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Krank rein, gesund wieder raus. Der "Jungbrunnen" von Lucas Cranach, d. Ä.

© Hervé Champollion / akg-images

Regelmäßiger Nahrungsverzicht: Macht Fasten jünger?

Dem zeitweisen Einstellen der Nahrungsaufnahme wird große Heilkraft zugeschrieben. Manche glauben, das Leben ließe sich so verlängern. Erwiesen ist das nicht.

Er naht, der Aschermittwoch. Dann beginnt die Periode, in der das christliche Abendland traditionell die Nahrungsaufnahme reduziert. Doch Varianten des Fastens gehören zu fast jeder Kultur, jeder Religion.

Gegenwärtig werden bestimmte Varianten zunehmend populär. Mit Gott, Religion und spiritueller Selbstkasteiung hat das dann meist eher wenig zu tun. Der Verzicht soll vielmehr beim Abnehmen helfen, gegen alle möglichen Krankheiten wirken oder sie gar nicht erst entstehen lassen. Er soll den Menschen insgesamt gesünder und fitter machen, womöglich sogar sein Leben verlängern. Doch was weiß man wirklich über die heilende Kraft des Fastens, und was nicht? Eine Übersicht.

Welchen Sinn hatte das Fasten in vergangenen Zeiten?

Schon aus dem alten Ägypten sind Fastenvorgaben überliefert, etwa verordneter Verzicht auf Fisch während der Laichzeit im Nil. Die christliche Fastenzeit, in der religiös begründet in den 40 Tagen vor Ostern kein Fleisch gegessen werden soll, hatte nach Ansicht von Anthropologen vor allem den Sinn, die Viehbestände zu erhalten. Am Ende des Winters waren sonstige Vorräte häufig aufgezehrt, das Vieh allerdings verblieb als Speicher von Kalorien. Den galt es, mit Weitblick, zu schützen.

Etwa die Sauen waren in dieser Zeit trächtig. Das garantierte Proteinversorgung für das Jahr – wenn der Bauer sie fütterte und leben ließ. Allerdings sind diese pragmatischen Gründe mit Sicherheit nicht die einzigen. Fast jede Religion und fast jede Region der Welt kennt bestimmte Fastenpraktiken.

Und es ist zumindest denkbar, dass diese eine Art früher „Public-Health“-Maßnahme waren, weil die Menschen über Jahrhunderte und Jahrtausende ein Erfahrungswissen über gesundheitsfördernde Effekte des Fastens angesammelt hatten.

Gibt es "Fasten" in der Natur?

Bei sehr vielen Tierarten kommen mehr oder weniger lange Hungerphasen immer wieder oder auch regelmäßig vor. Raubtiere etwa schaffen es nicht unbedingt immer, wenn sie Hunger haben, auch Beute zu machen.

Auch Pflanzenfressern kann etwa bei Dürre die Nahrung knapp werden.

Tiere, die Winterschlaf halten, haben sehr lange Fastenphasen in ihr Verhaltensrepertoire und ihren Stoffwechsel genetisch einprogrammiert.

Auch bei den Vorfahren heutiger Menschen wechselten sich Nahrungsüberfluss und Nahrungsmangel oft ab. Diejenigen, die letzteren am besten aushalten konnten, und die es letztlich - auch teilweise mit ihren letzten Reserven - noch schafften, doch wieder an Nahrung zu kommen, überlebten am ehesten, pflanzten sich fort und gaben ihre Gene weiter.

Diesem evolutionären Erbe verdanken wir Menschen es vermutlich, dass wir heute überhaupt in der Lage sind, freiwillig und ohne Schaden zu nehmen über längere Zeiträume auf Nahrung zu verzichten.

Heutige Fastenjünger berichten regelmäßig darüber, wie positiv gestimmt, geistig klar und fokussiert - aber durchaus auch körperlich leistungsfähig – sie an Tagen ohne Nahrungsaufnahme seien. Das ergibt auch evolutionär Sinn. Denn genau in den Hungerphasen kam es ja darauf an, gerade jetzt optimal fähig zu sein, sich doch wieder Nahrung zu beschaffen.

Wenn heute also ein Silicon-Valley-CEO wie Twitter-Boss Jack Dorsey von seinen Hochgefühlen und klaren Gedanken an seinen Nullkalorientagen erzählt, dann ist er im Grunde rein biochemisch ein Abbild eines hungrigen, zu allem bereiten Jägers in der Savannenwelt unserer Vorfahren.

