zum Hauptinhalt
Das Frühlingswetter zieht viele Menschen in die Grünanlagen.

© Jonas Güttler/dpa

Wir sind die Kurve!: Sich noch immer privat zu treffen, ist gefährlich egoistisch

Mit Freunden in den Park oder mit den Verwandten auf einen Tee. Machen wir uns nichts vor: Aus privaten Treffen werden zigtausend Corona-Risiken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Als gäbe es keinen zeitlichen Horizont, keine Hoffnung, Zuversicht, Aussicht, so behandeln viele Leute privat ihre Corona-Risiken. „Jetzt reicht es doch auch langsam“ lautet der Refrain vieler privater Gruppen.

Eingeladen wird zu Dinners, Familienfeiern, Nachbarbesuchen im Wohnzimmer. Man müsse doch auch mal wieder Geburtstage feiern, bisschen zusammensitzen, den Skatabend wiederaufnehmen, zusammen mit Freunden eine spannende Serie sehen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Das ist eine Ausnahme! Nur heute!“, beteuern die Leute, wenn sie überhaupt davon erzählen, wie sie handeln, und wenn sie man sie überhaupt fragt, warum sie so handeln.  Wer hier nicht dabei ist, der werfe den ersten Stein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Was, nur drei Kiesel? Naja. Also, der Sohn darf doch nun wirklich, nur am Dienstag, mit Schulfreunden im Kinderzimmer eine Rennbahn aufbauen. Die Verwandten können ruhig auf ein Stündchen zu Tee und Kuchen, bei uns vorbeischauen. Wir kennen uns doch! War die Cousine nicht neulich negativ getestet, geht der Schwager nicht sowieso nur selten ins Büro? Und die sechs Gäste von gestern haben eh alle öfter miteinander zu tun. Wir haben das im Blick, wir haben das im Griff.

Die Kurve ist das Resultat der Summe der Ausnahmen

Tja, und dann verlässt der eine oder die andere als singulärer Corona-Brutkasten das Haus und verwandelt als Spreader den Singular in einen Plural, während er anderen ein Virus überträgt, das gerade jetzt besser bekämpft wird, seit das Impfen auch hier, bei allen Rückschlägen, merklich Fahrt aufnimmt.

So entstehen, das ist zu vermuten, die ansteigenden Kurven der Statistik, die am Morgen im Radio, am Abend im Fernsehen staunen und leise erschrecken lassen.

[Essay: Hat die Politik endlich genug nachgedacht? Wie die Dynamik des Zögerns das Verhältnis der Deutschen zum Virus ändert]

Unerhört! Schon wieder ein stärkeres „Infektionsgeschehen“, obwohl wir alle andauernd verzichten, auf Shopping und Chorproben, auf Kino, Oper, Fitnessstudios, Kosmetiksalons! Wie das? So das. Das entsteht genau durch die egoitäre Ausnahme, genannt Nur-Ich oder Nur-Wir. Sie ist eine Illusion. Wir sind die Kurve.

Junge Menschen feiern eine Party (Symbolbild).
Junge Menschen feiern eine Party (Symbolbild).

© imago/Westend61

Die Kurve ist das Resultat der Summe der Ausnahmen, mit denen Maßnahmen missachtet werden. Ignoriert wird, wie sensationell, trotz aller Patzer und Pannen, der Fortschritt ist, der sich mit dem Impfen sichtbar und täglich aufbaut.

Es gibt einen zeitlichen Horizont, vor einem Jahr war das alles andere als klar. Auf den letzten Metern vor der Rückkehr ins Gewohnte sind viele Gesellschaften in der Pandemie jetzt angekommen.

Roulette mit der Gesundheit

Selbst wenn die letzte Etappe sich bis zum Spätsommer oder Frühherbst erstrecken sollten: Das Ausnahme-Roulette ist und bleibt ein asoziales Spiel mit der Gesundheit, der eigenen wie der von anderen.

Corona-Geduld ist noch eine kleine Weile gefragt. Verdammt gut haben es Leute in Staaten wie unserem, mit einem inklusiven und hochentwickelten System der Krankenkassen, mit exzellenten Praxen und Kliniken und Sicherheit, wie es sie selten gibt auf der Welt.

Hot Spot Kreuzberg. An der Admiralsbrücke am Landwehrkanal fordern Polizisten die Menschen auf, eine Maske zu tragen, oder zu gehen.
Hot Spot Kreuzberg. An der Admiralsbrücke am Landwehrkanal fordern Polizisten die Menschen auf, eine Maske zu tragen, oder zu gehen.

© Christophe Gateau / dpa

Wir leben in einem Staat, in dem Impfstoff entwickelt wird, und wo hunderte von Expertinnen und Experten gut ausgestattet an Strategien arbeiten, eine Pandemie zu bremsen, zu bändigen und zu überwinden.

[Mehr zum Thema: Sonne, 20 Grad und volle Parks: Ansteckender Frühling? Wo der Leichtsinn beginnt]

Die Mehrheit aller Menschen der Erde lebt anders. So wurde früher gesagt: Iss endlich deinen Kohlrabi - andere auf der Welt wären froh, wenn sie überhaupt was zu essen hätten. Das klingt nach Moralgerede.

Soll man denn gar nichts mehr kritisieren? Nein, nein. Alle, die wollen und können, sollen nach Kräften kritisieren, argumentieren, Forderungen erheben, Korruption anprangern, Aussagen befragen, Verschwörungsunfug enttarnen, Informationen vergleichen.

Aber sie sollten nicht die Fantasie nähren, sie hätten mit der Kurve nichts zu tun, wenn sie sich und die Ihren mit dem Etikett „Ausnahme“ bekleben, in einem globalen Geschehen, bei dem es auf jeden und jede Gruppe ankommt. Soweit das Wort zum Wochentag. Und zu jedem anderen Tag, ausnahmslos.

Zur Startseite