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Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang?

© Maurizio Gambarini/dpa

Wohnen, Bildung, Digitalisierung, Flüchtlinge: Was bedeutet eine große Koalition für Berlin?

Union und SPD planen eine neue Bundesregierung. Was bedeuten ihre Vorhaben für die Hauptstadt und die Berliner? Ein Überblick.

Bauen, Mieten, Wohnen

Verhärtete Fronten gab es im Streit um Wohnungsbau und Mieterschutz noch am Freitag. Nun liegt ein Kompromiss mit konkreten Maßnahmen für beide Wählerschaften vor: für die eher SPD-nahe Mieterschaft ebenso wie für die eher Eigentum bildende CDU-Klientel.

Baukindergeld und KfW- Bürgschaft: Die CDU hatte es versprochen: 1200 Euro gibt es je Kind zehn Jahre lang pro Jahr für Haushalte, die ein Haus bauen oder kaufen, um es selbst zu nutzen. Voraussetzung ist ein Haushaltseinkommen von weniger als 75.000 Euro im Jahr plus 15.000 Euro je Kind. Dazu kommt als weitere Hilfe zur Eigentumsbildung eine Bürgschaft der bundeseigenen KFW-Bank fürs Eigenkapital. Die Wirkung hängt vom Senat ab: ob er mit Bauland und Befreiung von der Grunderwerbsteuer hilft.

Grunderwerbsteuer: Damit durchschnittliche Verdiener beim Erwerb von Wohneigentum nicht schon an der Steuer für den Grundstückskauf scheitern, wird der Bund die Länder ermächtigen, sie beim Erwerb von selbst genutzten Immobilien zu erlassen. Ob die Länder davon Gebrauch machen und damit auf Einnahmen verzichten, bleibt abzuwarten. Die Wirkungen für Berlin wäre groß, denn die Grunderwerbsteuer beträgt hier sechs Prozent des Kaufpreises – und vielen junge Familien fehlt es an Baugeld.

Steuervorteile: Die „Sonderabschreibung“, die nach der Wiedervereinigung den Neubau im Osten ankurbelte, kehrt zurück. Fünf Prozent der Baukosten können Investoren beim Bau günstiger Mietwohnungen jährlich als „Sonder-afa“ abschreiben, vier Jahre lang. Die Sonderabschreibung kommt zur linearen Abschreibung von zwei Prozent noch hinzu. Das soll günstige Mieten etwa für Krankenschwestern oder Polizisten schaffen, die kein Anrecht auf eine Sozialwohnung haben.

Sozialer Wohnungsbau: Eigentlich sollte sich der Bund nach dem Förderalismusvertrag aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus zurückziehen. Nun zahlt er weiter an die Länder – bis 2021 mindestens zwei Milliarden Euro. Für Berlin ist das gut, weil der Senat bei neuen Siedlungsprojekten bis zu 30 Prozent Sozialbauten vorschreibt und jeder zweite Berliner so wenig verdient, dass er Anspruch auf eine Sozialwohnung hätte.

Kappung der Modernisierungsumlage: Nur noch acht statt elf Prozent der Modernisierungskosten dürfen Eigentümer in Ballungsgebieten auf die Mieten umlegen – und maximal drei Euro je Quadratmeter. Nach fünf Jahren steigt die Umlage aber wieder auf elf Prozent. Für Berliner ist das wichtig, weil Eigentümer Altmieter gerne „herausmodernisieren“.

Mietpreisbremse: Fordern Hauseigentümer mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Miete, müssen sie die Höhe der Altmiete offen legen, auf die sie sich dabei berufen. In Berlin sind die Mieten aber ohnehin so hoch, dass das wenig Folgen haben dürfte.

Ein „gutes rundes Paket“ nennt der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak die Einigung. Auch Swen Schulz von der SPD nennt die Einigung einen „besseren Teil des Koalitionsvertrages“. Kritik kommt vom Berliner Mieterverein: Zur Sicherung bestehender Mietverhältnisse tue die große Koalition wenig. Daran ändere auch nichts, den Mietspiegel nur alle drei Jahre zu veröffentlichen. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW lobt die „Stärkung der Wohnraumförderung“, aber die Kappung der Modernisierungsumlage behindere Investitionen. (ball)

Bildung und Forschung

Berlins Hochschulen, Schulen und Kitas haben viel zu erwarten, wenn es zur Bildung der großen Koalition kommt, Denn von den elf Milliarden Euro, die zusätzlich in die ganze „Bildungskette“ fließen sollen, kämen in Berlin grob geschätzt eine halbe Milliarde Euro an. Diese Summe ergibt sich aus dem Königsteiner Schlüssel, nach dem Gelder auf die Länder verteilt werden.

Ganztag: Rund 100 Millionen Euro könnte Berlin für den Ausbau der Ganztagsschule erwarten. Für den Kitaausbau kämen 175 Millionen dazu.

Digitalisierung: Allein aus dem Digitalpakt würden Berlins Schulen rund 250 Millionen Euro erhalten, wovon innerhalb dieser Legislatur allerdings erstmal nur 178 Millionen fließen sollen – pro Jahr und Schule wären das immerhin rund 63500 Euro.