Wie ist die gegenwärtige Renaissance verschiedener Fastenpraktiken zu erklären?

Die Gründe, warum sich immer mehr Menschen für das Fasten zu interessieren scheinen, sind wahrscheinlich vielfältig. Verzicht im Angesicht des - zumindest in Ländern, in denen niemand unfreiwillig hungern muss - allgegenwärtigen Überflusses dürfte eine Rolle spielen, ebenso die Suche nach spiritueller Erfüllung auch ohne konkrete religiöse Doktrin.

Viele sehen das Fasten, weil auf Kalorien verzichtet wird, schlicht als vergleichsweise geradlinige Möglichkeit, Gewicht zu verlieren. Die sich mehrenden Meldungen, dass zeitweiser Verzicht auf Nahrung gesund sein und sogar das Leben verlängern könnte, sind wahrscheinlich der bedeutendste Faktor.

Was passiert beim Fasten im Körper?

Nach langen Stunden ohne Nahrungszufuhr stellt der Körper seinen Energiestoffwechsel um. Er nutzt nun nicht mehr Glukose aus Nahrungs-Kohlenhydraten, sondern baut Fette in der Leber zu so genannten Ketonen um. Die können fast alle Körperzellen mit Energie versorgen. Zusätzlich werden Moleküle freigesetzt, welche Zellen schützen, denn der Nahrungsmangel setzt jene Zellen unter Stress.

Ein wichtiger Faktor ist, dass – eben weil über den Darm kein Zucker in das Blut gelangt – kein Insulin ausgeschüttet wird. In diesem Zustand kann der Körper besser geschädigte Zellen abbauen und verdauen. Zudem wird Erbgut repariert. Diese Stress-Abwehrreaktionen, auch Hormesis genannt, halten viele Forscher für den eigentlichen Grund, warum Fasten positive gesundheitliche Effekte zu haben scheint.

Welche Arten von Fasten gibt es?

Zum klassischen und angesichts von Vegan-Bewegung und Klimaschutz zu neuer Bedeutung gelangtem Weglassen von Fleisch gesellen sich inzwischen zahlreiche weitere Varianten. Dazu gehören mehrtägige oder wochenlange Kuren fast ohne Kalorienaufnahme. Diese werden auch von bestimmten Spezialeinrichtungen angeboten und sind normalerweise begleitet von anderen Anwendungen wie etwa der Verabreichung von Abführmitteln und Leberwickeln sowie angepassten Bewegungsprogrammen.

Für sie muss man aber normalerweise komplett aus dem Alltag aussteigen. Zu den religiös begründeten Varianten gehört der Verzicht der Muslime auf Essen und Getränke tagsüber zur Zeit des Ramadan. Hier handelt es sich im Grunde um eine Form des derzeit säkular sehr populären so genannten Intervallfastens. Gemeint ist damit die regelmäßige Abwechslung von längeren als den sonst zwischen Mahlzeiten üblichen Zeitabschnitten, in denen Nahrungsaufnahme vermieden wird, mit solchen, in denen sie erlaubt ist.

Warum ist gerade Intervallfasten derzeit so populär?

Beim Intervallfasten gibt es die verschiedensten Varianten. In der, die als „5:2“ bekannt ist, hat eine Woche fünf Tage mit normaler Nahrungsaufnahme und zwei mit sehr beschränkter Kalorienzufuhr. Eine andere Version bedeutet, einmal oder mehrmals pro Woche den ganzen Tag nichts zu essen.

Das läuft auf jeweils etwa 36-stündige Fastenphasen hinaus, da sich dem Abend ohne Abendessen ja auch noch eine Nacht anschließt. Beim 16:8-Fasten beschränkt sich das tägliche Zeitfenster, in dem gegessen werden darf, auf circa sechs bis acht Stunden. All diese Spielarten sind unter anderem deshalb populär, weil sie – anders als etwa die genannten vieltägigen Kuren – relativ alltagstauglich sind.

Der Körper kann seinen Stoffwechsel auch besser umstellen, wenn die letzte Fastenphase noch nicht lange her ist. Denn dann stehen ihm noch die nötigen Enzyme und aktivierten Gene zur Verfügung.

