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Wladimir Putin – ein machtbewusster Nationalist wie Slobodan Milosevic?

© AFP

Wolfgang Schäuble und Heinrich August Winkler im Diskurs: Ein Orden für Putin - oder doch nicht?

Der eine, Wolfgang Schäuble, hält es für möglich, dass der russische Präsident mal den Karls-Preis bekommt, der andere, Heinrich August Winkler, sieht Putin in der Tradition russischer Großmachtinteressen. Notizen von einer Buchpräsentation.

Von Hans Monath

Kann man Wladimir Putins nationalistische Strategie mit der von Slobodan Milosevic vergleichen und den Kreml-Chef zugleich für eine internationale Auszeichnung, nämlich den Karls-Preis, empfehlen? In einer bemerkenswerten Veranstaltung am Mittwochabend in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt sind genau diese beiden Gedanken ausgebreitet worden. Dort debattierte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit dem Historiker Heinrich August Winkler. Anlass war das Erscheinen des dritten Bandes von Winklers „Geschichte des Westens“.

„Vom Kalten Krieg zum Mauerfall“ heißt dieser Band und behandelt damit eine Zeit, in der der heute 75-jährige Professor handelnde Politiker kannte und der vier Jahre jüngere Minister selbst Politik gestaltete. In den viereinhalb Jahrzehnten stand die Welt „im Zeichen der Bipolarität zwischen Washington und Moskau“ (Winkler). Die Sowjetunion sei aber wegen ihrer Ideologie für den Westen berechenbarer gewesen, als es Russland heute in der Ukraine-Krise sei.

In der aggressiven Territorialpolitik Putins macht der Autor eine „Kontinuität russischer Großmachtinteressen“ aus. Dass der Präsident auf Nationalismus setzt, hält Winkler für den Versuch, das ökonomische Zurückbleiben gegenüber dem Westen zu kompensieren. „Eine ziemlich gefährliche Entwicklung“, meinte er und zog einen Vergleich: „Nationalismus als Nachfolge einer gescheiterten kommunistischen Integrationsideologie, das hat es vorher schon in Jugoslawien gegeben, genau so hat Milosevic auf den Zusammenbruch seines kommunistischen Systems reagiert.“

Schäuble nahm den Vergleich nicht auf. Als Mitglied der Bundesregierung müsse er seine „Worte wägen“, sagte er und lobte, „bei allen Schwierigkeiten“ sei es gelungen, Europa und den Westen geschlossen zu halten. Dass der Kremlchef mit seinem Handeln die Einigkeit der EU befördert habe, müsse honoriert werden, meinte der Finanzminister mit einem Augenzwinkern: „Vielleicht kriegt Putin in einigen Jahren den Karls-Preis für die europäische Einigung.“

Keinen Widerspruch von Schäuble provozierte Winkler auch, als er mit der häufig kolportierten Behauptung ins Gericht ging, im Vorfeld der deutschen Einigung hätten die USA oder Deutschland Russland versprochen, in deren ehemaligem Machtbereich keine Soldaten zu stationieren. Zwar habe US-Außenminister James Baker im Februar 1990 in Moskau von einem Sonderstatus der DDR gesprochen, was auslegbar gewesen sei. Er sei aber von Präsident George Bush sofort zur Ordnung gerufen worden. So erging es laut Schäuble auch Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der ähnliche Gedanken in Umlauf brachte: „Helmut Kohl hat gesagt, das kommt nicht infrage." Winklers Urteil: „Die Legende, der Westen oder die Nato hätten ein solches Versprechen gegeben, stimmt nicht.“

Zwar erscheint die Ära des Kalten Krieges im Rückblick zumindest in Europa als vergleichsweise stabil. Doch ungefährlich war die gegenseitige Androhung atomarer Vernichtung keineswegs. „Mehrfach gab es Situationen, wo man das Schlimmste erwarten musste“, betonte Winkler. Die Nato sei aber nie in die Lage gekommen, ihre Beistandspflicht beweisen zu müssen. „Welch ein Glück für die Menschheit, dass Artikel 5 nicht auf die Probe gestellt werden musste“, meinte der Historiker und mahnte, an der Gültigkeit dieses Versprechens dürfe man „auch heute keinen Zweifel lassen“.

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