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Ein Obdachloser schläft in einer Unterführung in Stuttgart.

© dpa/Sebastian Gollnow

Wohnungslosigkeit in Deutschland: Zahl der Wohnungslosen steigt rasant

Rund 860.000 Menschen in Deutschland hatten 2016 keine Wohnung. Ein Grund dafür war die Zuwanderung. Doch die Ursachen des Problems sind vielfältig.

In Deutschland sind im vergangenen Jahr rund 420.000 Menschen ohne Wohnung gewesen. Wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) am Dienstag in Berlin mitteilte, kommen noch rund 440.000 wohnungslose Flüchtlinge hinzu, so dass insgesamt von einer Zahl von 860.000 Menschen ohne Wohnung auszugehen sei. Dies entspreche einem Anstieg um rund 150 Prozent seit 2014.

Bis 2018 prognostiziert die Organisation einen weiteren Anstieg auf dann 1,2 Millionen wohnungslose Menschen. Auszugehen sei von einem Zuwachs um 350.000 oder 40 Prozent im Vergleich zu 2016.

Seit 2016 bezieht die Wohnungslosenhilfe in ihre Schätzungen auch die Zahl der wohnungslosen anerkannten Flüchtlinge ein. Diese Gruppe, die im Regelfall weiterhin in den Gemeinschaftsunterkünften geduldet werde, stelle die Hälfte aller Wohnungslosen in Deutschland. Die BAG begründet die Berücksichtigung von Flüchtlingen in ihrer Zählung damit, dass diese sowohl Nachfragende in den Behelfsunterkünften als auch auf dem Wohnungsmarkt seien.

Kritik an Wohnungspolitik

"Die Zuwanderung hat die Gesamtsituation dramatisch verschärft, ist aber keinesfalls alleinige Ursache der neuen Wohnungsnot", erklärte BAG-Geschäftsführer Thomas Specht. Die wesentliche Ursachen für Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit lägen vielmehr in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland - in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung.

So sei das Angebot an bezahlbarem Wohnraum unzureichend, der Sozialwohnungsbestand schrumpfe ständig. Seit 1990 sank der Bestand an Sozialwohnungen demnach um rund 60 Prozent auf 1,2 Millionen in 2016. Zusätzlich hätten Kommunen, Bundesländer und der Bund eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft, erklärte Specht. "Damit haben sie Reserven bezahlbaren Wohnraums aus der Hand gegeben."

Darüber hinaus fehlten mindestens elf Millionen Kleinwohnungen. Der Wohnungsmangel bei den Ein- bis Zweizimmerwohnungen habe zu einem extremen Anziehen der Mietpreise vor allem in den Ballungsgebieten geführt. Den 16,8 Millionen Einpersonenhaushalten stand demnach im vergangenen Jahr nur ein Angebot von 5,2 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber.

Obdachlosigkeit vor allem in Metropolen

Von den 420.000 Wohnungslosen - ohne Flüchtlinge - lebten 2016 demnach rund 52.000 auf der Straße. 2014 waren dies 39.000. Etwa 290.000 der Wohnungslosen sind alleinstehend, 130.000 leben mit Partnern oder Kindern zusammen. Die BAG schätzt die Zahl der betroffenen Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf acht Prozent (32.000).

Etwa zwölf Prozent oder 50.000 der Wohnungslosen sind EU-Bürger. Viele leben ohne jede Unterkunft auf der Straße, vor allem in den Metropolen. Mit finanzieller Unterstützung des Bundes müssten die Kommunen diese Betroffenen menschenwürdig unterbringen und auch die medizinische Versorgung absichern, forderte die BAG. Die Wohnungslosenhilfe dürfe mit diesen Aufgaben nicht allein gelassen werden.

Mehr Verantwortung und mehr Geld vom Bund

Der Bund und die Kommunen müssten deutlich mehr Verantwortung in der Wohnungspolitik übernehmen, forderte Werena Rosenke, Vizegeschäftsführerin der BAG. Dazu gehörten auch Quoten für die Vermietung von geförderten Wohnungen an wohnungslose Menschen und die "gezielte Akquirierung von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft". Zudem wäre ein Wohnungsgipfel sowie ein nationaler Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungsnot notwendig. Das Geld dafür könnte aus den wachsenden Staatseinnahmen entnommen werden, meint die Vorsitzende der BAG, Karin Kühn, und appelliert in Hinblick auf die Sondierungsgespräche an die Union: "Es wäre ein gutes Zeichen, wenn sich die Bundeskanzlerin dafür stark machte."

Eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik fehlt

Das die Bundesregierung bei der Wohnungspolitik nach wie vor die Länder in der Pflicht sieht und sich weigert eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik einzuführen, die Umfang und Entwicklung der Räumungsklagen und Wohnungslosigkeit abbilden soll, ist für Thomas Specht angesichts der steigenden Wohnungsnot nicht nachvollziehbar. Auch die Behauptung der Bundesregierung, die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik sei kaum realisierbar, möchte Specht so nicht stehen lassen: "Da rund 80 % der Räumungsbeklagten wegen Mietrückständen geräumt werden, haben wir auch bei den bedrohten Wohnverhältnissen eine sehr gute Erfassung."

Die seit dem 1.11.2011 erneuerte landesweite Wohnungsnotfallstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen zeigt zusätzlich, dass auch eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik möglich ist. Bislang ist Nordrhein-Westfalen allerdings das einzige Bundesland, wo diese Statistik eingeführt wurde. (AFP)

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