zum Hauptinhalt
Die Polizei solle nicht unter „Generalverdacht“ gestellt werden, fordern Kritiker des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes.

© dpa/Christoph Soeder

Wo bleibt da die Kritikfähigkeit?: Der Vorwurf „Generalverdacht“ ist nervig und führt zu nichts

Rassistische Polizisten, kriminelle Migranten, laute Biker: Wie soll man Fehlverhalten thematisieren, wenn man nicht generalisieren darf? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

Wenn irgendwo Kritik an einem mehrfach beobachteten Fehlverhalten oder einer sonstigen Auffälligkeit geäußert wird, ist ein beliebter Move der Angesprochenen und ihrer Verteidiger, einen „Generalverdacht“ festzustellen, der sich bitteschön von allein verbiete.

Das ist nervig und führt zu nichts. Die Kritik an beobachtetem Fehlverhalten wird so nicht zum Verstummen gebracht, sondern eher bestätigt, Motto: Getroffene Hunde bellen. Und das beobachtete Fehlverhalten hört auch nicht auf. Diejenigen, die meinen, etwas beobachtet zu haben, werden durch den Gegenvorwurf „Generalverdacht“ delegitimiert, ihre Kritik und ihre Beobachtungen nicht ernst genommen.

Damit gehen Mal um Mal Gelegenheiten verloren, ein mögliches Problem festzustellen. Und wo bleibt da die Kritikfähigkeit? Obschon eine Tugend, scheint sie in vielen Fällen deutlich unterausgeprägt zu sein.

Das war so, als nach der Kölner Silvesternacht 2015/16, in der es zu massenhaften Übergriffen von mehrheitlich aus Nordafrika stammenden Männern auf Frauen kam, die Herkunftsfrage zum viel heißeren Thema wurde als die Übergriffe selbst, weil man Nordafrikaner nicht unter Generalverdacht stellen solle.

Und das ist ebenso, wenn die Frage nach möglichen rassistischen Tendenzen bei der Polizei mit dem K.o.-Argument beendet werden soll, das sei ein unerträglicher Generalverdacht. Zuletzt wähnten sich sogar Biker, denen wegen des nervigen Lärms von Motorrädern Fahrverbote drohen, einem Generalverdacht ausgesetzt, weil ja gar nicht alle Maschinen laut wären. Besonders das letzte Beispiel dürfte das hohe Ignoranzrisiko des Generalverdachtsarguments verdeutlichen.

Laut? Wir? Das ist doch ein unzulässiger Generalverdacht! Bikerdemo gegen drohende Fahrverbote am 12. Juli in Leipzig.
Laut? Wir? Das ist doch ein unzulässiger Generalverdacht! Bikerdemo gegen drohende Fahrverbote am 12. Juli in Leipzig.

© Jens Meyer/AP/dpa

Auf diesem schmalen Grat tänzelt auch der Berliner SPD-Politiker Sven Kohlmeier. Er hat sich gegen das Anliegen von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) ausgesprochen, der dafür sorgen möchte, dass in den oft rein männlichen juristischen Prüfungskommissionen künftig auch Frauen sitzen.

[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]

Der Senator nahm als Anlass dafür Erkenntnisse aus NRW, denen zufolge Frauen von männlichen Prüfern schlechter benotet werden. Kohlmeier sah darin aber postwendend (wenn auch nicht ausdrücklich) den Generalverdacht, männliche Prüfer würden Frauen benachteiligen. Püh.

Warum das Gehörte nicht erst mal ernst nehmen? Es könnte etwas dran sein. Und noch nicht in Frage gestellt ist wohl die Erkenntnis, dass man Probleme erst erkennen muss, bevor man über Lösungen nachdenken kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false