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Patrick Zimmermann macht aus Asche verstorbener Diamenten. Bei 1450 Euro geht es los.

© Foto: Thilo Rückeis

„Wiederauferstehung erheblich erschwert“: Dieser Mann macht aus Toten Diamanten

Der Berliner Bestatter Patrick Zimmermann presst aus Asche Verstorbener Diamanten. Das ist umstritten. Aber wer sollte darüber richten?

Sie trägt keinen anderen Schmuck mehr, nur noch diesen einen großen Ring. Ein Notenschlüssel aus Platin und darin, im oberen Oval, ein weißer, wahrlich nicht ganz kleiner Diamant. Das ist der Mann ihres Lebens, er war Opernsänger. Asche zu Diamant! Sollten wir von einer kleinen Revolution in der Bestattungskultur sprechen?

Karla Schier blickt auf ihren Ring, sie reden oft miteinander, die Frau und der Stein. Edelsteine sind kalt, sagt man. Aber das stimmt nicht. Sie gibt ihm die Wärme ihrer Hand. Andere gehen auf den Friedhof, wenn sie ihre Toten besuchen wollen. Aber sie will Sanders Schier gar nicht besuchen, sie will ihn immer bei sich tragen.

So einer gehört doch nicht auf den Friedhof!

„Wissen Sie, ich hatte mit 49 Jahren meinen ersten Herzinfarkt, zwei Jahre später den zweiten“, sagt die Frau mit dem großen Ring. Er funkelt selbst hier im fahlen Kunstlicht des Hinterzimmers der Cara AG am Kurfürstendamm, die vorn eine ganz normale Goldschmiede ist. Sie hat den Ring enger machen lassen. Cara ist keltisch und heißt Seelenfreund. Jetzt ist Karla Schier schon über 70.

Sie wusste, dass sie etwas ändern musste, wollte sie noch eine Zukunft auf dieser Erde haben. Sie verkaufte ihr Haus, das sie selbst miterbaut hatte und das sie doch zu viel Leben, zu viel Kraft kostete, genau wie die Männer. Und dann, plötzlich hauslos, mit über 50, nach zwei Herzinfarkten fand sie die Liebe ihres Lebens. So einer gehört doch nicht auf einen Friedhof, der gehört zu ihr!

Karla Schier, mit der schönen Ausstrahlung gemäßigter Damenhaftigkeit, spricht über diese Dinge mit beinahe heiterer Gelöstheit. Und welche Hinterbliebene von über 70 trägt schon knallrote Schuhe zum schwarzen perlenbesetzten Pullover?

Brücken ins Jenseits. Einen Teil der Krematoriumsasche zu entnehmen und zu Edelsteinen zu machen, wird in Deutschland lediglich geduldet.
Brücken ins Jenseits. Einen Teil der Krematoriumsasche zu entnehmen und zu Edelsteinen zu machen, wird in Deutschland lediglich geduldet.

© Thilo Rückeis

Bis man es plötzlich versteht: Es ist Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ihr Dasein, als es schon fast vorüber schien, noch einmal begann. Ihr ist, als sei ihr ganzes gemeinsames Leben, fast 20 Jahre, im Funkeln dieses Steins. Der Bariton hat nicht gewusst, dass seine Frau ihn künftig am Finger tragen würde, doch er hätte sich gegen diese Weise seiner postmortalen Existenz nicht gesträubt, das weiß sie genau. Aber ist das nicht dennoch ein hochkarätiger Irrtum, eine allerinnigste Geschmacklosigkeit, oder hat Karla Schier nicht doch recht? Es ist ihre Trauer. Und wer dürfte in solchen Dingen Zensuren verteilen?

Vom Vergänglichsten zum Unvergänglichsten

Patrick Zimmermann schaut mit einem tiefen Wohlwollen auf die Witwe des Sängers. Er ist Bestatter, so ungefähr hatte er sich das vorgestellt, als er sich vor zweieinhalb Jahren den Diamanten zuwandte. Vom vergänglichsten Stoff zum unvergänglichsten. Vom zerstörbarsten, weichsten zum unzerstörbarsten, zu einem der härtesten, den die Natur je hervorgebracht hat. Und doch sind sie beide, Mensch und Diamant, aus demselben Material gemacht: Kohlenstoff, dem Grundbaustein des Lebens.

