschichte, wirkt heute aus der Zeit gefallen: Die Zukunft ist Vergangenheit.

Sie treibt die Gesellschaft nicht mehr an, sondern lähmt sie. Die Zukunft ist zur Projektionsfläche für Sorgen geworden und wird in vielen Köpfen mit der Angst vor Ungewissheit und Verfall gleichgesetzt. Dabei war sie lange Zeit Heimat der Utopie. Die scheinbar perfekte Gesellschaft, die Thomas Morus vor etwas mehr als 500 Jahren in seinem Buch „Utopia“ skizzierte, ist wohl eine der bekanntesten Zukunftsentwürfe und diente nachfolgenden Utopisten als Vorlage. Spätestens im Zeitalter der Aufklärung setzt sich die Idee durch, dass der Mensch selbstbestimmt und durch wissenschaftlichen Fortschritt die Zukunft prägen kann. Aber Fortschritt ist kein Naturgesetz, er muss durch Menschenhand erzeugt werden. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Denn das beharrliche Festhalten am Fortschritt, das frühere Jahrhunderte geprägt hat, ist Skepsis und Angst gewichen. Nicht zuletzt weil die Zukunftsvisionen der Vergangenheit sich zu den Zukunftsproblemen der Gegenwart entwickelt haben. Die Plattenbauten und Großwohnsiedlungen, die man in den 1950ern als Alternative und zukunftsweisenden Wohnungsbau anpries, sind heute in Beton gegossene Sozialprobleme. Die persönliche Freiheit und Mobilität, die das Auto den Menschen schenkte, ist zur globalen Klimabedrohung und zum innerstädtischen Störfaktor avanciert. Der einstige Traum von einem grenzfreien Europa gefährdet heute dessen Zusammenhalt. So könnte man ewig fortfahren. Fest steht: Die Zukunft hat ihre Versprechen nicht eingelöst – im Gegenteil. Auch der Glaube an die Allmacht der Wissenschaft und an den technologischen Fortschritt hat sich zur Angst vor der Dystopie entwickelt. Künstliche Intelligenz und Automatisierung können den Menschen von stupider Arbeit befreien oder, wie es Elon Musk prophezeit, den Dritten Weltkrieg auslösen. Das Pendel scheint derzeit zur Katastrophe zu schwingen.

Abgesänge an die liberale Demokratie sind Alltag geworden

Dieser Alarmismus nährt den Erfolg von denen, die sich nach der Sicherheit vergangener Zeiten zurücksehnen, als Amerika noch „great“ und Deutschland noch „deutsch“ war. Sie wollen keine Zukunft, sondern eine Neuauflage der Vergangenheit. Ihr Durchmarsch scheint nahezu unumgänglich. Abgesänge an die liberale Demokratie sind Alltag geworden – als sei ihr Ende nur eine Frage der Zeit. Gleichzeitig sucht die Linke seit Jahren verzweifelt nach massentauglichen Zukunftsnarrativen, bisher mit überschaubarem Erfolg. Die großen Entwürfe, wie es sie 1968 vielleicht gab, fehlen. Damals konstatierte Jean-Paul Sartre, die Jugend habe Heimweh nach Zukunft, mittlerweile scheint sie gar heimatlos zu sein. Der Medientheoretiker und Aktivist Franco „Bifo“ Berardi ist eine der Galionsfiguren der Neuen Linken um Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn und schreibt in seinem aktuellen Buch „Futurability“, dass wir im „Zeitalter der Impotenz“ leben: gefangen zwischen der Macht des globalen Finanzkapitals und dem Widerstand der Rechtspopulisten gegen das Establishment. Die Linke, so Bifo, leide ebenfalls an Nostalgie und trauere ihrer einstigen Machtstellung nach, was zu der „langsamen Auflösung der Zukunft“ führe. Die Linke hat sich der Kritik am Jetzt anstatt dem Aufbau des Morgen verschrieben. Es gibt keine Erwartungen mehr an das, was kommt, nur noch die Trauer über das, was ist, das Vergangene, das einmal war. Die Zukunft erscheint dagegen als Schreckgespenst, als Erinnerung an das, was versprochen, aber nicht eingehalten wurde.

Der politische Kampf zwischen Links und Rechts um die Zukunft ist zu einem gemeinsamen Kampf gegen die Zukunft verkommen. Die Dystopie hat sich als große Erzählung der Zukunft durchgesetzt. Sie ist wirkungsmächtiger als die Utopie, denn sie speist sich direkt aus der gegenwärtigen Frustration und der Angst. Doch die Zukunftsangst ist unberechtigt. Der Zukunftsoptimismus der Vergangenheit resultierte aus einer problembeladenen Gegenwart: Krieg, Armut, Kriminalität. Diese sind zwar nicht aus der Welt, haben sich aber dezimiert. Unser Jetzt ist längst nicht perfekt, aber trotzdem vergleichsweise stabil. Wenn die Angst vor der Zukunft die Angst vor dem Verlust des Status Quo ist, kann dieser so schlecht nicht sein. Darauf sollte sich doch was aufbauen lassen.

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