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Ein Mann trägt ein verletztes Mädchen nach einem Bombenangriff in Syrien.

© AFP/Omar Haj Kadour

Exklusiv

Zerstörte Krankenhäuser, Fassbomben, Folter: Vertrauliches Papier skizziert grauenhafte Lage in Syrien

In keinem Teil Syriens gebe es Schutz vor Verfolgung, stellt das Auswärtige Amt fest. Die Bundesregierung möchte den Bericht lieber nicht veröffentlicht sehen.

Von Frank Jansen

Die Bundesregierung bescheinigt Syrien auch nach dem weitgehenden Sieg des Assad-Regimes im Bürgerkrieg einen katastrophalen Zustand. Das Auswärtige Amt (AA) berichtet in einem vertraulichen Lagebild über brutale Willkür von Regierung und Milizen. In keinem Teil Syriens gebe es Schutz vor politischer Verfolgung und Folter, steht in dem 30-seitigen Papier, in das der Tagesspiegel Einblick nehmen konnte. Der Report war die Grundlage für die Entscheidung der Innenministerkonferenz in dieser Woche, den Stopp von Abschiebungen nach Syrien ohne jede Einschränkung um ein halbes Jahr zu verlängern.

Das AA berichtet zudem von mangelhafter Versorgung in Syrien und einer kollabierten Wirtschaft. Demnach leben 69 Prozent der syrischen Bevölkerung in extremer Armut und müssen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Fünf Millionen Syrer gelten als „akut hilfsbedürftig“.

Der Bericht ist beklemmend und die Bundesregierung möchte ihn nicht veröffentlicht sehen. Dennoch wird nun bekannt, wie das AA nach intensiver Recherche den Alptraum Syrien beschreibt. Obwohl sich das Assad-Regime mit Hilfe von Russen und Iranern im Bürgerkrieg durchzusetzen scheint, bleibt die Situation der Mehrheit der Bevölkerung dramatisch. Die Grundversorgung werde fast vollständig von Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen gedeckt, heißt es.

Fast zwei Drittel der 18 Millionen Syrer seien von humanitärer Hilfe abhängig. 15,5 Millionen Menschen benötigten „dringend Zugang zu Trinkwasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen“. Dem Lagebild des AA ist sogar zu entnehmen, dass selbst das syrische Gesundheitsministerium harte Zahlen zur medizinischen Versorgung nennt.

Demnach sind 20 Prozent der Krankenhäuser wegen der Zerstörungen „funktionsunfähig“ und 48 Prozent durch Kampfhandlungen beschädigt. Das Auswärtige Amt scheut sich nicht, den Haupttäter zu nennen. Vom syrischen Regime würden „Wohngebiete sowie zivile Infrastruktur angegriffen, einschließlich Krankenhäuser und Schulen“. Die Luftwaffe setzt dabei häufig Fassbomben ein. Das AA berichtet von „mindestens 71.935 Fassbomben“ in der Zeit vom Juli 2012 bis Dezember 2018.

Frauen weinen auf einer Beerdigung in der syrischen Stadt Qamishli.
Frauen weinen auf einer Beerdigung in der syrischen Stadt Qamishli.

© AFP/Delil Souleiman

Als Quellen für seine Recherchen nennt das AA die Vereinten Nationen, syrische Menschenrechtsgruppen und humanitäre Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International. Demnach starben im Bürgerkrieg, der 2011 ausbrach, bislang etwa 570.000 Menschen. Das UNHCR hat 5,6 Millionen Syrer als Flüchtlinge registriert, weitere 5,9 Millionen sind „Binnenvertriebene“, also Flüchtlinge im eigenen Land.

17.000 Menschen seien zu Tode gequält worden

Sicherheit ist offenkundig ein Fremdwort für jeden, der dem Regime wie auch anderen Kriegsparteien verdächtig erscheint. „Nach wie vor besteht in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen“, steht im Papier. Berichtet wird von systematischer Folter in Haftanstalten, 17.000 Menschen seien zu Tode gequält worden. Seit 2012 sind zudem mehr als 144.000 Menschen inhaftiert worden oder verschwunden. Dafür sei in 90 Prozent der Fälle das Assad-Regime verantwortlich. Und es sucht mit Haftbefehl 1,5 Millionen Menschen. Das AA schreibt zudem, seit 2018 gebe es wiederholt Berichte von „Massenexekutionen in Regimegefängnissen“.

Auch außerhalb von Assads Machtbereich ist die Lage prekär. In der letzten Rebellenregion Idlib, dominiert von der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al Sham, wird die Zivilgesellschaft brutal unterdrückt. Im AA-Bericht ist zudem von Menschenrechtsverletzungen im Gebiet der Kurdenmiliz YPG im Norden und Nordosten Syriens die Rede. Das gilt auch für die von türkischen Truppen besetzten Gebiete an der Grenze.

Das Papier weckt zumindest Zweifel an einer Lockerung des Abschiebestopps in Deutschland, wie ihn die Innenministerkonferenz diese Woche in Lübeck diskutiert hat. Die Ressortchefs vereinbarten, die Bundesregierung solle prüfen, ob wenigstens syrische Straftäter nach Syrien zurückgeschickt werden können. Vom AA wird nun bis Juni 2020 ein weiterer Syrien-Report erwartet.

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