Zimmermann besitzt jene Ausstrahlung von Ruhe und Zuversicht, die Menschen Vertrauen gibt. Und er hat eine sehr bestimmte Auffassung von seinem Beruf. Er glaubt nicht, dass ein Bestatter vor allem für den Verstorbenen zu sorgen habe. Mindestens so sehr für die Angehörigen, vor allem heute, da so viele allein dem Tod gegenübertreten müssen, ohne den Pfarrer, dem professionellen Mittler zwischen den Ufern. Auch weil sie seinen Trost nicht mehr glauben können. „Und ich habe immer stärker gespürt: Da fehlt was“, sagt Zimmermann. Aber nie hat er das so empfunden, wie vor ein paar Jahren auf dem Friedhof von Berlin-Friedrichshagen.

Für immer mein. Eigentlich herrscht in Deutschland Friedhofspflicht. Doch das Geschäft mit den Erinnerungsdiamanten wird geduldet.
Für immer mein. Eigentlich herrscht in Deutschland Friedhofspflicht. Doch das Geschäft mit den Erinnerungsdiamanten wird geduldet.

© Thilo Rückeis

Als die Trauernden aus der Kapelle traten, liefen sie zuerst an den repräsentativen Gräbern aus der Entstehungszeit des Friedhofs vorbei. „Was für selbstbewusste Tote!“, habe Zimmermann gedacht. Aber dann wurden, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, die Gräber und die Steine immer kleiner. Es war ein Umweg, den die Sargträger an diesem Tag nahmen, und er war wie ein Weg durch die Zeit. Es war, als würden nicht nur die Gräber und die Steine immer kleiner, auch die Toten wurden immer kleiner, und zum Schluss hatten sie nicht einmal mehr Namen.

Kommunismus des Todes

Oder doch, die Namen standen auf einer traurigen Mauer, aber kein eigenes Stück Erde gehörte mehr zu ihnen. Was für ein Kommunismus des Todes! Für die Lebenden ist er wohl nichts, aber unter den Toten ist er populär wie nie. Wenn einer kommt, um Blumen zu bringen, bringt er Blumen für alle.

Das ist sehr schön, und doch weiß Zimmermann von vielen Angehörigen, die später darunter leiden, dass sie kein Grab mehr finden, an das sie treten können. Ich will euch mit meiner Abwesenheit nicht belästigen! – das ist immer der Gedanke derer, die gehen. Ein Irrtum, findet Zimmermann, denn auch falsche Abwesenheit belästigt. „Viele haben nichts, was sie auffängt“, sagt er. So kam er erst auf den Erinnerungskristall und dann auf die Diamanten. Der Erinnerungskristall war zuerst da.

Auch fließendes Kristallglas umhüllt die Asche

In Deutschland herrscht Bestattungspflicht. Darum darf niemand eine Urne einfach mit nach Hause nehmen und ins Regal stellen. Aber wenn die Asche in einem großen Glaskristall eingeschlossen wäre, wäre es keine Urne mehr. Mit dieser Idee erschien Patrick Zimmermann 2011 im Museumsdorf Baruther Glashütte in Brandenburg und traf sofort auf offene Ohren. Seitdem stehen dort immer wieder ganze Familien und schauen zu, wie fließendes Kristallglas beginnt, die Asche ihres Toten zu umhüllen.

Die meisten möchten eine Kugel oder ein Herz. Zimmermann nimmt zwei Beispiel-Kristalle aus dem Schrank und macht das Licht aus. Die Asche leuchtet im Dunkeln. Das macht eine kleine Beigabe seltener Erden. Vielleicht gibt es zwei Gruppen von Menschen. Die erste findet diese postmortale Existenzweise durchaus plausibel, Hauptsache zu Hause bleiben! Die andere möchte keinesfalls nach dem Tod als leuchtende Asche neben dem Fernseher enden. Wahrscheinlich wäre der zweiten Gruppe auch die Existenzform eines Diamanten zu fremdartig: So rein und schön wie der war ich nie! Und nie so kalt. Lieber als Asche in alle Winde verweht werden.

