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Baschar al Assad herrscht seit 20 Jahren über Syrien.

© Louai Beshara/AFP

Zehn Jahre Krieg in Syrien: „Das Regime weiß, wie man Sanktionen umgeht“

Was können Sanktionen ausrichten? Rim Turkmani von der London School of Economics über die Wirksamkeit von Strafmaßnahmen, die Armut in Syrien und Strategien.

Rim Turkmani befasst sich an der angesehenen London School of Economics mit dem Syrien-Konflikt. Die aus Homs stammende Wissenschaftlerin studierte zunächst Astrophysik, bevor sie sich der internationalen Politik widmete. Turkmani arbeitet zudem als Beraterin des UN-Beauftragten für Syrien.  

Schon kurz nach Ausbruch der Unruhen in Syrien im März 2011 beschlossen die USA und die EU erste Sanktionen gegen das Regime von Präsident Baschar al Assad. Über die Jahre kamen immer mehr Strafmaßnahmen hinzu. Erst vor wenigen Monaten traten neue US-Sanktionen in Kraft. Trotzdem ist Assad noch immer an der Macht. Rim Turkmani von der London School of Economics erklärt hier, warum die Sanktionen wirkungslos geblieben sind.

Frau Turkmani, wie haben die Mitglieder des Assad-Regimes es geschafft, den Sicherheitsapparat und die eigene Elite vor den Sanktionen zu schützen?
Zum einen mit Erfahrung. Die USA und Europa erlassen schon seit 1979 Sanktionen gegen Syrien, also waren die Mitlieder des Regimes vorbereitet. Sie hatten kein Vermögen im Westen und wussten, wie man Sanktionen umgeht. Zudem verschaffte sich die Regierung über Verbündete Zugang zur Außenwelt und zu den Finanzmärkten.

Das heißt?
Das Regime hielt nach neuen Geldquellen Ausschau und verteilte die noch vorhandenen Ressourcen, ohne die Ausgaben für die entscheidenden Institutionen des Militärs und des Sicherheitsapparates nennenswert zu reduzieren. Die Regierung hob die Steuern an und schuf ein Netz aus Kriegsfürsten und Anhängern, die einen neuen Kanal für illegale Einnahmen bildeten.

Das Regime senkte außerdem die Ausgaben, um Verluste auszugleichen und Operationen von Militär und Sicherheitsapparat zu unterstützen. Subventionen auf wichtige Güter wurden abgeschafft, Ausgaben für grundlegende staatliche Dienstleistungen drastisch zusammengestrichen.

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Werden die neuen US-Sanktionen Erfolg haben?
Sie zielen vor allem auf ausländische Personen und Institutionen, die mit dem syrischen Regime Geschäfte machen - und nicht auf das Regime selbst. Sie erschweren es ausländischen Akteuren, ohne Genehmigung der USA in Syrien tätig zu werden. Das wird den amerikanischen Einfluss in der Region erhöhen, aber ich bezweifle, dass es das Verhalten des Machtapparats ändern wird.

Geschäft mit den Kriegsüberresten. Kinder in Idlib sammeln und verkaufen Munition und Artilleriegeschosse.
Geschäft mit den Kriegsüberresten. Kinder in Idlib sammeln und verkaufen Munition und Artilleriegeschosse.

© Aaref Watad/AFP

Es heißt immer, die Sanktionen würden vor allem syrischen Normalbürgern das Leben schwermachen. Stimmt das?
Der Lebensunterhalt vieler syrischer Normalbürger hängt von kleinen und mittleren Betrieben und traditionellen Sparten ab, und die haben stark unter den Sanktionen zu leiden.

as Bankgeschäft und damit Import und Export sind fast unmöglich geworden. Betroffen sind auch medizinische Güter, die offiziell nicht auf der Sanktionsliste stehen, denn viele westliche Firmen und Banken wollen nichts mehr mit Syrien zu tun haben. Die meisten unabhängigen und kleinen Unternehmen können es sich nicht leisten, die Sanktionen zu umgehen.

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Welche Folgen hat das?
Die Armut wächst wegen noch nie dagewesener Preiserhöhungen bei Produkten des täglichen Bedarfs, einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit, einem Währungsverfall und dem schlechten Geschäftsklima für kleine und mittlere sowie traditionelle Betriebe. Das ist keine direkte Folge der Sanktionen, aber die Sanktionen tragen dazu bei. Die Zivilbevölkerung leidet zudem unter der Verschlechterung der staatlichen Dienstleistungen – auch das ist zum Teil eine Folge der Sanktionen.

Rim Turkmani ist Syrien-Expertin an der London School of Economics.
Rim Turkmani ist Syrien-Expertin an der London School of Economics.

© privat

Die Möglichkeiten, auf das Regime einzuwirken und auf einen Wandel hinzuarbeiten, nehmen auch deshalb immer weiter ab, weil die meisten Wohlhabenden, die nicht auf der Seite des Regimes stehen, das Land verlassen haben und weil sich die weniger Wohlhabenden zunehmend um den eigenen Lebensunterhalt kümmern müssen. Zugleich sind die Überweisungen von Auslands-Syrern, die für viele Syrer wichtig sind, wegen der Sanktionen sehr schwierig und sehr teuer geworden.

Sollte die internationale Gemeinschaft die Sanktionen aufheben?
Es gibt keine einheitliche Lösung für alle Sanktionen. Man muss sie je nach ihrer Wirkung betrachten. Sanktionen, die Leid für die Zivilbevölkerung bedeuten, sollten abgeschafft oder abgemildert werden. Andere sollten effektiver gestaltet werden, damit sie nur die jeweilige Gruppe oder Zielperson treffen.

Vor allem aber sollten Sanktionen nicht als wichtiges politisches Instrument an sich benutzt werden. Sie sollten vielmehr Teil einer umfassenden politischen Strategie sein, um den Konflikt zu beenden und das Land auf den Weg Richtung Demokratie zu bringen.

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