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Ein Containerschiff im Hafen von Piräus. "Wer für die Zukunft gewappnet sein will, darf Wachstum nicht verdammen", sagt FDP-Chef Christian Lindner.

© Panos Tomadakis/XinHua/dpa

Wirtschaft: Wer Wachstum beschränken will, verübt einen Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft

Wirtschaftswachstum und Klimaschutz schließen sich nicht aus - vielmehr wappnet uns Wachstum für die Zukunft. Ein Gastbeitrag.

Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der FDP und deren Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag.

Es ist schick geworden, Wirtschaftswachstum zu verteufeln. Die „Extinction Rebellion“-Bewegung ist Plattform für „Degrowth“-Aktivisten, die eine „Postwachstumsgesellschaft“ verlangen. 200 Wissenschaftler forderten vor einem Jahr, die EU solle Wachstum nicht mehr als politisches Ziel verfolgen. Und in ihrem Leitantrag für den kommenden Parteitag erläutert die Grünen-Spitze, warum sie das Bruttoinlandsprodukt als Gradmesser für wirtschaftliche Leistung abschaffen will - es sei „blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden“ der Wirtschaft, heißt es.

In einem Land wie Deutschland, dem verzichtsethische Debatten nicht fremd sind, stoßen solche Forderungen auf fruchtbaren Boden. Sie wirken aber nur auf den ersten Blick fortschrittlich. Auch weil wir uns in Richtung einer strukturellen Wirtschaftskrise bewegen, sind sie brandgefährlich. Bestrebungen, Wachstum politisch zu beschränken, unterspülen die wirtschaftliche Substanz. Sie sind ein Anschlag auf unsere bewährte soziale Marktwirtschaft.

Die Argumentation krankt schon daran, dass nach menschlichem Ermessen der größte Energieträger unendlich ist: die Sonne. Wir müssen es stattdessen darauf anlegen, Wachstum und CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Nur so werden wir den Klimawandel effizient bekämpfen und gleichzeitig unseren Wohlstand sichern können.

China oder Indien werden sich nicht selbst beschränken können

Wer Wachstum diskreditiert, der argumentiert von oben herab. Länder wie China oder Indien werden den Weg der Selbstbeschränkung nicht gehen können. Und auch in unserer Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von Menschen, die danach streben, ihre persönlichen Lebensbedingungen zu verbessern. Ohne Wachstum ist sozialer Aufstieg individuell und für Gesellschaften nur im harten Verdrängungs- und Verteilungsstreit möglich. In einer prosperierenden Ordnung hingegen fällt es leichter, weil nicht Tortenstücke kleiner geschnitten werden müssen, sondern die Torte größer wird.

In Deutschland zeigen wir schon heute, dass Wachstum nicht mit steigendem Ressourcenverbrauch einhergehen muss: Während das deutsche Bruttoinlandsprodukt seit 1990 auf mehr als 250 Prozent gewachsen ist, sind die Treibhausgasemissionen um 30 Prozent gesunken. Wenn Annalena Baerbock als Grünen-Chefin also behauptet, unser Wohlstand werde danach bemessen, „wie viel fossile Rohstoffe wir verbrennen und wie viel Kilometer Autobahn wir bauen“, liegt sie falsch. In ähnlich faktenfreie Debatten über wirtschaftlichen Fortschritt werden unsere Mitbewerber, ob in Asien oder Amerika, nicht einsteigen. Sie werden sie als Zeichen einer selbstgewollten Deindustrialisierung belächeln. Während anderswo auf der Welt versucht wird, mit Klima-Innovationen Geld zu verdienen, wird hier davon geträumt, sich die Welt so zu backen, wie sie einem gefällt.