Dass Intervallfasten von Prominenten propagiert wird, spielt ebenfalls eine Rolle. Dazu kommt, dass sich in den letzten Jahren die positiven Meldungen aus der Wissenschaft häufen. Eine kürzlich erschienene Übersichtsstudie im „New England Journal of Medicine“, dem weltweit höchstrespektierten Fachjournal für medizinische Forschung, kommt zu dem Schluss, dass Intervallfasten viele gesundheitliche Vorteile bringt und sogar das Leben verlängern könnte.

Welche wissenschaftlichen Hinweise auf gesundheitsförderliche Effekte gibt es?

„Heile ein kleines Weh eher durch Fasten als durch Arznei“ steht schon in den hippokratischen Schriften. Mittlerweile wird dem Fasten allerdings von manchen Medizinern und Epidemiologen ein weit größeres Potenzial zugeschrieben. Es soll praktisch allen großen Volkskrankheiten vorbeugen und auch helfen können, sie in den Griff zu bekommen, wenn sie schon ausgebrochen sind.

Tatsächlich gibt es aus zahlreichen Studien mit Versuchstieren sehr klare Hinweise, dass diese Versuchstiere, wenn sie zum Intervallfasten gezwungen wurden, weniger krank wurden als Artgenossen, die normal fraßen. Selbst Tumoren wuchsen nicht oder weniger.

Aber Versuchstiere sind keine Menschen. Die wissenschaftlichen Daten, die es aus Studien mit Menschen gibt, zeigen zumindest, dass etwa Übergewichtige Gewicht verlieren, dass sich es sich mental positiv auswirken kann - und dass sich zahlreiche Blutwerte auf eine Weise verändern, die zumindest als gesundheitsförderlich gilt. Hierzu gehören Insulin, Blutfette, Cholesterin und einige entzündungsregulierende Substanzen. Dazu kommen auch Studien, in denen bei älteren Menschen verbesserte Fähigkeiten festgestellt wurden, sich an Begriffe zu erinnern.

Die Studienteilnehmer durften nur jeden zweiten Tag etwas essen.
Die Studienteilnehmer durften nur jeden zweiten Tag etwas essen.

© Getty Images

Welche Hinweise auf „verjüngende“ und lebensverlängernde Effekte gibt es?

Seit Langem wird diskutiert, ob ein dauerhaftes Weniger an Essen gesund ist und das Leben verlängert. Unstrittig ist dies bei Würmern, selbst bei Mäusen.

Bei Menschen gibt es seit Jahrhunderten immer wieder eindrucksvolle Einzelberichte. Hier zu nennen wären etwa die Schriften eines Herren namens Luigi Cornaro, der im 15. und 16. Jahrhundert in Padua lebte. Nach recht völlerischer Jugend hatten ihm im Alter von 35 Jahren seine Ärzte den nahen Tod vorhergesagt. Daraufhin verordnete sich Cornaro eine strenge Diät. Er wurde 100 oder gar 102, und erfreute sich bis fast zuletzt einer ganz guten Gesundheit.

Es ist eine schöne Geschichte, die noch schöner wird, wenn man weiß, dass täglich drei Gläser Rotwein erlaubt waren. Aber weder zu Cornaros Zeiten noch heute gibt es Studien mit Menschen, die aus solchen Anekdoten gesichertes Wissen machen würden.

Vieles, was man über das Fasten weiß, passt plausibel in die Argumentation derer, die es als Jungbrunnen sehen: Es werden Prozesse gefördert, die Zellmüll entsorgen und Erbgutreparatur fördern. Es entstehen Moleküle, die freie Radikale neutralisieren. Es werden vermehrt Wachstumsfaktoren gebildet, die unter anderem dafür sorgen, dass Hirnzellen wachsen und Verbindungen schließen. Und vieles mehr.

Aber ob all das einen Fastenjünger zum Cornaro macht, oder Cornaro vor allem guten Genen und Glück seine Gesundheit bis jenseits der 100 verdankte, weiß niemand. Weil entsprechende Studien sehr aufwendig und langwierig wären, wird das vorerst auch so bleiben. Denn man müsste jede Menge Personen von ihrer Jugend an bis zu ihrem möglichst späten Tode sehr intensiv begleiten und detailliert dokumentieren, was und wie viel sie essen und welche anderen Faktoren vielleicht auch eine Rolle spielen.

Gibt es andere Vorteile?

Soziologen und Psychologen sehen positive Aspekte vor allem in der bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, aber auch mit Themen wie Überfluss und Hunger in der modernen Welt. Unstrittig ist, dass der Verzicht auf ganze Mahlzeiten und deren Zubereitung – sofern man nicht für die Kinder oder andere Angehörige ohnehin kochen muss – Zeitressourcen freisetzt.

