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Parteichef Jörg Meuthen.

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Update

Wutrede gegen Provokateure, Pöbler, Radikale: AfD-Chef Meuthen bringt Parteifreunde gegen sich auf

Auf ihrem Parteitag treten die Konfliktlinien in der AfD deutlich zu Tage. Jörg Meuthen geht hart mit seinen Parteikollegen ins Gericht.

Offene Konfrontation beim Parteitag der AfD in Kalkar: AfD-Chef Jörg Meuthen hat seine Partei mit harten Worten zu mehr Disziplin aufgerufen. Meuthen kritisierte, dass Funktionsträger seiner Partei im Hinblick auf die Corona-Maßnahmen von einer „Corona-Diktatur“ sprachen. Unter anderem hatte Fraktionschef Alexander Gauland das Wort im Bundestag verwendet. Meuthen kritisierte auch Mitglieder der AfD-Bundestagsfraktion, die das Infektionsschutzgesetz als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet hatten und einen Schulterschluss mit der sich radikalisierenden „Querdenker“-Bewegung suchten.

Meuthen wandte sich zudem gegen radikale Mitglieder der AfD, die erst provozierten und dann die Solidarität der Partei einforderten. „Lassen wir lieber die im Regen stehen, die nur allzu gerne rumkrakeelen und rumprollen, weil sie sich in der Rolle des Provokateurs gefallen wie pubertierende Schuljungen “, rief er. Die AfD werde keine Erfolge mehr erzielen, wenn sie immer aggressiver, derber und enthemmter auftrete. „Entweder wir kriegen hier die Kurve und zwar bald, oder wir werden als Partei in ganz schwere See geraten und gegebenenfalls scheitern.“

Die Reaktionen auf die Rede zeigten, wie gespalten die Partei derzeit ist. Einige Delegierte spendeten Meuthen stehenden Applaus, andere blieben sitzen, auch Buh-Rufe wurden während der Rede Meuthens laut. Der Parteichef wird sich im Laufe des Parteitags noch mit einem Antrag konfrontiert sehen, der „spalterisches Gebaren“ bei ihm missbilligen will.

Im Extremfall droht dem Parteitag der Abbruch

Mit seiner Rede stellte Meuthen den ganzen Politikstil der AfD in Frage, der in den letzten Jahren immer von Provokationen, Tabubrüchen und Eskalation geprägt war. In einem Phoenix-Interview kritisierte auch AfD-Fraktionschef Gauland Meuthens Angriff auf die Bundestagsfraktion, bezeichnete dessen Rede in Teilen als spalterisch und unterstellte Meuthen eine Verbeugung vor dem Verfassungsschutz.

Bei Fraktionschefin Alice Weidel scheinen die Nerven blank zu liegen. Als sie im Phoenix-Interview damit konfrontiert wurde, dass ein Teil der AfD-Mitglieder eine „sozial-nationalistische“ Politik will, behauptete Weidel, der Moderator habe „nationalsozialistisch“ gesagt - und brach das Interview ab.

Die AfD hält an diesem Wochenende in Kalkar in Nordrhein-Westfalen mit 600 Delegierten einen Präsenzparteitag ab. Die Veranstaltung steht unter Beobachtung des Ordnungsamtes. An Einzeltischen mit AfD-blauen Tischdecken sitzen die Delegierten in der riesigen Halle, der Mindestabstand muss gewahrt werden, der Boden ist mit richtungsweisenden Pfeilen beklebt. Jeder der Delegierten hat ein kleines Fläschchen Desinfektionsmittel vor sich stehen. Dennoch hegte Kalkars Bürgermeisterin Britta Schulz im Vorfeld Zweifel daran, dass die Hygieneauflagen der Stadt bei der Großveranstaltung eingehalten werden.

Die ungeliebte Maske haben viele AfD-Delegierte nun mit einem politischen Statement versehen: Beliebt ist die aufgedruckte Deutschlandflagge, das AfD-Logo, ebenso wie Schriftzüge. „Meinungsfreiheit“, „Maulkorb“, oder einfach „Rechts!“. Alexander Gauland trägt wie so oft Dackel.

Delegierte, die sich nicht an die Maskenpflicht am Platz halten, sollen aus dem Saal entfernt werden. Im Extremfall droht dem Parteitag der Abbruch. Damit Delegierte, die aufgrund eines ärztlichen Attests von der Maskenpflicht befreit sind, leicht identifiziert werden können, tragen sie nach Angaben eines Sprechers farbige Namensschilder.

