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Joe Biden am Donnerstag in Tampa, Florida.

© AFP

Wo die US-Wahl entschieden wird: Alle Augen auf den Leithammel

Wer Florida gewinnt, wird Präsident. Die Regel gilt seit 14 Wahlen mit einer Ausnahme. Auch 2020 schauen alle schon zu Beginn der Wahlnacht dorthin.

Und immer wieder Florida. Der „Sunshine State“ ist der „Bellwether State“: der Leithammel, der zeigt, wo es lang geht. Wer Florida gewinnt, gewinnt das Weiße Haus. So ist es seit Jahrzehnten, in den letzten 14 Wahlen gab es nur eine einzige Ausnahme: Bill Clinton wurde 1992 Präsident, obwohl er in Florida George H. W. Bush unterlegen war.

In der umstritten Wahl 2000 zwischen George W. Bush und Al Gore war Florida der Zankapfel. Nach wochenlangem Rechtsstreit um die Auszählung „schwangerer“ Stimmzettel wurde Bush dort zum Präsidenten gekürt. "Schwangere Stimmzettel", der Begriff bezieht sich auf die Wahlmaschinen mit Lochstanzsystem, die nicht immer ein verlässliches Loch stanzten. Oft stachen sie sie es nur an, was zur Frage führt, ob dieser Stimmzettel gültig sei oder nicht. Vier Jahre später, 2004, gewann Bush Florida unstrittig.

Barack Obama siegte in Florida 2008 und 2012. 2016 war Trump der Sieger in Florida und landesweit. Und 2020?

Für Trump geht es in Florida um alles.

Die Umfragen geben keine klare Antwort. Es gibt weniger Erhebungen für den Einzelstaat Florida als national. Im Schnitt der Florida-Umfragen lag Joe Biden über die vergangenen Wochen hauchdünn vorn mit Margen knapp über einem Prozent, also im statistischen Fehlerbereich. Und für einen Tag, den 27. Oktober, ging Trump hauchdünn in Führung.

Beide kehren im Wahlkampf immer wieder nach Florida zurück. Am Donnerstag warben Biden wie Trump in Tampa um Stimmen.

Trump-Anhänger bei einer Rallye, ebenfalls am Donnerstag in Tampa..
Trump-Anhänger bei einer Rallye, ebenfalls am Donnerstag in Tampa..

© AFP

Was also hängt 2020 vom umkämpften Swing States Florida ab? Was von seinen 29 Wahlmännerstimmen für den Ausgang des Rennens um das Weiße Haus? Für Trump geht es in Florida um alles, für Biden nicht. Für Trump ist es kaum möglich, auf die 270 Wahlmännerstimmen zu kommen, die man für den Einzug ins Weiße Haus braucht, wenn ihm Florida fehlt.

Der „Sunshine State“ ist ein Schwergewicht. Nur zwei Staaten haben mehr Wahlmänner, das bevölkerungsreiche Kalifornien (55) und Texas (38); einer hat gleich viel, New York (29). Alle anderen haben weniger.

Biden kann Floridas 29 Wahlmänner anderswo kompensieren

Biden hingegen kann diese 29 Stimmen anderswo kompensieren, da er eine viel bessere Ausgangsposition hat. Mit den Staaten, die verlässlich oder ziemlich sicher für die Demokraten stimmen, kommt Biden derzeit auf 216 Wahlmänner. Trump mit den sicheren oder ziemlich sicheren republikanischen Staaten auf 125 Wahlmänner. Zwölf Staaten mit zusammen 197 Wahlmännern sind in diesem Modell auf Grund der aktuellen Umfragelage als „Toss Up“ gelistet, als unklar.

