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Unter großer öffentlicher Anteilnahme wurde am Donnerstag der Karikaturist Bernard Verlhac, alias Tignous, eines der Opfer aus der Redaktion von "Charlie Hebdo" in Montreuil beigesetzt. Die Trauer eint das Land - doch nicht alle teilen sie.

© dpa

Zahlreiche Vorfälle an französischen Schulen: Allah-Rufe in der Schweigeminute

Noch hält das Bild von der nationalen Einheit, zu der sich die Franzosen nach den blutigen Terroranschlägen von Paris zusammengefunden haben. Doch in Frankreichs Schulen bekommt der beeindruckende Konsens hässliche Kratzer.

In Toulouse haben Schüler einer 4. Klasse am vergangenen Donnerstag während der Schweigeminute zum Gedenken der Opfer des Attentats islamistischer Extremisten auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" die algerische Nationalhymne angestimmt. In Dreux westlich von Paris erklärten Schüler, dass die Satirezeitung den Propheten beleidigt habe und verlangten eine Schweigeminute für Palästina. In Ris-Orangis südlich von Paris störten Schüler die Schweigeminute mit dem Ruf "Allah ist groß".

Das sind nur einige Beispiele auf einer Liste von 200 Vorfällen, die in den vergangenen Tagen von den Schulrektoraten an die vorgesetzten Behörden in Paris gemeldet wurden. "Die Schweigeminute ist nicht überall gut verlaufen", gab Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem im Parlament zu. "Es gab zahlreiche Vorfälle, keiner darf auf die leichte Schulter genommen werden."

Zu etwa 100 Vorfällen kam es nach ihren Angaben während der Schweigeminute, von nochmals 100 wurde ihr in den Tagen danach berichtet. Die Liste sei aber nicht vollständig. In 40 Fällen, bei denen es sich um die klare Verherrlichung des Terrorismus handelte, seien sofort Polizei und Justiz informiert worden. "Wir können so etwas nicht durchgehen lassen", sagte sie unter dem Applaus von Regierungs- und Oppositionsparteien. Dass es in Vororten von Paris und anderen großen Städten zu derartigen Zwischenfällen kam, ist für Beobachter der Verhältnisse in den Vorstädten mit ihrem hohen Anteil von Einwanderern keine Überraschung. Als besorgniserregend gilt vielmehr, dass sie sich auch an Schulen in kleineren Orten und selbst in der ländlichen Provinz ereigneten.

Die große Mehrheit der jungen Franzosen hat sich zwar mit dem Slogan "Ich bin Charlie" zur Solidarität bekannt, doch an manchen Schulen wächst auch eine andere Jugend heran, die mit den jetzt allenthalben beschworenen Idealen der Republik nicht viel am Hut hat. Das zeigte sich schon 2010, als bei einem Fußballspiel Frankreich-Algerien Fans aus den Pariser Vorstädten die Marseillaise mit einem Pfeifkonzert übertönten.

Auf die Vorfälle der vergangenen Woche reagierten die Lehrer im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Nicht alle befanden sich in einer so komfortablen Lage wie Rachid Djouadi, ein Pädagoge algerischer Herkunft in Creteil bei Paris, der aus seiner Kenntnis des Korans seine Schüler vom Toleranzgebot des Islams zu überzeugen vermochte.

Andere Lehrer beugten möglichen Konflikten vor, indem sie Störer vor Beginn der Schweigeminute vom Unterricht ausschlossen. Die meisten waren aber mit der Situation überfordert. Und viele mussten sich Anfang der Woche kontroversen Debatten stellen. "Es gibt eine absolute Intoleranz", sagte ein Lehrer der Zeitung "Le Parisien". "Wenn es um Religion, Toleranz und Meinungsfreiheit geht, stehen wir vor einer Mauer des Unverständnisses." Einem Lehrer in Argenteuil riet ein Schüler, er sollte "zu seinem eigenen Wohl" zum Islam konvertieren. Ein Patenrezept hat auch Erziehungsministerin Valaud-Belkacem nicht, die selbst aus einer Einwanderungsfamilie kommt. Im Parlament kündigte sie Intensivierungen der Bürgerkunde im Unterricht an. Doch Illusionen mach sie sich nicht: "Die Schule kann nicht alle Probleme der Gesellschaft lösen."

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