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Erst Stacheldraht, nun Beton. Die Türkei will eine Mauer bauen, um Flüchtlinge aufzuhalten.

© Ahmed Deeb/dpa

„Wir schneiden ihnen den Weg ab“: Erdogans Flüchtlingspolitik besteht aus Stacheldraht und Beton

Mit einer Mauer will die Türkei Flüchtlinge aufhalten, 160 Kilometer stehen bereits. Die Opposition wirft Erdogan vor, die türkischen Interessen zu verraten.

Von einem Hügel an der iranischen Grenze blickt der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar auf ein helles Band aus Beton. Bis zum Horizont zieht sich eine neu errichtete Mauer, die afghanische Flüchtlinge aus der Türkei fernhalten soll.

„Wir schneiden ihnen den Weg ab“, sagt Akar über die Flüchtlinge. Der Minister ist mit einem Tross aus Militärs, Beamten und Reportern regierungsnaher Medien an die Grenze gereist, um den Türken zu zeigen, dass die Regierung auf den Unmut der Wähler über die steigende Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan reagiert. Mit der Mauer wächst auch die Bedeutung der Türkei für die EU als Torwächter.

Drei Meter hoch, 2,70 Meter breit und sieben Tonnen schwer sind die stacheldrahtbewehrten Betonmodule, die derzeit an der türkisch-iranischen Grenze aufgestellt werden. Ein vier Meter tiefer Graben, Wachtürme, Wärmebildkameras und Aufklärungsdrohnen gehören ebenso zum Grenzregime.

Sollten Flüchtlinge doch einmal die Mauer überwinden, warten auf der türkischen Seite Soldaten und Polizisten darauf, sie abzufangen, wie Akar bei dem Grenzbesuch einem mitreisenden Journalisten der Zeitung „Sabah“ sagte. Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach den Türken, die Mauer werde die Grenze komplett abriegeln.

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Sie ist bereits knapp 160 Kilometer lang. Nun soll die Mauer zügig auf 300 Kilometer erweitert werden. Seit fünf Jahren baut die Türkei außerdem an ihrer Grenze zu Syrien an einer Mauer, die sich inzwischen fast entlang der gesamten Grenze von 900 Kilometern erstreckt. Auch an der Grenze zum Irak hat der Mauerbau begonnen. Das Land schottet sich nach Süden und Osten ab.

Die türkische Bevölkerung will nicht noch mehr Flüchtlinge

An der iranischen Grenze haben türkische Truppen nach Angaben von Akar seit Jahresbeginn rund 62.000 Flüchtlinge aufgehalten und zurückgeschickt. Auf die Türkei rolle über den Iran eine „ständig wachsende afghanische Flüchtlingswelle" zu, sagte Erdogan.

Noch vor ein paar Tagen hörte sich das ganz anders an. Von einer Fluchtwelle aus Afghanistan könne keine Rede sein, erklärte Erdogan da noch. Dabei melden regierungsunabhängige Medien seit Wochen die Ankunft von täglich Hunderten Afghanen, die wegen des Vormarsches der Taliban in ihrer Heimat über den Iran nach Westen fliehen. Nach der Einnahme der Hauptstadt Kabul durch die Taliban dürfte die Zahl der Flüchtlinge weiter steigen. Die Opposition wirft Erdogans Regierung vor, in der Flüchtlingspolitik die türkischen Interessen zu verraten.

Die neu errichtete Grenzmauer.
Die neu errichtete Grenzmauer.

© Bradley Secker,dpa

In der türkischen Bevölkerung treffen Erdogans Gegner damit einen Nerv. Nach der Aufnahme von 3,6 Millionen Syrern und schätzungsweise einer halben Million Afghanen wollen viele Türken nicht noch mehr Flüchtlinge in ihrem Land. In einer Umfrage fordern fast 58 Prozent der Wähler, die Politik solle Kontakt mit der syrischen Regierung aufnehmen, um die Syrer wieder nach Hause schicken zu können; jeder dritte Türke ist für Zwangsrückführungen. Nur sieben Prozent sprechen sich dafür aus, die Syrer in die türkische Gesellschaft zu integrieren.

Angesichts dieser Stimmungslage hat sich Erdogan offenbar zum Kurswechsel in der Flüchtlingsfrage entschlossen. Gleichzeitig bemüht sich Erdogan, auf die Taliban einzuwirken. Am Wochenende empfing er den pakistanischen Präsidenten Arif Alvi in Istanbul, um mit ihm über Lösungen für die Flüchtlinge zu sprechen. Erdogan hat zudem seine Bereitschaft erklärt, die Führung der Taliban zu Gesprächen in die Türkei einzuladen. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Dienstag, die bisherigen Signale der Taliban seien positiv.

Gespräche mit der EU über die Migranten

Die Krise könnte Erdogan helfen, die türkischen Beziehungen zur EU zu verbessern. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte der „Bild“-Zeitung zufolge mit Blick auf erwartete neue Flüchtlinge, man müsse eng mit der Türkei zusammenarbeiten. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz forderte Hilfe für Länder wie die Türkei, die jetzt Afghanen aufnehmen.

Gespräche zwischen der Türkei und der EU über die afghanischen Flüchtlinge gibt es bereits. Europa hat Ankara für die Fortschreibung des Flüchtlingsabkommens von 2016 drei Milliarden Euro an Unterstützung angeboten; das neue Geld könnte auch für die Versorgung von Afghanen ausgegeben werden. Ob Erdogan darauf eingeht, ist offen: Die Opposition spricht von einem „Bestechungspaket“, das der Türkei die ganze Last der Flüchtlingsfrage aufbürden solle. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warnte Erdogan am Dienstag davor, eine neue Vereinbarung mit der EU zu unterzeichnen. Europa solle mit dem Iran verhandeln, denn die Türkei sei keine direkte Nachbarin von Afghanistan.

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