Nationalistischer Kümmererkurs bislang vor allem im Osten erfolgreich

Parteichef Tino Chrupalla versuchte die Delegierten zu Beginn des Parteitags mit einem rhetorischen Kniff zu Disziplin aufzurufen. „Wir sind hier, weil wir aller Welt zeigen: Wer in der Lage ist, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, der kann auch in Zeiten von Corona Präsenzparteitage abhalten.“ Die AfD könne mit der Pandemie „wesentlich besser“ umgehen als alle anderen Parteien. Sich an die Regeln zu halten, wäre also in Chrupallas Logik eine Möglichkeit, den anderen Parteien eins auszuwischen und zu beweisen, dass das Verbot von Großveranstaltungen falsch ist.

Die AfD will auf ihrem Parteitag über ihren Kurs in der Sozial- und Rentenpolitik abstimmen. Hier bestehen große Differenzen zwischen Vertretern marktliberaler Vorstellungen wie etwa Parteichef Meuthen und Befürwortern einer nationalsozialen Politik, zu denen etwa der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gehört.

Chrupalla sieht nicht, dass die AfD sich ändern muss

Chrupalla positionierte die AfD in seiner Rede als Partei der sozialen Gerechtigkeit und der arbeitenden Bevölkerung. Er rief: „Wir sind sozial, ohne rot zu werden“. Chrupalla vertritt die Ansicht, die AfD müsse Politik machen für all jene, die sie auch wählen. „Wir vertreten die Interessen all derer, die sich jeden Tag für ihre Familien und dieses Land krummlegen. Denn das sind die Menschen, die uns seit 2013 einen Wahlerfolg nach dem anderen ermöglichen.“ Mit einem nationalistischen Kümmerer-Kurs hatte die AfD in den vergangenen Jahren vor allem im Osten bei Wahlen gute Ergebnisse eingefahren.

Auffällig bei der Rede von Parteichef Chrupalla war auch, dass er seine Parteikollegen nicht zu Zurückhaltung aufrief. Er sieht eine „Diffamierungskampagne“ des „politischen Gegners“. Dagegen helfe „keine Selbstbezichtigung, kein zu Kreuze kriechen, kein Anpassen, kein Anbiedern.“ Dagegen helfe nur: „Zusammenstehen“.

Die beiden Parteichefs Meuthen und Chrupalla liegen miteinander im Clinch, seitdem Meuthen den „Flügel“ in der AfD zur Auflösung gebracht hatte und den brandenburgischen AfD-Chef Andreas Kalbitz aus der Partei warf. 

Kompromiss verabschiedet

Am Samstagabend stimmte der AfD-Parteitag mit großer Mehrheit für den vom Bundesvorstand vorgelegten Leitantrag. Dieser soll einen Kompromiss zwischen den Strömungen darstellen, wobei auffällig ist, wie wenig die Vorstellungen von Parteichef Meuthen darin Platz finden. Die Partei will am Umlagesystem bei der gesetzlichen Rentenversicherung festhalten. In dem 21-Antrag war unter anderem von einer Abschaffung der Politikerpensionen die Rede. Die AfD fordert, dass ein Großteil der künftigen Staatsbediensteten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollen, genauso wie Selbstständige. Und im Abschnitt „Private Vorsorge stärken“ heißt es: „Pro geborenem Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in Deutschland soll der Staat eine zusätzliche Einzahlung in Höhe von 100 Euro pro Monat bis zum 18. Lebensjahr in die Spardepots der jeweiligen Kinder tätigen.“

Der Parteitag lehnte die Befassung mit einem Antrag ab, für den Parteichef Meuthen zuvor geworben hatte. Darin ging es um den Test eines Staatsbürgergeldes. Das sei ein Grundeinkommen, das etwa an die Bedingung der deutschen Staatsbürgerschaft geknüpft sei und in Form einer negativen Einkommensteuer direkt an den Bürger ausgezahlt werde, hieß es im Antrag. Dass sich der Parteitag damit gar nicht beschäftigen wolle - auch das ist eine deutliche Botschaft an Meuthen.

Über eines kann sich der AfD-Chef aber freuen. Bei den Wahlen für die freigewordenen Posten setzten sich - wenn auch knapp - jeweils die weniger radikalen Kandidaten durch. So war nach dem Abgang des brandenburgischen AfD-Chefs Andreas Kalbitz ein Beisitzerposten vakant. Diesen hat nun die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar inne - und nicht der sächsische Europaabgeordnete Maximilian Krah, der sich ebenfalls beworben hatte.

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