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Schwerbewaffnete Soldaten bewachen den Hauptbahnhof in Brüssel.

© AFP

Wir und der Terror: Was Terrornachrichten mit uns machen

Fast täglich gibt es Attentate, Sabotageakte und Attacken auf Zivilisten. Aufgeregt oder abgestumpft: Wie reagieren Individuen, wie die Gesellschaft? Fragen und Antworten zum Thema.

Von Caroline Fetscher

Terrornews kommen aus Paris, Berlin, London, Brüssel, aus Jerusalem, Kabul und immer wieder auch aus den USA. Erst am Mittwoch hatte ein 49-jähriger Mann aus Kanada auf dem Flughafen von Flint im Bundesstaat Michigan einen Polizisten mit einem Messer niedergestochen und dabei „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) gerufen. Solche Nachrichten dominieren wieder und wieder Fernsehen, Radio, Zeitungen.

Was macht das mit uns?

Diese fatale Frage ist immer häufiger in aller Munde. Zu fragen „Was macht der Terror mit uns?“ ist in sich Symptom für einen kleinen Alltagssieg des Terrors. Subtil spiegelt die Frage etwas vom Ertrag, den sich Attentäter erhoffen, denn unbeabsichtigt transportiert sie eine fatale Suggestion von Ohnmacht. Die Fragestellung impliziert, dass etwas Unkontrollierbares mit einem passiven, dem Geschehen ausgelieferten Opfer passiert, „gemacht wird“. In der Lage eines überrumpelten Opfers, eines schockierten News-Konsumenten bin ich nicht abwehrfähig. Ich kann weder nachdenken, noch mich sammeln und Distanz gewinnen. Genau diese Reaktion zählt zum Kalkül der Terrortäter. Sie wollen Verwirrung und Panik stiften, die Gesellschaft ihrer Fassung berauben. Wichtig ist daher eher die Frage: Was machen wir mit dem Terror? Es muss darum gehen, wie wir so bewusst als möglich reagieren, wie wir als Gesellschaft analysieren, planen und handeln.

Beeinflusst der Terror nicht tatsächlich immer mehr unsere Stimmung?

Das tut er. Eine Umfrage der R+V-Versicherung belegte schon im Sommer 2016, dass Terrorismus im Angstindex der Deutschen bei 73 Prozent der Bevölkerung ganz oben auf der Liste steht. Weiter unten stehen Inflation oder die Furcht vor Altersarmut. Unlängst hat die Sängerin Ariana Grande ihre weiteren Konzerte nach dem Anschlag von Manchester abgesagt, immer mehr Großveranstalter sind besorgt wegen der Kosten für Kontrollen und Versicherungen.

Vermutlich kann sich inzwischen so gut wie jeder an eine Situation erinnern wie die des Polizisten Geir aus der Serie „Lilyhammer“. Er wartet am Flughafen neben einem dunkelhäutigen Passagier, einem turbantragenden Sikh, der kurz weggeht und seine Tasche stehen lässt. Darin tickt etwas. Alarmiert macht sich Geir an dem Gepäckstück zu schaffen, als der andere zurückkommt und ihn dabei ertappt. Getickt hatte nur ein Wecker. In leicht befangener Heiterkeit löst sich die Situation auf.

Verängstigung und Misstrauen sind, insbesondere in großen Städten, zunehmend spürbar. Nervosität kann entstehen an vollen Bahnhöfen, in Kinos, bei Popkonzerten, in Sportstadien, im Bus, etwa wenn bärtige Jugendliche einsteigen oder wenn am Wochenmarkt mehrmals eine Polizeistreife vorbeifährt. Viele Leute sind generell im öffentlichen Raum vorsichtiger geworden oder meiden Menschenansammlungen. Auf der Webseite des Bayerischen Rundfunks kommentierte der Hörer Karsten Sose Ende Mai: „Für mich ist jetzt die Entscheidung gefallen. Ich werde in Zukunft nicht mehr auf Konzerte gehen, da die Gefahr, die von Terroristen ausgeht, einfach zu groß ist.“ Er fügte an: „Meine Frau ist nach einem Anschlag immer sehr traumatisiert.“

Sind wir bereits als Kollektiv traumatisiert?

Akut traumatisierend wirken Anschläge auf Überlebende und Augenzeugen. Man spricht dabei von primärer Traumatisierung, das versteht die Forschung als normale Reaktion auf unnormale Ereignisse, sie sieht je nach Persönlichkeit unterschiedlich aus. Mit die beste Forschung darüber bietet die Harvarder Psychologin Judith Herman in ihrem Buch „Die Narben der Gewalt“.