Das Meer ist als Friedhof anerkannt, die Luft nicht

Aber das ist in Deutschland verboten, genau wie die Almwiesenbestattung, die Weltraumbestattung oder die Felsbestattung. Denn es herrscht Friedhofszwang. Seltsamerweise ist das Meer als Friedhof anerkannt, die Luft nicht. Und aus Toten Kristalle oder Diamanten zu machen, also einen Teil der Asche zu entnehmen, ist auch nicht legal. Brandenburg wollte im vergangenen Jahr sein Bestattungsgesetz liberalisieren, um das zu ändern, aber dann fand die entscheidende Sitzung während des ersten Spiels der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft statt. Mag sein, die Liberalisierer im Landtag waren anderweitig engagiert, mit knapper Mehrheit fiel die Entscheidung dagegen. Obwohl die Brandenburger die Liberalisierung laut Umfragen mit großer Mehrheit wünschen.

Erhebliche Störung der Totenruhe?

Die Kirchen sträuben sich gegen neue Bestattungsformen, so wie sie einst erbittert gegen die Feuerbestattung stritten. Die Wiederauferstehung sei erheblich erschwert, und aus einem Diamanten wiederaufzuerstehen, dürfte ans Unmögliche grenzen. Dazu kommt eine erhebliche Störung der Totenruhe. Der aus der Asche isolierte Kohlenstoff wird einem Druck bis zu 60 000 bar und einer Temperatur von bis zu 1600 Grad ausgesetzt. Die Natur macht das nicht viel anders, aber es dauert länger. Mitunter braucht sie Jahrmillionen für das, was Zimmermann in wenigen Tagen schafft. Und er besteht gar nicht auf der Asche, im Gegenteil. Haare, weiß er, sind viel besser, viel reiner. Und völlig legal. Eine stille Seebestattung ist bei Zimmermann inklusive.

Was die Kirchen ebenso stört, ist die Privatisierung des Todes. Die vormalige Leiterin des Katholischen Büros in Berlin Martina Köppen sagte, der Tote dürfe nicht zu einer Sache gemacht werden, die Einzelne in Besitz nehmen. Zimmermann schaut auf seine Uhr, er hat jetzt einen Termin. Das verwaiste Paar aus Schlachtensee ist da, zum Beratungsgespräch.

Nersas Abwesenheit spürt sie sekündlich

Die Trauer nimmt der Frau fast die Sprache. Wer schweigt, kann die Tränen meist noch zurückhalten. Aber sie muss jetzt reden, sie muss Patrick Zimmermann sagen, was sie möchte. Nein, keinen Ring, Ohrringe schon gar nicht, sie möchte eine Kette, ganz nah am Hals zu tragen. Nein, niemals auf einem Pullover, immer auf der bloßen Haut: „Ich will sie spüren. Ich will immer anfassen können. Es geht nur um den Stein.“

Dieses plötzliche Nicht-mehr-da-sein ertrage sie nicht, sie spüre Nersas Abwesenheit sekündlich, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Alles im Haus erinnere an sie, die kleine spanische Straßenkatze, vermittelt über eine Hilfsorganisation. Selbst die Gegenstände stünden wie verwaist. Mehr als zehn Jahre haben sie zusammengelebt, und Nersa sei fast nie von Gabriele Hösls Seite gewichen, so als wolle sie mit jedem Schritt ganz sichergehen: Ich habe eine Familie! Wer hat mehr?

Gehört zu großer Trauer auch ein großer Stein?

„Wissen Sie, sie war das eigentliche Familienoberhaupt“, erklärt die Fremdsprachensekretärin.