Hochschulen: Der Bund will das Bafög erhöhen und dauerhaft in die Finanzierung von Studienplätzen einsteigen. So kann der im elften Jahr laufende „Hochschulpakt 2020“ fortgesetzt werden, aus dem Berlins Hochschulen 13 Prozent ihrer Grundmittel bekommen. Weil Berlins Hochschulen forschungsstark sind, könnten sie auch besonders davon profitieren, wenn die Nebenkostenpauschale für DFG-Projekte von 22 auf 30 Prozent angehoben wird – für die Groko ist das allerdings nur ein mittelfristiges Ziel. Verdoppelt wird die Forschungsförderung für Fachhochschulen.

FU-Präsident Peter-André Alt nennt die Studienplatzfinanzierung „ein gutes Signal“ und drängt auf eine Erhöhung der DFG-Pauschale. Klaus Semlinger, Präsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft, sieht den Bedarf an Forschungsförderung „noch deutlich größer“. (akü, sve)

Digitalisierung

Die Digitalisierung soll vorangetrieben werden, versprechen die Koalitions-Verhandler – wie auch zur vergangenen Regierungsbildung 2013.

Internet: Breitbandanschlüsse sollen endlich konsequent mit Glasfasertechnik ausgebaut werden. Züge und Bahnhöfe sollen offenes Wlan erhalten, genauso Behörden, Ministerien und andere Bundeseinrichtungen. Es soll ein „Recht auf schnelles Internet“ geben – aber erst 2025.

Smarter Staat: Viele Behördengänge sollen auch online erledigt werden können. Bis 2022 soll dazu ein großer Teil der wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert sein. Auch im Gesundheitswesen sollen vom Impfpass über den Mutterpass bis zum Zahnarztbonusheft viele Dokumente künftig auch in digitaler Form zur Verfügung stehen. Das könnte manche Suche ersparen, zudem soll man dadurch auch bequem an Termine erinnert werden können.

Startups: Berlin dürfte als deutsche Startup-Hauptstadt besonders von der Förderung der Gründerszene profitieren. Dafür soll ein neuer Digitalfonds entstehen, in den vor allem privates Kapital und Geld von institutionellen Anlegern wie Versicherungsfonds fließt. Zudem soll die Computerspielbranche stärker gefördert werden, auch das könnten vielen Berliner Entwicklern helfen.

„Vieles liest sich ganz gut“, sagt Florian Nöll, Chef des Bundesverbandes Deutsche Start-ups. „Das muss dann aber auch alles so umgesetzt werden und nicht erst in vier Jahren“. Schließlich hatte die Große Koalition im vergangenen Koalitionsvertrag schon einmal versprochen, die 100 wichtigsten Verwaltungsleistungen innerhalb von vier Jahren bundesweit einheitlich online anzubieten, genauso wie den flächendeckenden Breitbandausbau. (ov)

Flüchtlingshilfe

„Die Koalition spricht sich gegen die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte aus“ heißt es im Berliner rot-rot-grünen Koalitionsvertrag vom Dezember 2016, wenige Monate, nachdem das mit dem Asylpaket II beschlossen worden war. Berlin wollte sogar „die landesrechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, ihn zu erleichtern. Und nun?

Familienzusammenführung: Wie der Senat mit dem Groko-Beschluss umgehen will, den Familiennachzug erstmal weiter auszusetzen und ihn ab August mit höchstens 1000 Angehörigen pro Monat wiederaufzunehmen, ist unklar: Solange es noch keinen Koalitionsvertrag gebe, wolle man sich nicht zu Teilergebnissen äußern, erklärte eine Sprecherin der Innenverwaltung. Für Berlins Flüchtlingshilfen bedeutet er jetzt schon den Verlust von Geld, viel Arbeit – und wohl auch Vertrauen derer, denen man helfen will.

„Wir waren für Ende März in den Startlöchern“, sagt Diana Henniges von „Moabit hilft“. Wie viele Initiativen habe man für Betroffene Visa beantragt, Kostenübernahme-Verpflichtungen organisiert – „ein Riesenarbeitsaufwand“, sagt sie. „Jetzt beginnen wir die Leute abzutelefonieren.“ Dass die Helfer die Überbringer der schlechten Nachrichten seien, produziere auch Enttäuschung sie selbst und gefährde Kontakte zu den Geflüchteten. Die acht mehrheitlich kurdischen Familien, die Henniges’ Mitstreiter betreuen, habe der Groko-Beschluss gerade nach den türkischen Angriffen im Kurdengebiet in „panische Angst“ versetzt.

Auch vom Berliner Flüchtlingsrat heißt es: „Uns erreichen regelmäßig Hilferufe von in Berlin lebenden Syrerinnen und Syrern, die verzweifelt versuchen, ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen und die an der jahrelangen Trennung von ihren Angehörigen und der Sorge um diese förmlich zerbrechen.“ (ade)

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