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Geschlachtete Schweine im Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück (Archivbild von 2017)

© Bernd Thissen/dpa

Wut auf Tönnies: Was ein Pfarrer erlebt, der sich mit der Fleischindustrie anlegt

Nach der Predigt kommen verärgerte Unternehmer, auch der Bischof äußerte Unmut: Pfarrer Peter Kossen prangert seit Jahren die Zustände in der Fleischindustrie an – und hat nun einige Feinde.

Dass Menschen auf seine Worte, empfindlich reagieren, ist Peter Kossen gewöhnt. Diese Woche war es wieder soweit. Da war der Pfarrer in der Talksendung „hart aber fair“ zugeschaltet. Thema: Die Zustände in der Fleischindustrie.

Kossen mit seinem weißen Pastoren-Kollar sprach in Bezug auf die Subunternehmer, die sich in der Branche tummeln, von „organisierter Kriminalität“ und „moderner Sklaverei“. Der Vertreter der Ernährungsindustrie konnte es nicht fassen: „Der Sklavereivergleich ist ja wieder typisch. Entweder es kommt ein Nazi-Vergleich oder ein Sklavereivergleich“, empörte er sich.

Doch Kossen hat Gründe für seine Wortwahl. Der Pfarrer, Jahrgang 1968, kämpft seit Jahren gegen die miserablen Bedingungen für Arbeitsmigranten, speziell in der Fleischindustrie. 

Jetzt in der Coronakrise ist das Thema so stark in den Fokus gerückt wie noch nie. Nachdem sich Schlachthöfe und Fleischkonzerne wie Tönnies zu Corona-Hotspots entwickelt haben, wird plötzlich genau hingeschaut: Warum hat das Virus gerade dort leichtes Spiel?

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Kossen ist Pfarrer in Lengerich, einem Ort in der Nähe von Osnabrück in Nordrhein-Westfalen. Die Gegend ist bekannt dafür, dass dort besonders viele Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien tätig sind. Allein in Lengerich mit seinen 22.000 Einwohnern arbeiten laut Kossen 1100 von ihnen.

In Kontakt mit Betroffenen

Der Pfarrer ist häufig in Kontakt mit den Betroffenen, aber auch mit Gewerkschaften und Verbänden. Sein Bruder, der Arzt ist, behandelt immer wieder Arbeiter. In seinen Gesprächen bietet sich Kossen ein düsteres Bild.

Angestellt sind die Arbeitsmigranten meist als Werkvertragsarbeiter – das heißt, die Firma lagert einen Teil der Produktion an einen Subunternehmer aus, der dafür wiederum die Arbeiter zur Verfügung stellt. „Oft arbeiten sie sechs Tage die Woche, zehn bis zwölf Stunden“, sagt Kossen am Telefon.

„Moderne Sklaverei“. Bei den Arbeitsbedingungen, die in den Schlachtereien herrschen, hat das Virus leichtes Spiel.
„Moderne Sklaverei“. Bei den Arbeitsbedingungen, die in den Schlachtereien herrschen, hat das Virus leichtes Spiel.

© imago images/Westend61

Höchstarbeitszeiten würden ignoriert. Die Arbeit sei nicht nur körperlich schwer, auch psychisch sei es belastend, wenn pro Tag in der Fabrik 20 000 Schweine getötet und zerlegt werden müssten. „Die Leute haben keine Möglichkeit, Deutsch zu lernen, und sind abhängig vom Vorarbeiter“, berichtet Kossen.

Über Monate kein Lohn

Von seinem Bruder erfährt er, dass die Arbeiter, die zum Arzt gehen, unter Schnittverletzungen, Haltungsschäden und Verätzungen durch Reinigungsmittel litten, weil es nur unzureichend Schutzkleidung gebe. 

Dazu kämen die Lebensumstände. Oft seien die Arbeiter in Sammelunterkünften untergebracht, wo sie in überbelegten und zum Teil verschimmelten Zimmern hausten. Die sanitären Anlagen seien häufig dürftig oder defekt. Trotzdem müssten die Arbeiter für einen Schlafplatz nicht selten 250 Euro im Monat zahlen – auch wenn sie sich eine Matratze im Schichtbetrieb mit anderen teilten.

Anfangs hätten viele erst mal Schulden, weil sie für Transport nach Deutschland, Schutzkleidung oder Vermittlung Geld zahlen müssten. „Sie müssen das dann abarbeiten und bekommen über Monate nicht den Lohn, der ihnen zusteht“, sagt Kossen. Wenn er davon erzählt, verwendet er Worte wie „Schuldsklaverei“, aber sein Ton bleibt ruhig.

Der Bischof war nicht begeistert

Auch wenn die Arbeitsumstände kein Geheimnis sind, ist Kossens Öffentlichkeitsarbeit manchen ein Dorn im Auge. Früher, als er noch auf einer „repräsentativeren Stelle“ in der Kirchenhierarchie angestellt war, da hätte auch die Wirtschaft versucht, über seine Vorgesetzten Druck auf ihn auszuüben, sagt er.

Der Bischof war wenig begeistert. Seitdem er nicht mehr so wichtig ist, lässt man ihn laufen. Aber aus Kossens Sicht müssten sich die Kirchen viel deutlicher zugunsten der Arbeitsmigranten politisch positionieren. „Auch auf die Gefahr hin, dass man Kirchensteuerzahlern auf die Füße tritt.“

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Wenn Kossen manchmal in seinen Predigten von den Bedingungen spricht, unter denen Leiharbeiter oder Beschäftigte in Werkverträgen leiden, dann gebe es viele, die sein Engagement richtig fänden, sagt er. „Andere fragen, ob das in meinen persönlichen Kompetenzbereich fällt.“

Nach der Predigt kam ein ärgerlicher Unternehmer

Er hat auch den Fall erlebt, da sei nach der Predigt ein sehr ärgerlicher Unternehmer zu ihm gekommen. Dieser hätte in seiner Produktion im Baugewerbe auch viele Arbeiter von einem Personaldienstleister angestellt. „Der fühlte sich persönlich angegriffen“, sagt Kossen.

Dass mittlerweile über ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischbranche nachgedacht wird, begrüßt Kossen. Er glaubt aber, dass das nicht reicht. Erstens sei die Fleischindustrie nicht die einzige Branche, in der es so laufe.

Grundsätzliche Haltung

Im Versandhandel gebe es ähnliche Tendenzen. Zweitens gehe es aber auch um eine grundsätzliche Haltung. „Wie schauen wir diese Leute an: Als Billiglöhner, die froh sein sollen, dass sie bei uns überhaupt einen Job finden? Oder als Mitmenschen, denen wir die Möglichkeit geben sollten, die deutsche Sprache zu lernen?“ 

Es habe auch mit Rassismus zu tun, wenn man denke, die Arbeitsmigranten könnten froh sein, überhaupt einen Job zu haben.

Kossen glaubt, dass viele Menschen bislang vor den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie die Augen verschlossen, weil sie geahnt haben, dass sie sonst auch ihre Art von Konsum infrage stellen müssen. „Konsum, der auf dem Rücken von Natur, Mensch und Tierren ausgetragen wird und wo der Wert eines Produktes nicht im Kaufpreis abgebildet ist“, sagt Kossen.

Ob die Coronakrise auch diesen Bewusstseinwandel fördert, wird sich zeigen. Erst mal findet Kossen, dass der Staat menschenwürdige Wohnungen für die Arbeiter bauen müsste – so wie einst die Zechensiedlungen im Ruhrgebiet.

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