Gehört zu einer großen Trauer auch ein großer Stein? Schon die Einzeleinäscherung im Tierkrematorium war nicht billig. Reich sind wir nicht, sagt Gabriele Hörl. Zimmermann holt eine Pinzette und eine Schale, aus der es zwischen schwarzem Samt stark glitzert. Er fasst den kleinsten Diamanten mit der Pinzette, 0,1 Karat, und spricht dazu die einfühlsamen, ermutigenden Worte: „0,1 Karat ist gar nicht so klein, wie es klingt.“

Nachdenklich blickt die Hinterbliebene einer kleinen spanischen Straßenkatze auf den Miniaturdiamanten. So einen kleinen anzubieten, war Zimmermann ganz wichtig, wegen des Kommunismus des Todes. Diamanten, könnte man bündig sagen, sind etwas für reiche Leute, aber die Trauer ist kein Privileg der Wohlhabenden, seine Diamanten sollen potentiell für alle sein. Also 0,1 Karat für 1450 Euro. So geht das los.

Er braucht jetzt noch mehr Pressen

Zimmermanns Diamantenschmiede steht in Salzgitter. Bisher musste, wer einen Erinnerungsdiamanten wollte, immer ins Ausland gehen. Drei Länder besitzen die Technologie zur Herstellung von Kunstdiamanten, Russland, die USA und China. Also Russland! Doch die Russen zeigten sich sehr reserviert: Welche Gründe sollten wir haben, ausgerechnet dir russische Hightech zu verkaufen? Zimmermann zählte die Gründe auf. Die Antwort lautete: Nein. Und noch mal nein. Und noch mal … Da verhängte Zimmermann den Belagerungszustand über die Russen. Und siegte. Einen zufriedeneren Kunden als Patrick Zimmermann könnten sie gar nicht haben. Nur dass er jetzt noch mehr Pressen braucht.

Goldschmiedemeister Norbert Strahler (re.) wollte sich auf Fassungen für Kunstdiamanten erst nicht einlassen, ließ sich aber schnell überzeugen.
Goldschmiedemeister Norbert Strahler (re.) wollte sich auf Fassungen für Kunstdiamanten erst nicht einlassen, ließ sich aber schnell überzeugen.

© Thilo Rückeis

Der Goldschmied Norbert Strahler sitzt nebenan in seinem Büro. Eigentlich ist das hier sein Laden, seine Werkstatt, und es war auch eine ganz normale Goldschmiede, bis Zimmermann ihm vor fast drei Jahren die Diamanten-Frage stellte. Der Bestatter hatte einst seine Trauringe bei Strahler machen lassen. Kunstdiamanten?, habe der Goldschmied gefragt, und es lag durchaus Herablassung darin, er arbeite mit echten Diamanten. Aber dann erfuhr er, dass „echt“ absolut kein einfacher Begriff ist. In Strahlers „echten“ Diamanten mag unfassbar viel Echtzeit stecken, aber in denen Zimmermanns dafür echte Trauer. Und genau darum bedürfen seine Steine einer hochindividuellen Fassung. Das sah Strahler ein.

Der Tod ist der gewaltsame Abbruch einer sozialen Beziehung

Und seine neuen Kunden wissen, was sie wollen: Gerade haben seine Kollegen einen Armreif gemacht aus Welle und Gischt, und in der Gischt steckt der Diamant. Alle hier sind sehr stolz auf die Weißgoldwelle mit Weißgoldgischt. Solche Dinge hat früher niemand von ihnen verlangt. Und wie die neuen Kunden den Schmuck in die Hand nähmen! Es ist eben viel mehr als Schmuck. Strahler mag es, ihre Erwartungen zu überbieten.

Der Tod ist der plötzliche, gewaltsame Abbruch einer sozialen Beziehung. Welches Recht hat ein so nichtiger Gast wie er, etwas so Wertvolles zu zerstören? Es kommt darauf an, Brücken zu bauen zwischen den Lebenden und den Toten. Sollte nicht alles erlaubt sein, was hilft, fast alles? Denn Trauer ist individuell, es ist nicht die Trauer der Kirche, nicht die des Staates. Und so viel ist klar: Wer nicht geliebt wurde, mag zwar unter die Erde kommen, aber niemals wird er zum Diamant.

Nersa Consuela de la Saragossas Familie beriet sehr lange. Dann wählte sie, plötzlich ganz sicher, einen 0,2-Karat-Diamanten, ganz einfach gefasst, an zartester Weißgoldkette.

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