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Der frühere Bundespräsident will bis zuletzt um seine Ehre kämpfen.

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Wulff-Prozess könnte verkürzt werden: Der Freispruch zum Greifen nah

Die Bilanz des Vorsitzenden lässt keine Zweifel offen. Das Gericht würde den Fall Wulff am liebsten einstellen. Doch dem angeklagten Ex-Präsidenten genügt das nicht. Er will weiter für seinen Freispruch kämpfen.

Es wird wohl ein letztes Mal um Champagner gegangen sein und die Frage, wer was trank. Zugeschaltet ist im Landgericht Hannover die Kellnerin von damals, per Videokonferenz. Eine fröhliche blonde Frau, die erzählt, wie sie für den angekündigten „Super-VIP“ den Tisch aufhübschte. Dann das Übliche, essen, reden, Rechnung. Wie die Stimmung war? fragt man die Zeugin. „Gegenüber den anderen Tischen sehr gesittet.“ Gelächter im Saal. Der letzte heitere Moment an diesem Donnerstag im Prozess gegen Christian Wulff.

Über Wochen haben sich Gericht und Staatsanwaltschaft nicht in die Karten schauen lassen. Am Donnerstag, dem Tag der von Richter Frank Rosenow angekündigten Zwischenbilanz, kommt nun alles auf den Tisch – und es kommt zu der lange erwarteten Konfrontation mit den Anklägern, die bislang mit Zurückhaltung agierten.

Denn nach Rosenows „vorläufiger Bewertung“ wird der angeklagte frühere Bundespräsident voraussichtlich demnächst freizusprechen sein. Die Kammer sieht die Vorwürfe bisher als unbelegt an. Das Verfahren gegen den mitangeklagten Filmunternehmer David Groenewold wird, soweit es um dessen eidesstattliche Falschaussage geht, wohl abgetrennt und gegen Zahlung eines „eher symbolischen“ Geldbetrags eingestellt. Den Hauptvorwurf, er habe Wulff mit einer Kompletteinladung zu einem Oktoberfestbesuch 2008 für sein Geschäft gewogen machen wollen, erachtet die Kammer ebenfalls als nicht bestätigt.

Die Bilanz kommt nicht überraschend, und der für Wulff positive Verlauf hatte sich bereits angedeutet. Laut Strafprozessordnung darf das Gericht mit den Beteiligten den Verfahrensstand erörtern, wenn es damit den Prozess fördern kann. Für Angeklagte verheißt dies meist Gutes. Denn gäbe es Schlechtes zu verkünden, etwa dass statt Vorteilsannahme doch eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit in Betracht kommt, wäre das Gericht zu entsprechenden rechtlichen Hinweisen verpflichtet.

Rosenow macht jetzt noch einmal deutlich, um was es geht „und nur darum“: Den Besuch in einem Hotelrestaurant am Vorabend im Wert von 209 Euro, den Abend im Festzelt auf der Wiesn für insgesamt 3209 Euro, 400 Euro für die Teilübernahme der Hotelkosten und 110 Euro für den Babysitter. Im Gegenzug soll Wulff sich als Ministerpräsident von Niedersachsen beim damaligen Siemens-Chef Peter Löscher für ein Filmprojekt Groenewolds verwendet haben, hält ihm die Staatsanwaltschaft vor.

Mit der Vernehmung der Oktoberfest-Kellnerin am Donnerstag macht das Gericht einen Haken hinter den ersten großen Abschnitt des Beweisprogramms, die Frage, ob Wulff überhaupt eine Zuwendung im Sinne der Korruptionsvorschriften des Strafgesetzbuchs erhalten hat. In einem weiteren Teil des Verfahrens würde man möglicherweise dann zu der Frage kommen, ob es zwischen den beiden Angeklagten eine „Unrechtsvereinbarung“ gibt, ob der eine also bewusst den anderen kaufte und der andere sich bewusst kaufen ließ. So weit dürfte es nun aber kaum noch kommen. Die Rechnung des Gerichts: Wenn es keine beweisbare Zuwendung gab, kann es auch keine Unrechtsvereinbarung zwischen den beiden gegeben haben.

