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Mit wenigen Unterbrechungen leben die Ägypter seit 1967 unter dem Ausnahmezustand. Präsident Sisi bezeichnete sein Land nun als eine „Oase der Stabilität“.

© AFP

Zugeständnis an die USA: Präsident Sisi hebt Ausnahmezustand in Ägypten auf

Ägypten hebt den langjährigen Ausnahmezustand auf. Ein Schritt zur Demokratisierung ist dies aber nicht. Die Macht von Präsident Sisi bleibt groß.

Der Ausnahmezustand gehört in Ägypten seit Jahrzehnten zum Alltag: Die Sicherheitsbehörden haben weitgehend freie Hand bei der Verfolgung von Regierungskritikern und laut Menschenrechtlern rund 65 000 Menschen aus politischen Gründen eingesperrt. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor, jeden Widerspruch unerbittlich zu unterdrücken. Deshalb ist es bemerkenswert, dass Sisi den Ausnahmezustand jetzt aufgehoben hat. Allerdings bedeutet der Schritt nicht, dass in Ägypten nun die Demokratisierung beginnt. Sisi zielt mit seiner Entscheidung vor allem auf den mächtigen Unterstützer USA, der Fortschritte bei den Menschenrechten sehen will.

Von wenigen Unterbrechungen abgesehen, leben die Ägypter seit 1967 unter dem Ausnahmezustand. Wie andere Präsidenten vor ihm sprach Sisi von einem notwendigen Mittel zur Terrorismus-Bekämpfung, als er den Ausnahmezustand im Jahr 2017 nach einer vierjährigen Pause als Reaktion auf Anschlägen islamistischer Extremisten auf koptische Christen verhängte. Den gewalttätigen Extremismus gibt es nach wie vor. So kämpft die ägyptische Armee auf der Sinai-Halbinsel gegen einen Ableger des Islamischen Staates (IS), und auch im Wüstengebiet entlang der Grenze mit Libyen im Westen Ägyptens sind Dschihadisten aktiv. Dennoch verzichtete Sisi jetzt auf die turnusmäßige Verlängerung des Ausnahmezustandes. Ägypten sei zu einer „Oase der Sicherheit und Stabilität in der Region“ geworden, erklärte er.

Sisi hatte sich 2013 mit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi an die Macht geputscht. Seitdem verfolgt er die Anhänger von Mursis Muslim-Bruderschaft mit besonderer Härte; Mursi selbst starb vor zwei Jahren im Gefängnis, tausende Mitglieder der Muslim-Bruderschaft sitzen in Haft. In seinem Kurs wird Sisi von den reichen Golf-Staaten Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) mit Milliardensummen unterstützt. Auch nicht-islamistische Aktivisten und Blogger sitzen wegen kritischer Äußerungen im Gefängnis. Die Pressefreiheits-Organisation Reporter ohne Grenzen wirft Sisi vor, den Medien in Ägypten einen Maulkorb verpasst zu haben. Auf dem Demokratie-Index der US-Denkfabrik Freedom House steht Ägypten weltweit auf einem der unteren Plätze.

Fraglich, ob Ägypten nun ein freieres Land wird

Noch im vergangenen Jahr hatte der autokratisch regierende Ex-Offizier Sisi die Befugnisse der Armee unter dem Ausnahmezustand ausgeweitet und den Streitkräften das Recht gegeben, Zivilisten festzunehmen und vor Militärgerichte zu stellen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren eingeschränkt. Der Menschenrechtler Hossam Bahgat begrüßte Sisis Entscheidung deshalb als gute Nachricht. Ab jetzt könne niemand mehr vor den unter dem Ausnahmezustand eingerichteten Sondergerichten angeklagt werden, schrieb er auf Twitter. Bahgat fügte aber gleich hinzu, das gelte nicht für die Fälle von Beschuldigten, die bereits vor den Sondergerichten angeklagt seien.

Ob Ägypten nach dem Ende des Ausnahmezustandes ein freieres Land wird, ist fraglich. In der Praxis blieben viele Vorschriften in Kraft, die den Ausnahmezustand trotz seiner offiziellen Abschaffung zementierten, kommentierte Amr Magdi von Human Rights Watch. Auch die Nahost-Expertin Amy Hawthorne schrieb auf Twitter, Sisi habe selbst ohne Ausnahmezustand „alle repressiven Vollmachen, die er braucht“. Das Ende des Kriegsrechts sei deshalb „rein kosmetisch“. Unabhängig vom Ausnahmezustand gibt die Verfassung dem Präsidenten die Oberaufsicht über die Justiz und spricht der Armee eine Rolle als Hütern des Staates auch im Innern zu.

Sisi hofft auf ein Gespräch mit Biden

Wenn Sisi es wirklich ernst meine mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage, dann müsse er die vielen politischen Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen, forderte die Organisation Dawn, die sich für Demokratie und Menschenrechte im Nahen Osten einsetzt. Gesetzesänderungen und ein anderer Umgang mit der Zivilgesellschaft seien nötig, erklärte die Organisation, die von dem 2018 ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi gegründet wurde.

Um Demokratisierung geht es Sisi aber nicht. Bei der Aufhebung des Ausnahmezustandes hat er vor allem die USA im Blick. Washington hatte im September einen Teil der amerikanischen Militärhilfe für Ägypten von rechtsstaatlichen Reformen abhängig gemacht. Obwohl Ägypten ein wichtiger US-Partner im Nahen Osten ist, will Präsident Joe Biden „keine Blankoschecks mehr“ für Sisi ausstellen, wie der US-Präsident sagt. Zwar hielt Biden lediglich um 130 Millionen Dollar an Unterstützung für Ägypten zurück – ein Zehntel der US-Hilfe von 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr. Doch das Signal der Biden-Administration wurde in Kairo verstanden.

Nun hofft Sisi nach Angaben von Beobachtern auf eine Zusammenkunft mit Biden beim Weltklimagipfel in Glasgow, der am Wochenende beginnt. Es wäre das erste persönliche Gespräch der beiden seit Bidens Amtsantritt im Januar. Bisher hatte Biden den ägyptischen Präsidenten gemieden.

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