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Wer nichts leistet, muss zum Amt – Ist das noch ein zeitgemäßer Umgang miteinander?

© Sebastian Gollnow/dpa

Zahlen und zählen: Hat die Leistungsgesellschaft Deutschland ein Problem mit ihrem Prinzip?

Der Aufruf „Streng dich an“ klingt vorwitzig in einer Gesellschaft, die nicht geklärt hat, wie sie sich Leistung vorstellt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wenn jenseits von Sport und Breitbandnetzen Leistungen gefordert werden, geht es meist um Sozialleistungen. Also um etwas, das zu verteilen ist. Nicht um etwas, das jemand erbringen soll.

Eine Berliner Grundschullehrerin gab anlässlich der Debatte um Deutschkenntnisse von Erstklässlern unlängst zu Protokoll, dass ihrer Einschätzung nach „das Wort Leistung negativ besetzt“ sei.

Hat die Leistungsgesellschaft Deutschland ein Problem mit ihrem Prinzip?

Wer über Leistung zu diskutieren beginnt, landet schnell entweder ganz grundsätzlich beim wahren Wert von Arbeit und den grotesken Unverhältnismäßigkeiten von Lohn und Leistung bei Pflegekräften und beispielsweise Investmentbankern. Oder beim schmalspurigen Plädoyer dafür, dass alle denselben Vorgaben und Ansprüchen genügen müssten und wer nicht mitkomme, eben Pech habe. Für den sorge ja dann das Amt.

Auch in der Debatte um soziale Konsequenzen von Energieverteuerung zur Klimarettung schwingt die unterschiedliche Sicht auf Leistung mit. Wie sollen Finanzschwache weiter täglich Fleisch essen und Fernreisen finanzieren, wenn beides teurer wird, fragen die einen und fordern Kompensationen. Sollen sie sich doch anstrengen und mehr verdienen, wenn sie teuer leben wollen, finden die anderen.

Was beide Sichtweisen eint, ist ihr Ausgangspunkt: Leistung als ökonomische, quantifizierbare Messeinheit für individuelle Performance. Solche Schablonen werden von denen, die reinpassen, aus verständlichen Gründen verteidigt. Sie stehen aber den Verschiedenheiten der Menschen entgegen – und werden bei gleichzeitiger Förderung jeglicher Individualitäten immer noch unpassender. In Schulen zeigte sich das bereits an den Debatten um schlichte Ziffernzeugnisse, die der Bandbreite gezeigter Leistungen nicht gerecht würden. Andererseits kommt ebenfalls an Schulen gerade die Debatte auf, ob Rechtschreibfehler einen Zensurabzug auch in Arbeiten bedeuten könnten, die nicht im Fach Deutsch geschrieben werden. Eine Maßnahme, die die Bandbreite akzeptierter Leistungen beschränken würde.

Leistung als „Ordnungskategorie des Sozialen“

Der Aufruf „Streng dich an“ klingt vorwitzig in einer Gesellschaft, die nicht geklärt hat, wie sie sich Leistung vorstellt. Als wüsste da jemand schon, worum es geht. Und es könnte tatsächlich helfen, die Frage zu klären. Sie ist Kernthema des gelingenden Miteinanders. Die Historikerin Nina Verheyen nennt Leistung eine „Ordnungskategorie des Sozialen“. Wird sie nur in Gehalt oder gesellschaftlicher Position gemessen, bleibt jenen, denen es daran mangelt, nicht viel zum Aufrichten. Wie anders würde es sich – und zwar für alle – anfühlen, wenn Pflegekraft und Investmentbanker zwar weiter unterschiedlich verdienen, aber wenigstens gleichermaßen wertgeschätzt wären? Wenn also Arm und Reich im selben Gestus begegnet würde und das Gerede von den „kleinen Leuten“ aufhörte.

Bevor mit der industriellen Revolution das Zählbare zum Maß der Dinge wurde, galt Leistung stets der Gemeinschaft. Da waren Menschen, die sich zu sehr der individuellen Arbeit widmeten, sogar verschrien. Davon allein noch übrig ist die Formulierung „Gesellschaft leisten“. Und vielleicht ist genau dafür ein Sonntag wie heute eine gute Gelegenheit, an dem es sonst aufseufzend geheißen hätte: Heute leiste ich mal gar nichts.

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