Das Gericht könnte auf eine „Gesamtschau“ der Beziehungen zwischen Wulff und Groenewold verzichten

Rosenow dröselt alles haarklein auseinander, und Wulff erscheint zunehmend beruhigt und sinkt tiefer in seinen Stuhl: An den ersten Restaurantabend im feinen Münchner „Bayerischen Hof“ konnten sich die Zeugen nicht erinnern, so wenig wie die Angeklagten. Wulff will sich auf sein Zimmer zurückgezogen, Frau Bettina dort das von der Reise erschöpfte Kind versorgt haben. Es habe die Kammer daher insgesamt „nicht überzeugt“, dass Wulff mit Gattin teilgenommen hat, zumal Groenewold an anderen Tagen mit weiteren Gästen dort war. Allerdings lassen die Richter hier – wie an mehreren Stellen – durchblicken, dass sie den Aussagen von Frau Bettina nicht trauen. Schließlich seien auch 110 Euro für den Babysitter der Wulffs veranschlagt gewesen, obwohl dieser Service im Hotel nur mit zehn Euro die Stunde berechnet würde – ein Indiz, dass das Kind eben doch an zwei Abenden betreut war, nicht nur an einem.

Im Wiesnbesuch erkennt die Kammer „keinen strafrechtlich relevanten Vorteil“, die Einladung erscheine vielmehr als „sozialadäquat“, trotz Champagners und einer hohen Summe auf der Rechnung. Wulff sei behandelt worden wie jeder andere auch. „Es hat nicht im Ansatz eine Sonderbehandlung gegeben“, sagt Rosenow.

Unter diesen Umständen könne sich die Kammer vorstellen, auf eine nähere „Gesamtschau“ auf die Beziehungen zwischen Wulff und Groenewold zu verzichten, wie es sonst nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nötig wäre, um mögliche Korruption aufzuklären. „Es ist nicht erkennbar, wie die Wertung der Kammer zu Fall gebracht werden könnte“, sagt Rosenow bestimmt. Zudem spreche für Wulff, dass dieser den Termin möglicherweise auch als Dienstreise hätte abrechnen können, vorausgesetzt, man bewerte die Unterredung mit dem damals ebenfalls eingeladenen Verleger Hubert Burda als „Dienstgespräch“. Burda hatte bei seiner Vernehmung gesagt, er habe mit Wulff einige Sätze zur Medienpolitik gewechselt, dann sei das Thema „durch“ gewesen.

Auch dass Wulff seinem Freund die angeblich spontan verauslagten Babysitterkosten in bar erstattet haben will, sei nach der bisherigen Beweisaufnahme nicht zu widerlegen, meint das Gericht. Rosenow rügt zwar klare „Entlastungstendenzen“ und eine „selektive Erinnerung“ in der Aussage Bettina Wulffs, immerhin habe sie aber sowohl bei der polizeilichen Vernehmung wie jetzt vor Gericht davon gesprochen, ihr Mann habe sich damals im Hotel über den teuren Babysitter mokiert. Dass Groenewold schnell mal für andere ungefragt das Portemonnaie zücke, sei auch glaubhaft, nicht zuletzt, weil er die Logiskosten für Wulffs Personenschutz übernommen hatte, ohne sich davon irgendeinen Vorteil erhoffen zu dürfen.

Ebenso stütze die Beweisaufnahme die Version der Angeklagten bei den Hotelkosten. Wulff habe nicht wissen müssen, dass Groenewold anteilig für ihn gezahlt hat. Er hätte angesichts des geringen Betrags auch „nicht stutzig werden müssen“, da ihm als Ministerpräsidenten oft sehr teure Zimmer zu einem kleinen Preis geradezu aufgedrängt worden seien. Im Beschluss, mit dem die Kammer das Verfahren eröffnete, war sie noch von anderen Voraussetzungen ausgegangen, räumte Richter Rosenow ein. Offenbar hatte man dem Angeklagten zunächst nicht glauben wollen, dass er bei einer Luxus-Suite zum Mini-Preis keine Fragen stellt.

Gleiches gilt in allen Punkten „spiegelverkehrt“ nun für den wegen Vorteilsgewährung angeklagten Groenewold, wie Rosenow sagt. Nur aus dem Vorwurf der Falschaussage will ihn die Kammer nicht entlassen, auch wenn er gegenüber der ursprünglich angeklagten Tat zusammengeschrumpft ist. Es geht um eidesstattliche Behauptungen zur Hotelkostenübernahme in einem Gerichtsverfahren.

Groenewolds Anwalt wirft Eimterbäumer ein „vorgezogenes Plädoyer“

Der Korruptionsprozess gegen Ex-Präsident Wulff könnte bald vorbei sein.
Der Korruptionsprozess gegen Ex-Präsident Wulff könnte bald vorbei sein.

