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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron telefoniert regelmäßig mit Wladimir Putin.

© Mohammed BADRA / POOL / AFP

„Wir dürfen Russland nicht demütigen“: Scharfe Kritik an Macrons Aussagen zum Ukraine-Krieg

Frankreichs Präsident will Putin einen gesichtswahrenden Ausweg ermöglichen. Der Kreml könnte das als Entgegenkommen werten, so Experten – und Kiew ist empört.

An der Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass Russlands Präsident Wladimir Putin „nicht gedemütigt" werden dürfe gibt es scharfe Kritik. „Russland demütigt sich selbst“, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. „Wir alle sollten uns besser darauf konzentrieren, wie wir Russland in die Schranken weisen können.“

Ukraines Präsident Wolodimir Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache unter Anspielung auf Macron, es gebe eine Person in Moskau, die die schrecklichen Folgen des Krieges mit einem kurzen Befehl stoppen könne. „Aber die Tatsache, dass es diesen Befehl immer noch nicht gibt, ist offensichtlich eine Demütigung für die ganze Welt.“

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Macron hatte am Samstag in einem Interview gesagt: „Wir dürfen Russland nicht demütigen, damit wir an dem Tag, an dem die Kämpfe aufhören, mit diplomatischen Mitteln eine Startrampe bauen können“, sagt der Präsident. „Ich bin davon überzeugt, dass es die Rolle Frankreichs ist, eine vermittelnde Macht zu sein.“

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Timothy David Snyder, bekannter amerikanischer Historiker und Professor an der Yale University mit Forschungsschwerpunkt Osteuropäische Geschichte, äußerte sich am Samstagabend ausführlich auf Twitter: „Es ist sinnlos, Putin vor dem Gefühl zu schützen, dass er verliert. Das wird er selbst herausfinden, und er wird handeln, um sich zu schützen“, schrieb Snyder.

Kreml hofft auf schwindende Unterstützung für Kiew aus dem Westen

Putin regiere in der virtuellen Realität, „wo es immer einen Fluchtweg gibt“. In der Ukraine könne er nicht in die Enge getrieben werden, denn die Ukraine sei ein realer Ort. „Wenn er in Wirklichkeit besiegt wird, wird Putin einfach im Fernsehen den Sieg verkünden, und die Russen werden ihm glauben – oder so tun, als ob. Dafür braucht er unsere Hilfe nicht“, so der Osteuropa-Experte.

Im Kreml dürften die Worte Macrons mit Interesse wahrgenommen worden sein. Wie die „Washington Post" unter Berufung auf Putin-nahe Kreise berichtet, setzt der russische Präsident darauf, dass der Westen die Unterstützung der Ukraine nicht mehr lange durchhält und sich über die Strategie gegenüber Russland überwirft. Anzeichen dafür sei die unter anderem schwierige Diskussion um ein Embargo für russisches Öl gewesen.

Immer wieder kritisieren Experten die Zurückhaltung gegenüber Moskau vor allem aus Berlin, aber auch Paris. Kanzler Olaf Scholz (SPD) vermeidet es zum Beispiel deutlich zu sagen, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen soll. Die USA, Großbritannien und die meisten Osteuropäischen Staaten unterstützen die Ukraine dagegen entschieden – mit Waffen aber auch rhetorisch.

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Bei den Unterstützern der Ukraine lösen die Signale aus Berlin und Brüssel an Putin zunehmend Kopfschütteln aus. Manche reagieren mit Sarkasmus. Der britische Journalist Stanley Pingal, Brüssel-Korrespondent des britischen „Economist" zitiert einen osteuropäischen Europolitiker mit den Worten: „Wenn Frankreich denkt, dass Putin sein Gesicht wahren muss, kann es ihm ja Botox schicken.“

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hatten zuletzt mehrere Experten betont, wie wichtig die entschiedene Unterstützung des Westens für einen Erfolg der Ukraine sei.

„Politisch darf der Westen keine falschen Signale an Moskau senden“

Christian Mölling, Experte für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), erklärte: „Wie und wann dieser Krieg endet, entscheiden zwei Faktoren: die politische Unterstützung für den Krieg und der Zustrom von Soldaten und Waffen.“

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Militärisch sei der Ukrainekrieg mittlerweile ein Abnutzungskrieg. „Beide Seiten haben den Nachschub von Soldaten und Material für sich und den Gegner im Auge – nicht nur heute und morgen, sondern über die nächsten Monate.“

Wolle der Westen erreichen, dass Moskau den Krieg nicht gewinnt und daraus die Lehre zieht, dass Russland seine Interessen gegen Europa nicht mit Gewalt durchsetzen kann, „dann muss er die Ukraine in eine gute Ausgangslage für die irgendwann stattfindenden Verhandlungen versetzen“. Die Ukraine brauche einen zügig wirksamen Plan, wer was wann liefert – und das müsse dann auch geschehen.

„Politisch darf der Westen – oder wesentliche Teile wie Deutschland oder Frankreich – keine falschen Signale an Moskau senden, die dazu führen, dass der russische Präsident sich mit Blick auf die westlichen Ziele verkalkuliert.“

Wenn der Westen ohne Doppeldeutigkeit klarmache, dass er die Ukraine bis zur vollständigen Rückeroberung der Ukraine in den Grenzen von 2014 oder bis zur Wiederherstellung des Status quo am 23. Februar 2022, vor Russlands Angriff, unterstützen werde, „kann Putin seine Spielräume nutzen und ein Kriegsende zu Hause früher oder später vermitteln“. Macron hatte seine Warnung vor einer „Demütigung“ Russlands am Freitag zum wiederholten Mal ausgesprochen. Es müsse möglich sein, an dem „Tag, an dem die Kämpfe enden“, einen "diplomatischen Ausweg zu beschreiten“.

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