Was sagen die Kritiker?

Bei konventionell ausgebildeten Medizinern galt Nahrungsverzicht sehr lange als grundsätzlich ungesund. Die Argumente dafür waren nicht besonders komplex, sondern liefen vor allem auf eines hinaus: Wer länger als ein paar Stunden nichts isst, bei dem stellt sich ein „kataboler Stoffwechsel“ ein. Das bedeutet: Es wird Körpersubstanz abgebaut, und hier nicht nur Fett, sondern auch Protein aus den Muskeln.

Katabole Stoffwechsellagen führen langfristig zum Tode, und sie sind charakteristisch für einige schwere Erkrankungen, Krebs im fortgeschrittenen Stadium etwa. Auch kurzfristig kann es schon zur Ausschüttung von Giftstoffen und einer allgemeinen Schwächung kommen. Die erwähnten Studienergebnisse und Erkenntnisse über den Stoffwechsel und die Biochemie haben viele Mediziner diese Sicht korrigieren lassen.

Wichtige Kritikpunkte sind gegenwärtig vor allem, dass es zwar viele Studien gibt, es in denen aber nur um Körpergewicht, Blutzucker, Blutfette und dergleichen geht. „Surrogat-Parameter“ nennt der Heidelberger Diabetologe Peter Paul Nawroth derlei Werte. Denn sie sagen nichts darüber aus, ob es Menschen, die regelmäßig fasten, wirklich besser geht als denen, die dies nicht tun, ob diese Menschen letztlich wirklich weniger krank sind, seltener einen Infarkt oder Diabetes-Komplikationen bekommen oder eher von Demenz verschont bleiben.

Dazu gebe es jedenfalls bislang schlicht „keine Daten“, so Nawroth. Auch Ernährungsmediziner sind der Meinung, dass noch viele Fragen offen sind. Dazu kommt, dass die meisten Studien, in denen Fastenvarianten an Menschen getestet wurden, nur über ein paar Monate gingen. Es gibt also langfristig nicht einmal gute Daten jener „Surrogat-Parameter“. Rein praktisch zeigen auch die bisherigen Studien, dass es nicht unbedingt einfach ist, eine solche Ernährungsroutine dauerhaft durchzuhalten.

In einer kürzlich erschienenen Studie funktionierte Intervallfasten aber zumindest etwa ebenso gut wie die ebenfalls als gesundheitsförderlich geltende Mittelmeer-Diät mit viel Gemüse, pflanzlichen Ölen und Fisch.

Wer sollte aufs Fasten verzichten?

Bei ansonsten gesunden Personen haben Studien bisher keine negativen Wirkungen auch im Zuge strengen Intervallfastens nachweisen können.

Eine der umstrittensten Fastenvarianten ist die „Breuss-Kur“, die von manchen Verfechtern so genannter alternativer Heilmethoden Krebspatienten empfohlen wird. Sie besteht aus 42 Tagen ohne feste Nahrung und täglich etwas Gemüsebrühe und soll den Tumor gleichsam aushungern. Das tut sie auch oft, jedenfalls wird von schrumpfenden Tumoren berichtet.

Was aber auch schrumpft, ist die sonstige körperliche Substanz der Patienten und die Kraft ihres Immunsystems. Und wenn diese wieder essen, ist der Tumor nach wie vor da und kommt oft mit tödlicher Kraft in den abgemagerten Körper zurück.

Bei Diabetikern verbesserten sich in Studien die Blutwerte zwar deutlich. Doch gerade sie sollten wegen möglicher Komplikationen zunächst nur unter ärztlicher Begleitung fasten.

Für Kinder scheint fasten generell nachteilig zu sein, sie befinden sich im Wachstum und haben wenig Reserven.

Kulturell überlieferte Fastenpraktiken scheinen diese Erkenntnis widerzuspiegeln. Etwa im Ramadan muss, im Gegensatz zu den Erwachsenen, eigentlich kein Kind vor der Pubertät durchgehend tagsüber auf Nahrung und Getränke verzichten. Wenn dies doch geschieht, dann durch religiösen Übereifer.

Schwangere sollten auf keinen Fall fasten. Tun sie es doch, können niedriges Geburtsgewicht und Schädigungen des Kindes die Folge sein. Auch bei Personen, die zu Essstörungen neigen oder neigen könnten, sehen Fachleute Gefahrenpotenzial durch das Fasten.

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