Wird jemandem ein traumatisches Ereignis medial oder über Dritte vermittelt, kann es zu sekundärer Traumatisierung kommen. Wenn jemand erklärt, er sei von den Nachrichten „traumatisiert“, deutet das meist eher auf starke Verunsicherung oder Verängstigung hin, nicht auf eine klinische Traumatisierung. Diese Unterschiede sind wichtig.

Wie kann man sich als Individuum gegen Ängste wehren?

Vernunft hilft, aufgeklärtes Überlegen hilft – den Einzelnen wie der Großgruppe. Auch wenn es sich rationalisierend anhört: Es ist sinnvoll, sich vor Augen zu führen, dass das statistische Risiko, in einen Terroranschlag verwickelt zu werden, minimal ist im Vergleich beispielsweise zu dem Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken – eines, das wir mehrheitlich akzeptiert haben. Experten wie der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler empfehlen Gelassenheit und Rationalität gewissermaßen als weiche Waffen im Umgang mit Terrorangst. Man kann das als kontraphobische Affektregulierung bezeichnen, also das bewusste Wahrnehmen und Steuern von Emotionen, um die Angst gering zu halten.

Wie sollte die Antwort von ganzen Gesellschaften aussehen?

Von Terror bedrohte Staaten wie Israel leben über Jahrzehnte mit dem Risiko vor Anschlägen – das dort erheblich höher ist als etwa in Europa. Sogar am Eingang vieler Restaurants gibt es routinemäßige Kontrollen der Gäste. Auch in England hatte sich die Öffentlichkeit während der Jahre des IRA-Terrors an Sicherheitsmaßnahmen gewöhnt. So würde man zum Beispiel an U-Bahnhöfen keine Papierkörbe finden, weil sie sich als Ablageorte für Sprengstoff eignen können. Trotzdem kam es weder in England noch kommt es in Israel zu einer dauerhaften Suspension des Alltags oder zu einem Leben im permanenten Alarmmodus. Jeder einzelne Anschlag bedeutet eine Katastrophe. Aber es wird klarer und klarer, dass sie vorübergeht, und dass zerstörerische Gewalt langfristig weder Überzeugungskraft entfaltet noch Erfolg zeitigt.

Zentral ist die Herausforderung, vor allem an den Staat, weder durch Bagatellisierung noch durch Überreaktion auf die Taten gestörter, irregeleiteter Minderheiten zu reagieren. Offene Kommunikation ist sozial und politisch klüger als das Andeuten von Bedrohung oder das Zurückhalten von Informationen, die „die Bevölkerung verunsichern könnten“, wie es Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Freude Dutzender Kabarettisten und Comedians einmal gesagt hat. Doch auch dauerhaften Argwohn gegen staatliche Stellen wie Verfassungsschutz und Exekutive zu schüren, wirkt weniger gegen die Angst als legitime Forderungen nach Information und angemessenem Schutz.

Premierministerin Theresa May sagte nach dem jüngsten Anschlag in London, in Großbritannien gebe es „keinen Platz für Hass“. Wie lässt sich Hass eindämmen?

Die Aussage war mit Sicherheit eher als situative Beruhigung gemeint, um spontane Ausbrüche und Gegenreaktionen zu verhindern, auch bei der diesmal attackierten Gruppe der britischen Muslime. Hass ist ein existenter Affekt, und kein Affekt lässt sich per Dekret abschaffen oder mit einem magischen Satz wegreden. Aber Hass wie blinde Wut können ihre Färbung verändern, durch Aussprechen dessen, was stört und schmerzt, durch Dialog, Kommunikation, Reflexion und Wissensvermittlung über die Dynamik von Affekten.

Terrorismus ist das Aufkündigen von Kommunikation. Es wird nicht gesprochen, verbal verhandelt, gestritten, sondern bewusst wahllos zugeschlagen. Das Wort „Terror“ bedeutet Schrecken, die Tat selbst ist ihr Zweck. Terrorismus setzt auf serielle und erratische Gewalt, das Auftauchenlassen von Bedrohung wie aus dem Nichts. Global aktive Täter, Islamisten, die kein fassbares Ziel haben – wie das Erobern von Territorium oder das Anhäufen von Kapitalmengen –, suchen nach Sicherheitslücken, über die sie in den Alltag einbrechen können wie in eine Wohnung. Je größer das Unsicherheitsgefühl ist, das sie hinterlassen, desto erfolgreicher betrachten sie ihre Tat. Daher, auch wenn es dem unmittelbaren Impuls widersprechen mag, ist eine Gesellschaft umso stärker, je weniger sie sich in Verunsicherung, Hass und Angst treiben lässt. Langfristig, das ist der größte Trost, gewinnt jede offene Gesellschaft gegen den Terror, gleich welcher Art.

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