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Andreas Kalbitz, AfD-Spitzenkandidat in Brandenburg.

© Odd ANDERSEN /AFP

Zornige Zeiten: Von Erleichterung kann keine Rede sein

Die Landtagswahlen zeigen: Deutschland ist gespalten in Ost- und West. Doch Hochnäsigkeit wird keine Versöhnung bringen. Ein Kommentar.

Diese Wahl bereitet Schmerzen. Der Osten rutscht nach rechts, und zwar gewaltig. Wieder haben bei ostdeutschen Landtagswahlen ein Viertel der Wähler ihr Kreuz bei der AfD gemacht, wie schon 2016 in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Die Regierungsparteien CDU und SPD erleben dagegen trotz beeindruckender Aufholjagd ein Debakel, und die Umfragen für Thüringen lassen Ende Oktober dort Ähnliches erwarten.

Innerhalb kürzester Zeit hat die erst vor sechs Jahren gegründete Rechtspartei große Landesteile im Osten erobert. Der Erfolg zeigt sich in den Parlamenten, in allen ostdeutschen Landtagen außer in Erfurt ist Rechtsaußen zum Machtfaktor geworden und bildet jeweils die zweitstärkste Fraktion. Noch nie im Nachkriegs-Deutschland haben die Rechten so viel parlamentarische Präsenz gehabt, noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg hat überhaupt eine neue Partei einen derart rasanten Aufschwung erlebt.

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Galt früher die Linke als die führende Interessenpartei der Ostdeutschen, hat ihr und den Groko-Parteien die AfD die Unzufriedenen abgeluchst – mit dem Kuriosum, dass ein erheblicher Teil der rechten Parteiköpfe aus dem Westen stammt. Es sind zornige Zeiten: Nichts hat seit der Wende die Wunden zwischen Ost und West wieder so aufgerissen wie die Erfolge der Rechten.

Verständnislos beobachtet das liberale Milieu der urbanen Zentren, wie sich der Osten einer rückwärtsgewandten und männlich dominierten Frust-Partei hingibt, die offen mit völkischen und nationalistischen Gedanken flirtet. Plötzlich ist er wieder da, der giftige Vorwurf der Undankbarkeit gegen die Ostdeutschen – und der Ruf nach weniger Hochmut und mehr Verständnis schallt prompt gen Westen zurück.

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Von einer gemeinsamen Gemütslage sind die Deutschen 30 Jahre nach dem Mauerfall weit entfernt. Das Thema des Spätsommers 2019 ist nicht die Integration von Flüchtlingen, sondern die Desintegration von Ostdeutschen und Westdeutschen.

Gibt es einen Weg zur Versöhnung? Gewiss nicht mit Hochnäsigkeit. Die permanente Erfahrung der Deklassierung gegenüber dem Westen hat den Gefühlsausbruch mit befeuert. Über die Hälfte der Sachsen fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Angela Merkel und ihre Politik sind in den Augen vieler ostdeutscher AfD-Wähler die ultimative Demütigung. Nirgendwo sonst in Deutschland wird die Regierungschefin mehr gehasst.

Der abgehängte Osten

Dabei sind die Probleme in den abgehängten Regionen des Ostens und Westens recht ähnlich. Die rechtspopulistische Bewegung ist keine Ostmode, sondern eine besonders im Osten erfolgreiche Rebellion gegen tiefgreifende Veränderungen, die unsere gesamte Gesellschaft seit Längerem bewegen. Deutschland leidet unter einem gewaltigen Gestaltungsstau.

Alles, was Sie zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg wissen müssen:

Es rächt sich eine Politik, die jahrelang Themen wie Globalisierung, Digitalisierung und Migration hat geschehen lassen, statt sie zu steuern. Das laissez-faire und das Unbestimmte schaffen für zu viele keine Identifikation.

Das müsssen die Regierungsverantwortlichen in Bund und Ländern nicht nur konstatieren, sie müssen es ernster nehmen als bisher. Das heißt nicht, dass man dem Gerede von Kalbitz, Höcke und Co. mit Verständnis begegnen sollte. Es heißt aber, dass Politik die zukünftige Gesellschaft offensiver und konkreter gestalten muss: Mehr Investitionen in abgehängten Regionen, mehr Engagement für Schulen, mehr Fortschrittsteilhabe durch großflächige Digitalisierung.

Die Koalitionsverhandlungen werden schwierig, vor allem in Sachsen. Es ist richtig, Rechtsaußen nicht an der Regierung zu beteiligen. Doch die größte Gefahr in den neuen Landtagen wären Regierungsbündnisse, die ihre Energie und ihren Zusammenhalt vorwiegend aus der Abwehr der AfD schöpfen und nicht aus neuen Konzepten zur Gestaltung der Zukunft. Das Land braucht eine Politik des Kümmerns, des Machens und nicht des Zusehens.

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