Die Studie des "Club of Rome" hat sich mehrfach als falsch erwiesen

Was als modernes Bioprodukt unter dem Deckmantel des Klimaschutzes daherkommt, ist im Übrigen abgestandene Milch aus der Küche der alten Wachstumskritik. Die berühmte Studie über „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome von Anfang der 70er Jahre hat sich schon mehrfach als falsch herausgestellt: Wachstum wurde dort gleichgesetzt mit Umweltverschmutzung und unbegrenzter Verschwendung natürlicher Ressourcen. Für 2030 wurde der Zusammenbruch der Weltwirtschaft vorhergesagt. Heute wissen wir: Die Endzeitstimmung war unberechtigt. Gerade in Industrieländern mit stetigem Wachstum sind die Flüsse heute sauberer und die Luftqualität ist besser als damals. Dies gilt besonders für Staaten des Ostblocks, die aus der Plan- in die Marktwirtschaft wechselten.

Alle Wachstumskritiker, egal ob von „Extinction Rebellion“ oder den Grünen, argumentieren mit den „planetaren Grenzen“, die Wachstum angeblich beschränken würden. Es ist der Glaube, den Verlauf der Geschichte genau vorhersagen zu können. Wachstum und Fortschritt aber verlaufen nicht linear. Das konnte man 1972 nicht voraussehen. Heute haben wird nicht 30 Großcomputer zuhause, sondern ein Smartphone in der Tasche. 

Das Instrument, das am besten mit der Verteilung knapper Güter umgehen kann, ist der Markt. Dafür brauchen wir ein klares CO2-Limit analog der Pariser Ziele. Die verbleibenden Restmengen sollten als Verschmutzungsrechte frei zwischen den Marktteilnehmern gehandelt werden können. Weil das CO2-Limit stetig sinkt, wird im Markt ein Anreiz gesetzt, immer klimaschonender zu wirtschaften. Es verursacht dann eben Kosten, wenn Teilnehmer dieses Marktes Klimagase ausstoßen.

Wachstum schließt Klimaschutz nicht aus

Dass Menschen und Unternehmen nach Wachstum streben, schließt Klimaschutz also nicht aus. Im Gegenteil: Erst der Druck des Wettbewerbs wird Altes verschwinden lassen und neue Ideen nach vorne bringen – ob künstliche Kraftstoffe aus Algen oder den mit Wasserstoff aus Sonnenenergie betriebenen Verbrennungsmotor. Eine politisch verordnete Neudefinition von Wirtschaftswachstum brauchen wir dafür nicht. Sondern mit harten Zahlen muss sich nachweisen lassen, dass Klimaschutz ein lohnendes Geschäft ist. Also mit dem Bruttoinlandsprodukt, wie wir und die Welt es kennen.

Das Schlechtreden von Wachstum ist auch deshalb gefährlich, weil wir in Deutschland noch vor ganz anderen Herausforderungen stehen – allen voran der Alterung der Gesellschaft. Seit 2010 betrug das Wachstum im Durchschnitt rund 2 Prozent pro Jahr. Für 2019 prognostiziert die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute nur ein Wachstum von 0,5 Prozent. Wachstumsfördernde Politik ist zum Fremdwort geworden. Wir brauchen mehr, nicht weniger Wachstum. Solange es uns nicht gelingt, das Wachstum wieder in eine Größenordnung von 2 Prozent zu bringen, dürfen keine wachstumsfeindlichen Maßnahmen umgesetzt werden, wie Steuererhöhungen, neue Umverteilungsprogramme oder Eingriffe in die unternehmerische Freiheit. Bei einem Wachstum von 2 Prozent pro Jahr wäre Deutschlands Wohlstand 2049 fast doppelt so groß wie heute. Mit den parallel steigenden Löhnen, Gehältern und Steuereinnahmen wären wir für große Zukunftsausgaben gewappnet und könnten die Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs zumindest abfedern. Wer für die Zukunft gewappnet sein will, darf Wachstum also nicht verdammen. Es schafft nicht immer mehr vom Gleichen, sondern bringt Neues und Besseres hervor. 

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