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Rechnet man die Staaten, in denen einer von beiden mit Margen über vier Prozentpunkten führt, hinzu – das sind vier Staaten, die dann als demokratisch gezählt würden: Michigan, Minnesota, Nevada, Wisconsin -, steht es nach Wahlmännern 258 für Biden zu immer noch 125 für Trump. Wenn es so kommt, fehlen Biden noch zwölf Wahlmänner zum Sieg, Trump 145. Mit einem Sieg in Pennsylvania wäre Biden dann Präsident. Verliert Biden Pennsylvania, würde auch ein Sieg in Arizona kombiniert mit einer einzelnen Wahlmännerstimme aus Maine oder Nebraska reichen; die beiden Staaten haben geteilte Bezirke für die Wahlmännerzuteilung. Es gäbe noch weitere Wege zum Sieg für Biden.

Gedankenexperiment: Wenn die Demoskopen falsch liegen

Trump hingegen muss in diesem Modell nahezu alle „Toss Up“-Staaten gewinnen, obwohl Biden in vielen laut Umfragen knapp führt. Deshalb kann Trump auf Florida nicht verzichten. Erst wenn man - um des Gedankenspiels willen – annähme, dass überall in den USA die Umfragen um fünf Prozentpunkte zu Ungunsten Trumps falsch liegen, sähe die Wahlmännerkarte auch ohne Florida freundlicher für ihn aus.

Das macht Florida machttechnisch so bedeutsam. Interessant ist der Staat aber auch auf der Zeitschiene in der Wahlnacht. Er liegt an der Ostküste, also in der frühesten Zeitzone der USA. Die Wahllokale schließen um 19 Uhr. In Deutschland ist es dann 1 Uhr morgens am Mittwoch. Erste Projektionen und Hochrechnungen könnte es bereits geben, bevor in anderen „Battleground States“ die Wahllokale schließen. Sie würden erste Hinweise geben, für wen dies eine erfreuliche Nacht wird: für Biden oder für Trump?

Der Sunshine State verrät früh die ersten Trends in der Wahlnacht

Florida hat ein erprobtes System für „Early Voting“ und für Briefwahl – sowie für ihre Auszählung. Soweit die Wählerinnen und Wähler in Florida bereits abgestimmt haben, sind die Ergebnisse in den Auszählungssystemen hinterlegt und können rasch abgerufen werden. Andere Swing States wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin beginnen erst am Wahltag mit der Auszählung und akzeptieren zum Teil auch noch Briefwahlzettel, die Tage später eintreffen.

Florida ist freilich kein homogener Staat bei Wahlen. Es weist einige Besonderheiten auf. Vor allem hat der „Sunshine State“ den höchsten Anteil an Pensionären und Rentnern unter den Wählern. Auch der Anteil an Latinos und Afroamerikanern ist hoch.

In den US-Nachrichtenprogrammen – einige davon kann man auch in Deutschland empfangen - werden sich die Experten in der Nacht zu Mittwoch auf Wahlkreise konzentrieren, die nach aller Erfahrung relativ früh einen Trend in der einen oder der anderen Richtung erkennen lassen.

Wie stimmen die Senioren, wie Minderheiten wie die Latinos?

Zum Beispiel Pinellas County mit der Stadt St. Petersburg an der Westküste Floridas nahe Tampa. Ein sehr gemischter Wahlbezirk. Wenn es hier früh einen Trend für die Demokraten geben sollte, gut für Biden.

Der Nachbarbezirk Sumter County ist gewöhnlich ein guter Ort für die Republikaner, auch wegen der hohen Zahl von Senioren. Je nachdem, ob Trump dort besser oder schlechter abschneidet als 2016, ergeben sich Hinweise, in welche Richtung Florida tendiert.

Ein weiterer Realitätstest in den ersten Stunden der Auszählung folgt aus der Kombination der ersten Eindrücke aus Florida mit den ersten Ergebnissen aus North Carolina. Dort schließen die Wahllokale um 19.30 Uhr Ortszeit (1.30 Uhr MEZ). Und dort liegt Biden ebenfalls knapp in den Umfragen vorn, obwohl dies traditionell ein republikanischer Staat ist. Je nachdem, ob die frühen Hochrechnungen die Demoskopen bestätigen oder widerlegen, erhalten Beobachter eine Ahnung, wie sich die Nacht landesweit entwickeln könnte. Mit Florida, immer wieder Florida, als Ausgangspunkt.

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