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Für Wulff regt die Kammer ebenfalls eine Einstellung des Verfahrens an, aber die wird es kaum geben. „Wir werden unseren Mandanten beraten, für seinen Freispruch zu kämpfen“, sagt sein Verteidiger Bernd Müssig. Es geht Wulff längst ums Prinzip. Bei einer Einstellung bliebe der Schuldvorwurf ungeklärt. Wulff jedoch will Klarheit.

Eine Einstellung in diesem Stadium des Verfahrens bedürfte nicht nur der Bereitschaft des Angeklagten, sondern auch der Staatsanwaltschaft. Clemens Eimterbäumer ist, entgegen vielen Mutmaßungen, kein Prinzipienreiter, auch kein Politikerjäger. In Hannoveraner Justizkreisen gilt der Beamte eher als einer, mit dem man durchaus dealen kann. Er hatte ja auch vor der Hauptverhandlung eine Einstellung gegen Geldauflage vorgeschlagen.

Doch hat Wulff diese Tür damals zugeschlagen, und Eimterbäumer will sie jetzt nicht mehr öffnen. Seine Rechnung, das wird deutlich, ist eine andere als die des Gerichts: Er geht von einer Beweisbarkeit der Unrechtsvereinbarung aus und will vor diesem Hintergrund die Aussagen der Angeklagten gewürdigt wissen.

„Die Beweisaufnahme überzeugt uns nur teilweise“, beginnt er moderat, um dann zum Gegenschlag auszuholen. Die Erinnerungen der Zeugen seien, soweit überhaupt vorhanden, vage. Die Ergebnisse hätten ihn bisher „nicht überrascht“, er habe nie erwartet, Einzelheiten der Logiskostenübernahme mit den Hotelangestellten als Zeugen rekonstruieren zu können. Wer schließlich was im Festzelt verköstigt habe, könne so lange im Nachhinein ebenfalls nicht mehr zugeordnet werden. „Radieschen, Brathendl und Bierkrüge habe ich nie für erheblich gehalten.“ Ihm geht es um die Absichten der Angeklagten „im Zweipersonenverhältnis“. „Hier kann der Wahrheitsgehalt nicht durch Dritte geklärt werden“, ist Eimterbäumer überzeugt.

Insbesondere die Aussagen Groenewolds zu den Motiven seiner Zahlung der Hotelkosten seien widersprüchlich, manches sei „schlicht falsch“. Die Aussagen dürften daher nicht einfach als entlastend zugrunde gelegt werden. „Detailarme Einlassungen“ nennt er die Angaben der Angeklagten, „minderwertige Erkenntnismittel“. Der Filmunternehmer habe keinerlei Motiv gehabt, um Wulff heimlich Hotelkosten zu zahlen, „es ist doch der Regelfall, dass ein Beschenkter vom Geschenk erfahren soll“. Die „abgestimmte Kostenteilung“ habe Groenewold später auf Rechnungen und Belegen „gezielt verschleiert“.

Die Töne im Gerichtssaal werden immer schärfer. Groenewolds Anwalt wirft Eimterbäumer ein „vorgezogenes Plädoyer“ vor, um sich dann aber im Hinblick auf die Falschaussage verhandlungsbereit zu zeigen. Wulffs Anwalt Bernd Müssig wird laut. „Es ist ehrabschneidend, Herrn Wulff und Herrn Groenewold der Lüge zu bezichtigen.“

Ein Freispruch scheint für Wulff nun zum Greifen nah. Es ist Sache der Kammer festzulegen, wen sie als Zeugen hören will. Sieht sie Aussagen als verzichtbar an, kann sie verzichten. Eimterbäumer muss dann sein Glück in der Revision versuchen. Die Kammer will Anfang Januar noch die Ermittlungsbeamten laden, die mit dem Fall bei der Polizei vorrangig befasst waren. Dann, so ist abzusehen, wird um die Plädoyers gebeten. Es sei denn, Staatsanwaltschaft und Verteidigung wären überraschend doch noch mit einer Einstellung einverstanden.

Auch Richter ändern ihre Meinung. Als das Gericht die Anklage zugelassen hatte, musste es laut Gesetz davon ausgehen, dass Wulff wahrscheinlich verurteilt wird. Der Maßstab für ein Urteil nach erfolgter Beweisaufnahme ist jedoch ein anderer. Es darf dann keinen vernünftigen Zweifel mehr an der Schuld des Angeklagten geben.

Rosenow scheint nicht zu zweifeln, sondern sicher zu sein. Sicher, dass er Wulff nicht verurteilen kann. Er gilt als pragmatischer Richter, als einer mit Blick für die Möglichkeiten, auch der eigenen. Er ist Wulffs Chance. Und wie es aussieht, kann Wulff sie nutzen.

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